Soziale Institutionen, Kirchengemeinden, Einzelpersonen und Hinz&Kunzt rufen für diesen Samstag zu einer Kundgebung gegen die Vertreibungspolitik am Hauptbahnhof auf, die seit 2012 von der Bahn durchgesetzt wird. Das Motto: „Wir wollen einen Hauptbahnhof für alle!“
Rund 25 soziale Institutionen haben den Aufruf zur Kundgebung für Samstag unterzeichnet. „Wir halten die Politik der Verdrängung für das Gegenteil einer weltoffenen Stadt“, heißt es in dem Aufruf, der vom Einwohnerverein St. Georg initiiert wurde.
Der Grund für den Protest: Seit dem 25. Oktober 2012 darf die Bahn allein bestimmen, wer sich auf den überdachten Flächen vor dem Bahnhof und im Fußgängertunnel zur Mönckebergstraße aufhalten darf. Die Stadt hat es der Bahn erlaubt – und das gleich für die nächsten zehn Jahre (Vertrag im Wortlaut). Jetzt gilt auch auf diesen Flächen die gleiche restriktive Hausordnung wie im Bahnhof. Betteln, rauchen und „übermäßiger Alkoholkonsum“ – verboten. Liegen und Sitzen auf dem Boden – verboten. Papierkörbe durchsuchen – verboten. Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer nicht in die saubere Konsumwelt passt, soll weg. Betroffen sind vor allem arme Menschen, Obdachlose, Pfandsammler oder Menschen, die trinken.
Doch Bahn-Chef Rüdiger Grube behauptet: „Wir vertreiben keine Obdachlosen“. Tunnel etwa seien keine geeigneten Schlafplätze, sagt er. Als wenn es nur darum ginge: Als erste Amtshandlung verscheuchten Anfang Oktober Sicherheitsleuten der Bahn zwei Hinz&Kunzt-Verkäufer, die dort jahrelang ohne Zwischenfälle das Straßenmagazin verkauft hatten. Hinz&Künztler Jürgen: „Ich habe versucht zu erklären, dass ich hier einen festen Platz habe. Aber davon wollten die nichts wissen. Ich musste weg. Ich bin dann auch gegangen. Ich wollte keinen Ärger. Oder dass ich ein Hausverbot kriege.“
Erst nachdem sich Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jens Ade einschaltete und es zu heftigen Leserprotesten gekommen war, lenkte die Bahn ein und erlaubte den Verkauf wieder. Doch nicht alle Menschen, die sich am Hauptbahnhof aufhalten, haben eine Lobby. Viele Hamburger empfanden es daher als äußerst zynisch, dass die Bahn im Dezember öffentlichkeitswirksam Schlafsäcke für Obdachlose spendete.
Und warum das alles? Die offizielle Begründung lautet: Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bahnhofsnutzer soll verbessert werden. Laut Bezirk Mitte seien zudem „objektive Störungen der öffentlichen Ordnung durch wildes Urinieren, verbale Übergriffe und aggressives Betteln“ festgestellt worden. Behauptungen, die nicht nur von Sozialverbänden zurückgewiesen werden, sondern auch vom „Arbeitskreis Sicherheit & Soziales am Hauptbahnhof“, der „keine besondere Belastung“ sieht.
Hinz&Kunzt fordert: Öffentlicher Raum muss öffentlich bleiben. Es kann nicht sein, dass Menschen vom Hauptbahnhof vertrieben werden. Die bestehenden Anlaufstellen für Obdachlose und Hilfesuchende waren vorher bereits völlig überlastet. Hamburg braucht ausreichende Unterkünfte für Obdachlose, eine weitere Tagesaufenthaltsstätte im Innenstadtbereich und eine soziale Task Force, die an sozialen Knotenpunkten wie eben dem Hauptbahnhof vermittelt.
Text: Simone Deckner
Foto: Mauricio Bustamante