Architekt Harry Glück :
Bauen für Menschen

Der Wiener Architekt Harry Glück hat rund 18.000 Sozialwohnungen entworfen und gebaut. Bekannt wurde er mit seinen Terrassenhäusern wie dem Wohnpark Alt-Erlaa. Im Interview mit Hinz&Kunzt erklärt er seine Vision vom menschenfreundlichen Wohnen.

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Architekt Glück in seinem Wiener Garten.

Harry Glück empfängt Besucher in seinem Büro im vierten Stock eines Jugendstilbaus im Herzen Wiens. Der 90-Jährige hat Probleme mit dem Knie, Folge eines Sturzes. Geistig ist er hellwach. Mit dabei beim Gespräch sind Glücks Bullterrier Paula die Sechste und Nikolaos Kombotis, sein langjähriger Mitarbeiter und die rechte Hand des Architekten.

Hinz&Kunzt: Herr Dr. Glück, in welchen Wohnverhältnissen sind Sie aufgewachsen?

Harry Glück: In kleinen, nicht weit entfernt von hier im siebten Bezirk.

Der Vater ist Bankbeamter, noch während der Schulzeit wird Harry Glück zum Kriegsdienst eingezogen: Mit einem Tankwagen fährt er Trinkwasser zu den Überlebenden ausgebombter Quartiere. Ab 1948 studiert er am Reinhardt-Seminar – damals die Schauspiel-Schule in Wien – Regie und Bühnenbild. Später entwirft er für angesehene Theater wie das Theater in der Josefstadt, aber auch das Berliner Renaissance-Theater Bühnenbilder und fängt nebenbei an, Architektur zu studieren.

H&K: Architekt wollten Sie zunächst aber gar nicht werden, oder?

Glück: Nein. Nach dem Krieg, mit Anfang 20, wollte ich das deutsche Theater reformieren. Ich habe deshalb einer Reihe von Theaterdirektoren erklärt: „Das Beste, das Sie machen können, ist Ihren Sessel zu räumen und ihn mir anzubieten.“

H&K: Das haben die wahrscheinlich nicht gerne gehört.

Glück: Sie haben sich amüsiert.

H&K: Wann und warum haben Sie sich dafür entschieden, Sozialwohnungen zu bauen?

Glück: Von der Arbeit fürs Theater konnte ich nicht leben. Ich musste mir also eine andere Einnahmequelle neben dem Studium suchen. Nun zogen damals viele Menschen, die im Krieg ausgebombt worden waren, in neu errichtete Sozialwohnungen. Die waren oft miserabel geschnitten und deshalb mit den erhältlichen Möbeln nicht einrichtbar. So kam ich dazu, diesen Menschen für etwas Geld zu helfen – was zum Teil einfach darin bestand, Handwerker für sie zu organisieren. Dabei habe ich immer wieder über Grundrisse geschimpft. Bis mir eines Tages der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft ein DIN-A3-Blatt vorlegte und sagte: „Das ist die Planung für die Bebauung eines Grundstücks, das wir gekauft haben. Du sagst doch immer, du kannst das besser. Also mach mal!“ Ich sagte: „In 14 Tagen lege ich Ihnen etwas vor.“ Er antwortete: „Nein, morgen!“ Das Haus, das ich daraufhin entworfen habe, wurde angeblich 17-mal in Niederösterreich gebaut.

H&K: Kein österreichischer Architekt hat mehr Sozialwohnungen entworfen und gebaut als Sie, rund 18.000 sind es allein in Wien. Wie kommt das?

Glück: Die Bewohner sind weniger umgezogen. Und wir waren auch billiger, weil wir sachlicher konstruiert haben.

H&K: Wasser, Grün, Begegnungsräume: Ihre Vision menschenfreundlichen Wohnens leuchtet schnell ein. Warum sind andere diesen Ideen nicht gefolgt?

Glück: Das liegt an der Arroganz der Architekten und ihren veralteten Anschauungen. Es gab nur eine Gruppe international, die einen auf den Menschen ausgerichteten Wohnungsbau forciert hat: die Gestalter des Gemeindewohnungsbaus der Ersten Republik in den 1920er-Jahren. Die Grundrisse sind heute veraltet, aber der Rest ist heute noch gut: große, grüne Innenhöfe, Kindergärten, Mieterberatungsstellen, Theater. Es gab sogar Wasserbecken – allerdings nur 60 Zentimeter tief, weil der Arbeiter damals nicht schwimmen konnte.

H&K: Diese Bauten waren ihr Leitbild?

Glück: Mehr oder weniger. Bäume zum Beispiel werden gewöhnlich nicht in die Kalkulation eines Projekts einbezogen. Am Schluss bleibt nur wenig Geld übrig, mit dem dann ein paar kleine, mickrige Stämme gekauft werden, die 20 Jahre brauchen, bis aus ihnen was wird. Wir haben gesagt: Wir wollen gleich richtig große Bäume pflanzen. Dass wir das konnten, haben wir auch den ordentlichen Deutschen und ihrer Baumnorm zu verdanken: Ein Alleebaum darf bis auf vier Meter Höhe keinen Ast haben. So konnten wir in Baumschulen preiswert Bäume einkaufen, die für den massenhaften Verkauf als Straßenbäume unbrauchbar waren.

Harry Glück hat auch Büros, Bankgebäude, Hotels, Kindergärten und Schulen geplant. Bekannt wurde er mit seinen Terrassenhäusern, deren erstes 1974 entstand. Berühmtheit erlangte er mit dem Wohnpark Alt-Erlaa, zwischen 1973 und 1985 errichtet. Die dortigen Dachschwimmbäder, eine Weltneuheit im sozialen Wohnungsbau, brachten ihm den Vorwurf ein, Luxuswohnungen für die Mittelschicht zu bauen.

H&K: Gibt es ein Projekt, von dem Sie rückblickend sagen: Das ist mein Lieblingshaus?

Glück: Nein. Alt-Erlaa ist das größte Projekt gewesen. Aber andere Häuser bieten unser Konzept den Menschen ebenso gut an. Allerdings: Je größer eine Anlage ist, umso leichter geht es.

H&K: Haben Sie mal ein Wohnhaus entworfen, von dem Sie heute denken: Wie konnte mir das passieren?

Glück: Eigentlich nicht. Es gibt aber sehr vieles, das ich nicht realisieren konnte.

H&K: Weil das Geld nicht ausreichte?

Glück: Nein, wegen der Arroganz der Bauträger. Wir bekamen mal den Auftrag, 200 Wohnungen zu bauen. In diesem Fall waren wir der Wohnungsbaugenossenschaft von einem Stadtrat, der von uns überzeugt war, aufs Auge gedrückt worden. Ich ging zur Genossenschaft, und zur Begrüßung hieß es: „Glauben Sie nicht, dass Sie uns beibringen werden, wie man Wohnungen baut! Das wissen wir schon lange.“

H&K: In Hamburg beklagen viele, sozialer Wohnungsbau sei teuer, es gebe zu kleine oder gar keine Gewinnspannen für die Beteiligten. Konnten Sie mit sozialem Wohnungsbau auskömmlich leben?

Glück: Es scheint außer mir niemand begriffen zu haben, dass eines der universalen Gesetze die senkrechte Ableitung von Kräften ist.

H&K: Was heißt das?

Glück: Es ist wesentlich billiger, so zu bauen, dass Lasten senkrecht in den Untergrund übertragen werden.

H&K: Die Wände der Tiefgaragen tragen das Haus.

Glück: Richtig.

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Harry Glück mit Hündin Paula.

Paula hat ein Geräusch im Treppenhaus gehört. Der stämmige Bullterrier beginnt zu bellen. Erst ein lautes „Paula!“ bringt das Tier wieder zur Ruhe. „Das ist kein Killerhund, sondern ein Schmusehund“, sagt Glück. Derweil schaltet sich sein langjähriger Mitarbeiter Nikolaos Kombotis ins Gespräch ein.

Kombotis: Architekten wollen gerne zeigen, wie toll sie sind. Aufregende Konstruktionen sind jedoch teuer. Und wenn ich teuer baue, kann ich den Leuten im sozialen Wohnbau nur vier Wände und ein Dach bieten. Sparen können Sie vor allem bei der Konstruktion.

H&K: Der Bau von Luxuswohnungen hat Sie nicht interessiert?

Glück: Rund 2000 der 18.000 Wohnungen sind sogenannte Luxuswohnungen – also frei finanzierte Wohnungen, bei denen die Leute das Geld komplett selbst aufbringen mussten. Zum Beispiel die Dachbungalows auf einem der Hochhäuser in Alt-Erlaa, mit riesigen Terrassen und eindrucksvoller Aussicht.

Kombotis: Die Gemeinschaftseinrichtungen sind aber für alle gleichermaßen da: die Schwimmbäder, die Saunen, der Grünraum.

Glück: Und sie gehen durch die gleiche Haustür zu ihrer Wohnung.

H&K: Trügt der Anschein oder wohnt in Alt-Erlaa vor allem die Mittelschicht?

Glück: Die Leute, die sich im sozialen Wohnbau Wohnungen mieten oder kaufen, gehören seit Langem nicht mehr einer Unterschicht an.

H&K: Aber von den Mietpreisen her könnten Menschen mit geringem Einkommen doch in Alt-Erlaa wohnen, wenn sie das Geld hätten, sich in die Genossenschaft einzukaufen.

Kombotis: Heutzutage ist das schwierig geworden, weil die Anteile teuer geworden sind. Als Alt-Erlaa gebaut wurde, waren die Beträge noch niedriger. Man kann aber ein Darlehen bei der Stadt beantragen, um Anteile für eine Sozialwohnung erwerben zu können.

H&K: Ein Verkäufer des Wiener Straßenmagazins „Augustin“ könnte also nach Alt-Erlaa ziehen?

Kombotis: Theoretisch ja. Er muss dann aber ein Darlehen in Höhe von beispielsweise 10.000 Euro 20 Jahre lang zurückzahlen. Ein gewisses Einkommen muss er also haben.

Die Wohnung des Architekten befindet sich im gleichen Haus unter dem Dach. Hier lebt er mit seiner Frau. 220 Quadratmeter, Terrasse, grandiose Aussicht auf Rathaus, Parlament und Stephansdom. Sehnt sich Harry Glück nach Grün, fährt er mit dem Aufzug nach unten und spaziert in seinem Garten unter riesigen Bäumen. Die Bäume dort hat er vor 30 Jahren selbst gepflanzt. Das Schwimmbad? Befindet sich im Keller. Und wird in diesem Haus auch kommuniziert, Herr Glück? „Ausreichend. Den ganzen Tag.“

H&K: Arbeiten Sie noch an Projekten?

Glück: Wir arbeiten an einem Konzept, das wir gerne „Biotop-City“ nennen würden. Ein Quartier, in dem sich Stadt und Natur vermählen.

Text: Ulrich Jonas
Foto: Simon van Hal

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