Kalender aus dem Karoviertel : Willkommen im Großstadtdorf

Bunt, fröhlich, international: Wie vielfältig das Leben im Karoviertel ist, zeigt ein neuer Kalender über das Quartier mitten in der Stadt – 44 Fotos und mehrsprachige Informationen erzählen darin von den Bewohnern zwischen Messegelände und Heiligengeistfeld.

Karokalender_Grillfest
Mako beim christlich-orthodoxen St. Georgsfest im Karoviertel – einem der wichtigsten Feste der Roma-Gemeinde. Foto: Karokalender.

Echt Schaf – auch das ist typisch Karo. Denn alle Jahre wieder, immer am 7. Mai, weht deftiger Fleischgeruch durchs Karoviertel. Dann feiern die hier lebenden Roma-Familien das christlich-orthodoxe St. Georgsfest: Über offenem Feuer gegrillter Schafsbraten gehört ebenso dazu wie frischgebackenes Brot in Form eines Wagenrads – es soll an die langen Wege erinnern, die Roma auf der ganzen Welt meist gezwungenermaßen zurücklegen mussten. „Für einige Familien hier ist das Georgsfest der wichtigste Feiertag im Jahr“, erzählt die Stadtplanerin und Sozialarbeiterin Hanne Hollstegge, die seit mehr als 25 Jahren im Viertel lebt. „Deswegen sollte auch unbedingt ein Bild davon in unseren Kalender.“

Und so grinst nun auf Seite 15 des von Hanne Hollstegge und der Grafikerin Katrin Bredemeier liebevoll gestalteten 4. „Karokalenders“ der Roma-Junge Mako spitzbübisch in die Kamera, während hinter ihm Lämmer über Kohlenglut schmoren. Es ist nur eins von insgesamt 44 Kalenderfotos, die alle die bunte Vielfalt und das fröhliche Miteinander im Quartier zeigen – oder auch den Kampf um Mitbestimmung, wenn es um die Gestaltung öffentlicher Plätze geht.

Da sieht man das Karoviertler „Urgestein“ Amal Mitali, der seit mehr als 25 Jahren in der Marktstraße Kleidung und Tee aus seinem Heimatland Indien verkauft, gerne einen Klönschnack hält – und das Thema Integration „strunzöde“ findet, wie Hanne lachend erzählt. Ein anderes Bild zeigt die Alte Rindermarkthalle an der Feldstraße, wo Anwohner mit Protesten die Entstehung einer „St. Pauli Music Hall“ verhinderten. „Ein gutes Beispiel dafür, was Engagement bewegen kann“, findet Katrin, die mit ihrer Tochter seit zehn Jahren in der Marktstraße wohnt und ihre Mitarbeit am Kalender genau wie Hanne als  „kleinen Beitrag“ ansieht, sich fürs eigene Umfeld einzusetzen: „Ein bisschen sinnvoll sollte es schon sein, was man so tut, oder?“

Von Anfang bis Ende ein Karo-Ding

Alle Kalenderfotos stammen von den Bewohnern selbst und sind mit Erklärungen auf deutsch, englisch und türkisch versehen. Dazu kommen Hinweise auf christliche, islamische und jüdische Feiertage genauso wie auf zahlreiche Gedenktage. „Eben alles, was für die Bewohner interessant sein könnte“, erzählt Katrin. Der Internationale Frauentag und der Antikriegstag finden nun ebenso Erwähnung wie der Weltvegetariertag. Auch an Veranstaltungstermine in der Umgebung haben die Macherinnen gedacht: Wann ist Dom? Wann welche Messe? Und – besonders wichtig – an welchen Tagen hat der FC St. Pauli ein Heimspiel?

Gültig ist der Kalender noch bis Februar 2014: „Dadurch hatten wir mehr Platz für schöne Bilder“, erklärt Hanne und betont: „Ohne zahlreiche Helfer und die Förderung durch den Sanierungsbeirat hätten wir die Arbeit aber nicht gewuppt.“ Denn Katrin und sie gestalten die Kalender jedes Mal mit viel Herzblut neben ihren eigentlichen Jobs. Um finanziellen Gewinn ging es ihnen dabei nie: Lieber unterstützen sie mit dem Verkauf den gemeinnützigen Verein „Karola“, der im Viertel Beratung und Bildung für Frauen und Mädchen – insbesondere aus Roma-Familien – anbietet.

„Der Kalender ist also von Anfang bis Ende ein Karo-Ding“, sagt Hanne – auch wenn die Idee ursprünglich in Lauenburg entstand. Dort arbeitete Hanne ein Jahr lang in einem Nachbarschaftsprojekt und produzierte gemeinsam mit den Bewohnern einen Kalender über die Geschichte der Stadt. Als Grafikerin stieß später Katrin dazu – und die Zusammenarbeit machte beiden so viel Spaß, dass sie überlegten: „Warum machen wir das nicht auch für unser eigenes Viertel?“

Karokalender_Straßenszene
Buntes Dorf im Großstadtgewusel: das Karoviertel. Foto: Karokalender.

2008 erschien dann der erste Karokalender, der heute bereits eine Art Zeitzeugnis ist: Einige der darin abgebildeten Häuser gibt es nicht mehr. „Diese Veränderungen aufzuzeigen hilft vielleicht, damit sich noch mehr Anwohner einmischen und ihr Zuhause mitgestalten“, hofft Katrin. Hanne und sie möchten das Karoviertel am liebsten als den Rückzugsort bewahren, als den sie es bis heute empfinden: Als buntes Dorf im Großstadtgewusel, wo Jeder Jeden kennt und Platz für verschiedene Kulturen und Lebensentwürfe ist. Mako jedenfalls, der Junge vom St. Georgsfest, ist vom Kalender schon mal begeistert: „Als wir ihm sein Foto gezeigt haben, war er stolz wie Bolle“, erzählt Hanne. Ein bisschen Kritik habe er aber auch loswerden müssen. „In Wirklichkeit“, bemerkte er charmant, „sehe ich noch viel hübscher aus.“

 

 

Text: Maren Albertsen
Fotos: Karokalender

Den Karokalender 2013 gibt es in vielen Läden im Karo- und Schanzenviertel  (u.a. im Karokiosk und im Karomarkt) gegen 3 Euro Spende für den gemeinnützigen Verein „Karola“. Zustellung per Post: Einen Brief mit 5 Euro (2 davon fürs Porto) schicken an: Karokalendergruppe, c/o Hanne Hollstegge, Glashüttenstraße 101, 20357 Hamburg oder als PDF herunterladen. Infos rund ums Karoviertel unter www.karolinenviertel.de

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