Auf Flugblättern wirft die Deutsche Bahn S-Bahn-Musikern „organisierte Bettelei“ vor. Das hätten die „ermittelnden Behörden“ bestätigt. Doch Staatsanwaltschaft und Bundespolizei wissen von nichts.
„Keine Chance für organisierte Bettelei“ steht auf dem Flugblatt, dass die Deutsche Bahn in den Zügen der Hamburger S-Bahn verteilt. Darüber ein Piktogram eines Akkordeonspielers, der einem Fahrgast einen Hut hin hält und offenbar um Geld bittet. Die Bahn fordert ihre Kunden nun auf, ihm keines zu geben: „Durch Geldgaben werden die Musizierenden nur dazu verleitet, noch öfter in den Zügen aufzutreten“, heißt es in dem Flugblatt. Und weiter: „So wird der Hamburger Nahverkehr unattraktiv für organisierte Bettelei und das Reisen bleibt für alle angenehm.“ Bereits im März hatte sich die Bahn hinter einen S-Bahn-Führer gestellt, der per Lautsprecherdurchsage Musiker diffamiert hatte. Die Bahn empfiehlt ihren Fahrgästen in dem Flugblatt, statt S-Bahn-Musiker lieber die Bahnhofsmission oder das CaFée mit Herz für Obdachlose mit einer Spende zu unterstützen.
Ein schwerer Vorwurf, den die Bahn erhebt: Die Musiker würden oft gar nicht für ihr eigenes Auskommen, sondern für dubiose Organisationen im Hintergrund arbeiten. „Aufgrund der Erfahrungen und Zusammenarbeit mit den ermittelnden Behörden hat sich gezeigt, dass oft hinter den ‚Musikern’ eine Organisation steht“, sagt Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis.
Keine Erkenntnisse bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Aber stimmt das? Unsere Nachfragen bei der zuständigen Bundespolizei und der Hamburger Staatsanwaltschaft ergeben, dass beide keine solchen Erkenntnisse über Musiker in den S-Bahnen haben. Wir fragen erneut die Bahn, welche Behörden gemeint sind. Die wenig sagende Antwort: „Hinter den Musikanten steckt in vielen Fällen organisierte Bettelei. Siehe Flugblatt.“ Offenbar kann oder will die Bahn ihre Behauptung nicht belegen.
„Hier wird eine ganze Gruppe verunglimpft, ohne dass es Beweise gibt“, kritisiert Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer das Vorgehen der Bahn. Die Musiker seien nun mal darauf angewiesen, um Almosen zu beten. „Armut wird in Hamburg immer sichtbarer“, sagt Karrenbauer. Nicht nur in Parks, sondern eben auch in den S-Bahnen. „Vertreibung und Diffamierung löst diese Probleme nicht.“ Nötig seien neue Ansätze, um Armut in Hamburg endlich effektiv zu bekämpfen.
Text & Foto: Benjamin Laufer