Gentrifizierung auf St. Pauli : Don’t tell Mama muss gehen

Auf St. Pauli wird weiter gentrifiziert: Läden werden hübscher, Mieten steigen, zahlungskräftige Mieter schaffen Nachfrage. Die ersten der Pioniere müssen nun umziehen, weil es ihnen zu teuer wird. Dabei hatten sie selber mit dem Aufwertungsprozess begonnen.

Stepha Lanella muss mit Wut im Bauch ihren Laden räumen. Bild: Benjamin Laufer.

Ihr Käsekuchen war im ganzen Viertel und darüber hinaus bekannt. „Der beste Käsekuchen der Welt“, hieß es gar, werde in der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli verkauft. Stepha Lanella steht zwischen Kartons und Werkzeugkisten in dem Laden, in dem sie drei Jahre lang ihre Cheesecakes verkauft hat. Nun muss sie mit Don’t tell Mama raus aus St, Pauli. Die Miete war nicht mehr bezahlbar, nachdem sie von 875 Euro auf 1250 Euro angehoben werden sollte. „Ich bin zu wütend, um traurig darüber zu sein“, sagt Stepha Lanella. An das Schaufenster hat sie „Umzug wegen Wucher-Miete“ geschrieben.

Als Lanella vor drei Jahren in die Paul-Roosen-Straße kam, wehte hier noch ein anderer Wind. Ihr Laden, bis dahin noch eine Pizzeria, war heruntergekommen, nicht einmal eine Heizung gab es. „Dieser Laden war disgusting“, sagt die Kanadierin. „Es war unfassbar.“ Auch die Umgebung war nicht so aufgeräumt und belebt, wie sie es mitlerweile ist.  „Die Nachbarschaft war nicht so freundlich wie heute“, sagt sie. Dafür waren die Mieten bezahlbar. Also mietete Stepha Lanella das Ladenlokal und fing an, an ihrem Cheesecake-Imperium zu basteln.

Seitdem ist in der Paul-Roosen-Straße einiges passiert. Den Schmuddel-Charakter sucht man hier heute vergebens, die Straße wurde aufgewertet. „Ich habe St. Pauli attraktiv gemacht“, sagt Stepha. Das weiß auch ihr nun ehemaliger Vermieter: „Als Sie den Laden übernahmen, war er in einer schlechten Verfassung“, schreibt er in einer E-Mail. „Aber heute ist St. Pauli attraktiv, also ist eine Miete von 1200 Euro okay.“ Er würde auch Mieter für 1300 Euro finden. „Die Nachbarschaft hat sich geändert, die Leute zahlen heute höhere Mieten“, sagt Lanella. Ob der Vermieter die 65 Quadratmeter allerdings für 1300 Euro los wird, wagt sie zu bezweifeln. Aber die steigenden Mieten im Viertel sind unübersehbar. Ein paar Straßen weiter hängt ein Zettel an einer Straßenlaterne. „Lehrerin mit Katze sucht Wohung“ steht darauf. „Zahle bis zu 1500 Euro Miete.“

Steffen Jörg von der Mieterinitiative „SOS St. Pauli“ wundert diese Entwicklung nicht. Er sitzt bei frühlingshaftem Sonnenschein auf dem Hein-Köllisch-Platz und berichtet über seine Erfahrungen mit der Gentrifizierung. Auch er musste schon mal aus einer Wohnung auf St. Pauli ausziehen. Der Vermieter wollte die Miete um 300 Euro erhöhen, nachdem der befristete Mietvertrag ausgelaufen war. „Ich bin auch Gentrifizierer“, sagt er. „Auch ich spiele meine Rolle in diesem Prozess.“ Denn nicht nur Vermieter und Investoren sind für die steigenden Mieten verantwortlich, sondern auch Akademiker wie Steffen Jörg, die durch ihre Anwesenheit die Gentrifizierung anstoßen.

St. Pauli bietet ideale Vorraussetzungen für den Verdrängungsprozess. Als altes Arbeiterviertel in Innenstadtlage mit vielen Wohnungen mit niedrigem Standard und hohem Sanierungsbedarf zieht es so genannte Pioniere an. Das sind Mieter mit meist höherem Bildungshintergrund als die ursprünglichen Bewohner, die das Viertel für sich entdecken und zum „Szene-Viertel“ machen. Dadurch wird das Wohnquartier dann für zahlungskräftigeres Klientel interessant, die Mieten steigen. Stepha Lanella mit ihrem Käsekuchen ist auch eine solche Pionierin. Zusammen mit einer Immobilienwirtschaft, die auf Profit ausgerichtet ist und einer Stadtteilpolitik, die sie unterstützt, entsteht die giftige Gentrifizierungs-Suppe.

Auf St. Pauli ist die Gentrifizierung in vollem Gang. „Auf dem Stadtteil liegt so ein Druck, dass es hier bei Mieterwechseln exorbitante Mietsteigerungen gibt“, sagt Steffen Jörg. „Im Bereich der Neuvermietung gehört St. Pauli zu den teuersten Stadtteilen in Hamburg.“ Dagegen macht SOS St. Pauli mobil. Ein 12-Punkte-Plan ordert eine nachhaltigere Stadtteilpolitik, für den die Initiative bislang rund 3000 Unterschriften gesammelt hat. „Mit Unterschriften kann man aber keine Mietsteigerungen verhindern“, räumt Jörg ein. Doch die Aktionen schaffen öffentliche Aufmerksamkeit und machen Gentrifizierung zu einem Politikum, mit dem sich auch die Parteien beschäftigen. „Das ist ein Erfolg von öffentlichem Widerstand“, sagt Jörg.

„Gentrification macht deine Nachbarschaft besser, aber dann kommen die Vermieter und erhöhen die Mieten“, sagt Stepha Lanella. „Die Leute, die die Nachbarschaft so farbig gemacht haben, können dann nicht mehr dort wohnen.“ Ihren Cheesecake verkauft sie deswegen ab April in Altona. Dort könnte das ganze Spiel dann von vorne beginnen. „Ich habe da aber einen wasserdichten Mietvertrag“, gibt sich die Geschäftsfrau zuversichtlich.

Text und Foto: Benjamin Laufer

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