Wohnpark Alt-Erlaa : Wohnwunder Wien

Sozialwohnungen mit Schwimmbädern auf dem Dach: Der Wohnpark Alt-Erlaa ist ein Beispiel für wunderbares Wohnen in Wien. Das Leben im Hochhaus stört die Bewohner dabei nicht. Im Gegenteil: Viel Gutes wird so erst möglich.

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Dachschwimmbäder, Terrassen, Hobbyräume: versammelt im Wohnpark Alt-Erlaa.

Ungarische Marillen, Erdbeeren, Tomaten: Die Pflanztröge von Brigitte Sack erinnern an die Vielfalt eines Bauerngartens. Nur stehen sie nicht zwischen Wald und Wiesen, sondern auf ihrerTerrasse im achten Stock eines Hochhauses im Wiener Süden. Die 50-Jährige ist auf dem Dorf groß geworden. Sie kennt die Vorzüge und Beschwerlichkeiten ländlichen Lebens gut: „Als Jugendliche fand ich es sehr uncool, dass es keine Infrastruktur gab.“ Als junge Mutter lebte sie später mitten in der Großstadt, „Kind vorne im Tragegurt, Rucksack hinten, Treppen hoch, Treppen runter“. Dass die Pflanzenliebhaberin schließlich zu ihrem heutigen Mann nach Alt-Erlaa gezogen ist, mutet wie die Versöhnung zweier Lebensentwürfe an. Denn der Wohnpark ist ein bestens vernetztes und versorgtes Hochhaus-Dorf. Entworfen vom Architekten Harry Glück – der so bewies, dass sich mit wenig Geld komfortable Sozialwohnungen bauen lassen.

Bauen für Menschen

Seine Vision vom menschenfreundlichen Wohnen erklärt Architekt Harry Glück im Interview mit Hinz&Kunzt.
Drei Riegel mit 3172 Wohnungen. Fast 10.000 Bewohner. Und viel Grün. Brigitte Sacks Ehemann Heinz ist ein „Ureinwohner“ Alt-Erlaas. Vor 36 Jahren zog er in das damals neu gebaute Quartier, bereut hat er es nie. „Das ist hier unvorstellbar kommunikativ!“, schwärmt der 67-Jährige. Der IT-Experte und Hobby-Bastler fand schnell Gleichgesinnte im Modellbauclub, der kostenlos einen der vielen Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss nutzt. „Bei 10.000 Leuten findest du immer einen Freak, der deine Interessen teilt“, sagt seine Frau schmunzelnd. Sie leitet die Gymnastikgruppe, gemeinsam gestaltet das Paar das Wohnpark-Fernsehen. Die vielen Computerbildschirme in ihrem Wohnzimmer zeugen von dem Herzblut, mit dem sie das Projekt betreuen.

Es gibt fast nichts, was es nicht gibt

Sieben Kinder haben die Sacks hier großgezogen. Wie vergleichsweise einfach das war, kann Brigitte Sack anschaulich erzählen: „Heute fehlt ein roter Stift, morgen ein blaues Heft. Da sagen Sie Ihren Kindern einfach: ‚Geh runter in den Kaufpark und hol dir das!‘ Und wenn Sie nicht stinkreich sind, können Sie manches anderswo gar nicht organisieren. Gehen Sie mal mit sieben Kindern ins Freibad!“ Hier mussten die Kids nur mit dem Aufzug ein paar Stockwerke nach oben fahren. Schon waren sie im Dachpool, den alle Mieter kostenlos nutzen können. „Das Genialste ist das Baden“, sagt Sack. „Und da oben haben Sie einen sensationellen Blick.“

Sieben Dachpools. 21 Saunen. Acht Schlechtwetterspielplätze. Drei Sportplätze. Ein Einkaufszentrum. Eine Kirche. Wenn Anton Herlt nach getaner Arbeit über den Dächern der Stadt eine Runde schwimmt, sagen Unwissende manchmal: „Ah, der Herr Hausverwalter geht baden!“ Da antwortet der gebürtige Wiener: „Ich wohne hier auch.“ Als junger Mann hat der gelernte Herrenschneider für Designer Modelle gefertigt und später Modenschauen organisiert.

Durch einen Zufall kam der 60-Jährige zur Gemeinnützigen Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft (Gesiba), der die Häuser in Alt-Erlaa gehören. Seit 27 Jahren arbeitet er für sie, vor acht Jahren ist er hergezogen, „weil es hier alles gibt: Ärzte, Apotheken, Banken, Schulen, Kindergärten – nur einen Friedhof, den gibt es nicht“.

38 Quadratmeter misst Herlts Ein-Zimmer-Apartment, 300 Euro inklusive Nebenkosten zahlt er dafür. „Das ist gar nichts für so eine Wohnung in Wien.“ Kein Wunder, dass sich auf der Warteliste der Wohnungsgesellschaft mehr als 1000 Interessenten befinden.

35 Grundrisstypen, von ein bis fünf Zimmern. Terrassenwohnungen bis in den 12. Stock. 30 organisierte Freizeitangebote, vom Briefmarkenclub bis zum Pfadfinderbund. Im Herzen des Wohnblocks A befindet sich die Kleinkunstbühne Alt-Erlaas. 120 Sitzplätze bietet der Theaterraum, Kabarettisten und Comedians testen hier gerne ihre neuen Programme.

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Anton Herlt schätzt die Ruhe auf seinem Balkon.

Neulich waren die „Brennesseln“ zu Gast, eine der bekanntesten Kabarett-Truppen des Landes. „Eine tolle Geschichte!“, schwärmt Herlt. „So etwas gibt es sonst nirgendwo.“ Ist die Bühne frei, studieren Mädchen aus dem Quartier Musicals ein. Selbst die Aktionäre der Gesiba treffen sich hier, „da steht der Vorstand Rede und Antwort“.

Zwei unterirdische Tiefgaragen-Ebenen. 3400 Stellplätze. Fußwege und Bäume statt Straßen zwischen den Häusern. Offiziell ist Herlt für Falschparker, Reinigung und Bewachung zuständig. Herlt leitet aber auch die Hausmeister an, führt Besucher durch den Wohnpark. Weshalb ihn der Direktor der Wohnungsgesellschaft auch scherzhaft „den Bürgermeister“ nennt. Und tatsächlich: Ein Offizieller könnte nicht begeisterter schwärmen von seinem Quartier.

Wenn der gute Geist von Alt-Erlaa Ruhe sucht, macht er ein Nickerchen im Liegestuhl auf seiner Terrasse. Damit er nicht gestört wird, hat er den Namen der Vormieterin auf dem Klingelschild belassen – das Handy ruft schon oft genug. Herlts Freundin wohnt im Block nebenan, 170 Meter Luftlinie entfernt. Sie ist ein Sinnbild für „die Qualität“ in Alt-Erlaa, sagt ihr größter Bewunderer: „Sie geht für alle alten Frauen ihrer Stiege einkaufen und schleppt sie zum Arzt.“

Text: Ulrich Jonas
Foto: Simon von Hal