Jan-Philipp Kalla ist beim FC St. Pauli der Mann, der andere nicht zum Schuss kommen lässt. Außerhalb des Spielfeldes ist „Schnecke“ sozial engagiert. Porträt eines Fußballers, der über den Tellerrand schaut.
(aus Hinz&Kunzt 263/Januar 2015)
St.-Pauli-Kenner wissen es schon lange: „Das is ’n Guter!“ Einer, der sich durchbeißt. Ein Steher. Keiner, den alle sofort erkennen, wenn er morgens Brötchen kauft. Aber einer, der immer zur Stelle ist, wenn man ihn braucht. Auf dem Fußballplatz und auch daneben.
Bescheiden sei er. Beinahe schüchtern, schreiben die Sportreporter. Vielleicht fehle ihm manchmal das Selbstbewusstsein, mutmaßen sie, der poltrige Auftritt. Im Café in Ottensen sitzt man einem Mann gegenüber, der große Ruhe ausstrahlt. Das ist selbstbewusst. Seitdem er 16 Jahre alt ist, spielt Kalla für St. Pauli. Dort nennen ihn alle nur „Schnecke“. Den Spitznamen hat ihm seine Mutter schon als Baby verpasst, weil er sich beim Schlafen so niedlich einrollte. Sollen andere ruhig „Kugelblitz“ und „Walz aus der Pfalz“ heißen, der 28-Jährige, der in Öjendorf aufgewachsen ist, kann mit „Schnecke“ gut leben: „Ich glaube, es gibt schlimmere Spitznamen“, sagt er und lacht.
Seit einer Ewigkeit von zwölf Jahren ist er bei seinem Verein: Hat sich hochgearbeitet: von der A-Jugend über die U-23 zur zweiten Mannschaft bis zu den Profis. Immer am Ball, beharrlich, auch bei Rückschlägen. Davon gab es einige: Nach seinem ersten Einsatz als Profi hockte er fast zwei Jahre auf der Ersatzbank. Heute sagt er: „Das ist Fußball. Man kann entweder den Kopf in den Sand stecken oder beim Training noch mehr Gas geben. Alles andere bringt ja nichts.“
Er musste früh lernen einzustecken: Mit 14 Jahren sortierte ihn sein damaliger Verein HSV (die Ironie!) aus. „Das war für mich ein Weltuntergang“, erinnert er sich. Heute ist klar: Der Weltuntergang brachte ihn zum FC. Über dessen Tabellenplatz sprechen wir kaum („zum Glück!“), nur so viel: Gab schon bessere Zeiten. Schnecke ist zudem verletzt. Innenbandanriss im Knie. Die schlimmste Verletzung, an die er sich erinnern kann. Er lächelt fast entschuldigend. In seiner gesamten Profikarriere hat er nur ein einziges Mal die rote Karte gesehen. Gentleman-Schnecke.
Schnecke engagiert sich
Ein wenig erinnert er an den jungen Pierre Littbarski. Andere Zeit, aber ähnlicher Typ: schmal, wendig, verschmitzt, Ball flach halten, statt auf dicke Hose machen. Schnecke engagiert sich: Er ist Pate bei den „Kiezhelden“ seines Vereins, unterstützt soziale Projekte im Stadtteil, macht sich gegen Rassismus und Sexismus stark.
Mit seinem Kollegen Robin Himmelmann hat er kürzlich eine Kleiderspende organisiert. Zwei Transporterladungen voll mit Winterkleidung haben sie an soziale Einrichtungen wie das CaFée mit Herz verteilt. „Ich bin in letzter Zeit viel zur Reha gefahren mit Bus und Bahn. Allein auf den kurzen Strecken ist mir schnell kalt geworden – wie muss es für Leute sein, die den ganzen Tag und die Nacht draußen sein müssen?“
Gemeinsam mit anderen Hamburger Promis bediente er Hinz&Künztler bei der traditionellen Weihnachtsfeier. „Ich sehe die Verkäufer oft vor Supermärkten stehen“, sagt Schnecke, „gerade jetzt im Winter ist das hart.“
Die Einstellung, über den eigenen Tellerrand zu schauen, verdankt er seinem Elternhaus. „Meine Mutter ist Krankenschwester, vielleicht hat das auch etwas damit zu tun“, sagt er. Sich kümmern, das gehört für Schnecke auch einfach zu St. Pauli: zum Stadtteil und zu seinem Verein. Dessen Motto „You’ll Never Walk Alone“ hat er verinnerlicht. Jetzt muss bloß noch das Knie wieder funktionieren. Am 5. Januar ist erster Trainingstag im neuen Jahr. Schnecke will wieder durchstarten.
Text: Simone Deckner
Foto: Daniel Cramer
Weitere Informationen: www.kiezhelden.com