Momentaufnahme : „Mein Leben ist okay.“

Christian, 28, verkauft am Jungfernstieg und in der Mönckebergstraße. Sein Hund Socke begleitet ihn auf Schritt und Tritt.

Foto: Mauricio Bustamante

Seine Socke hat er immer bei Fuß. Morgens um fünf, wenn er aufsteht und seinen Schlafsack zusammenrollt, um sieben, wenn er anfängt Hinz&Kunzt zu verkaufen, abends, wenn er zum Parkplatz zurückkehrt, auf dem er Platte macht. Egal, wohin Christian geht – Mischlingshund Socke begleitet ihn. Sockes Vorbesitzer hätten irgendwann keine Lust mehr gehabt, sich um ihn zu kümmern. „Aber ich gebe den kleinen Rabauken nie wieder her“, sagt Christian. „Er ist mein bester Freund.“

Im Grunde auch sein einziger: Als Christian 2008 nach Hamburg kam, kannte er hier niemanden. Der 28-Jährige lebt auf der Straße, verkauft von morgens bis abends Hinz&Kunzt. „Wie soll ich da Freundschaften schließen?“ Immerhin, ein paar „gute Kumpels“ habe er, er wolle sich nicht beschweren: „Mir geht es gut, ich brauche nicht viel, mein Leben ist O.K.“

Das war nicht immer so. Christian wächst in Halberstadt auf, seine Mutter ist Hausfrau, der Stiefvater schiebt Wachdienst bei der Kaserne. Die Familie hat fünf Kinder, „da war das Geld immer knapp“. Als 15-Jähriger beginnt Christian deshalb mit Zeitungaustragen, Schule findet er unwichtig. Den Realschulabschluss wuppt er trotzdem, er fängt auch eine Ausbildung an, zum Fachlageristen. „Leidenschaft war aber nie dabei.“ Er treibt sich lieber rum, bricht die Ausbildung ab, nimmt einen neuen Anlauf, bricht wieder ab. „Von da an ging es bergab.“  Christian stiehlt, betrügt, „baut Scheiße“, wie er es zusammenfasst. Er will nicht ins Detail gehen, aber eins ist ihm wichtig: „Ich war nie gewalttätig.“

2005 muss er für drei Jahre in den Knast. „Da wurde mir klar, dass ich anschließend einen Neustart brauche.“ Nach seiner Haft verlässt er deshalb seine Heimatstadt und fährt nach Hamburg. „Die ersten drei Tage waren toll“, erzählt er. „Ich war auf dem Kiez und habe nur gefeiert.“ Dann das böse Erwachen: „Kein Geld mehr, ich kannte niemanden, hatte weder Job noch Wohnung.“ Aber Christian will nicht zurück. Er hat zwar weiter Kontakt zu seiner Familie, besonders zur ältesten Schwester. „Aber in meinem alten Umfeld wäre ich vielleicht wieder kriminell geworden.“

Also bleibt er, gewöhnt sich, weil es mit einem Hund schwierig ist, einen Platz in einer Notunterkunft zu bekommen, ans Leben auf der Straße – „man gewöhnt sich ja an alles“ – und fängt 2010 bei Hinz&Kunzt an. „Ich verkaufe gerne“, sagt er, „momentan reicht mir das.“ Und in der Zukunft? Christian zögert. „Kochen kann ich ganz gut“, murmelt er dann. Eine Umschulung zum Beikoch, das wäre was. Für seine Leibspeise Milchreis bringt er immerhin schon mal genügend Geduld mit: „Da stehe ich 40 Minuten brav am Herd und rühre. Kein Problem.“ •

 

Hinz&Kunzt: Was hast du in deiner Hosentasche?
Christian: Einen Schließfachschlüssel. Mir wurde neulich alles von meiner Platte geklaut: Isomatte, Schlafsack, Wechselklamotten. Seitdem schließe ich tagsüber alles ein.

H&K: Gibt es ein Erlebnis, das dich besonders geprägt hat?
Christian: Wir haben in der Schule das Buch von Christiane F. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gelesen. Das hat mich so berührt und erschreckt, dass ich mir gesagt habe: Finger weg von Drogen!

Text: Maren Albertsen
Foto: Mauricio Bustamante

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