Ein neuer szenischer Stadtrundgang erzählt seit dieser Woche von der Unterdrückung homosexueller Liebe in Hamburg quer durch die letzten Jahrhunderte. Mit dabei: die Schauspielerin Beate Kiupel. Gesetze gegen Liebe, sagt sie, darf es nicht geben.
Am 2. Juli 1980 packt Corny Littmann einen Hammer ein und macht sich auf den Weg in die Hamburger Innenstadt. Sein Schmidt Theater auf dem Spielbudenplatz gibt es noch nicht, das Schmidts Tivoli erst recht nicht.
Aber Littmann hat längst sein Leben der Bühne verschrieben: Mit seiner bunten Truppe „Brühwarm“ tourt er seit Jahren durch die Bundesrepublik und bietet offensives schwules Theater. Zugleich drängt es ihn in die Politik, er will für die Hamburger Grün-Alternative Liste in den Bundestag einziehen. Und er will damals ganz praktisch etwas gegen die vermutete städtische Überwachung von homosexuellen Männern unternehmen.
So geht er die Treppen der öffentlichen Herrentoilette am Jungfernstieg hinunter. Im Toilettenraum packt er den Hammer aus und zerschlägt mit ein paar entschlossenen Schlägen einen Spiegel, der an der Wand hängt. Dahinter wird ein Raum sichtbar und ein Stativ mit einer Kamera.
Die Polizei hat in dieser und anderen öffentlichen Toiletten im Innenstadtbereich durch Spiegel hindurch seit Jahren die hier pinkelnden Männer beobachtet. Es hätte sich um „Relikte aus der Zeit der schärferen Strafandrohung für homosexuelle Handlungen“ gehandelt, wird am nächsten Tag der damalige Innensenator verdruckst melden lassen und dann auch die Existenz von sogenannten Rosa Listen zur Erfassung homosexueller Männer eingestehen. Wer hätte damals gedacht, dass eines Tages ganz selbstverständlich ein schwuler Bürgermeister Hamburgs Geschicke lenken würde? Einerseits.
Andererseits ist „Schwuler“ nicht nur auf Schulhöfen noch immer ein Schimpfwort; entzünden sich erbitterte Debatten wie unlängst in Baden-Württemberg, wo Zehntausende Bürger eine Petition gegen die Gleichstellung Homosexueller unterzeichneten. Der szenische Stadtrundgang „Verbotene Wege der Liebe“ will nun auf die lange Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung Homosexueller in Hamburg aufmerksam machen und sich für deren Gleichstellung engagieren. Veranstalter ist Hamburgs Landeszentrale für Politische Bildung, deren Leiterin Rita Bake die elf kleinen Szenen verfasst hat, die alle in der Innenstadt spielen.
Der Weg führt vom ehemaligen Schweinemarkt an den Langen Mühren, wo 1701 ein Prozess gegen zwei Hökerinnen wegen „begangener Sodomie“ seinen Anfang nahm, über die einstige Gestapo-Zentrale an der Stadthausbrücke bis zum Valentinskamp Nummer 57, wo es in den 60er-Jahren Besuchern der Männerbar „Bohème“ behördlich untersagt war, miteinander zu tanzen. Das würde den Wunsch wecken, mit dem Partner Unzucht zu treiben, wie seinerzeit das Bezirksamt Mitte dem „Bohème“-Wirt schriftlich mitteilte. Auch am Jungfernstieg wird man Halt machen und erzählen, was sich im Sommer 1980 über Littmanns „Spiegel-Affäre“ hinaus in Hamburg ereignete.
In der Umsetzung kann Bake auf ein bewährtes Schauspielerteam zurückgreifen: Herma Koehn, Thomas Karallus und Dieter Schmitt kennt man aus diversen Hamburger Theatern – vom Altonaer Theater bis zum Winterhuder Fährhaus, von Film- und Fernsehrollen sowie als Hörspielsprecher. Mit dabei ist auch wieder Beate Kiupel, die von Anfang an auf den szenischen Rundgängen der Landeszentrale auftritt, etwa bei den Rundgängen „Immer wieder Theater mit den Frauen“ oder „Noch mehr Theater mit den Frauen“.
Beate Kiupel ist in Hamburg aufgewachsen, begeisterte sich fürs Schultheater, dann fürs Amateurtheater, schloss aber erst einmal eine Lehre als Industrie-Kauffrau ab, um danach am „Hamburgischen Schauspielstudio“ ihren eigentlichen Beruf zu erlernen. Sie ging zunächst nach Braunschweig ans dortige Staatstheater, wurde später für eine kleine, hochdeutsche Rolle im Weihnachtsmärchen am Ohnsorg-Theater engagiert. Weil eine Kollegin ausfiel, erhielt sie ihre erste, größere Rolle am Ohnsorg, für die sie ins Plattdeutsche wechseln musste. Mit Erfolg: Seit 1988 gehört sie zum Ensemble.
Szenenwechsel: die Schneiderei im Ohnsorg-Theater im Bieberhaus am Hauptbahnhof, wo es seit drei Jahren nach seinem Wegzug von den Großen Bleichen residiert. Nun ist das Ohnsorg-Theater zwar nicht der Veranstalter des Verbotene-Wege-der-Liebe-Rundganges. Aber die Landeszentrale für politische Bildung verfügt natürlich nicht über einen Fundus; sie hat keine Garderobenständer voller Hosen, Mäntel oder Kleider, an denen sich Beate Kiupel und ihre Mitstreiter bedienen könnten: „Und also ist das Ohnsorg so lieb und stellt uns auch diesmal, was wir an Kostümen brauchen.“
Wobei nicht nur das Ausleihen von Kostümen hilft: „Es gibt ja bei den verschiedenen Stationen draußen auf der Straße oft keine Möglichkeit, sich irgendwo in einer Ecke mal schnell umzuziehen. Was machst du also, wenn du eben noch ein Kleid aus dem 18. Jahrhundert trägst und du drei Stationen später in den 20er-Jahren angekommen bist und im kleinen Schwarzen ein Gedicht vortragen willst?“, fragt Kiupel. Sie streicht mit ihren Händen an den Hüften entlang: „Du musst Kleid für Kleid alles in Schichten übereinander tragen! Und damit das passt und damit das auch klappt, tüfteln wir das hier in der Schneiderei mit ganz viel Spaß zusammen aus.“
Überhaupt haben es die szenischen Rundgänge in sich, ganz unabhängig vom Thema: „Es ist Straßentheater, es kann regnen, es ist vielleicht kalt, man muss sich auf unvorhergesehene Baustellen einstellen, da fliegt plötzlich ein Hubschrauber über einen hinweg, da ruft jemand: ,Sie sind so leise, ich kann Sie gar nicht verstehen‘, dann ruft man zurück: ,Na, dann kommen Sie doch näher!‘, und bei allem musst du konzentriert bleiben.“
Das wird ihr auch diesmal gelingen, keine Frage, und es wird auch wieder viel Spaß machen. Und doch wird es wohl anders werden: „Wenn ich historische Frauenrollen spiele, wo es um das Wahlrecht für Frauen geht, darum, dass Mädchen in die Schule gehen dürfen oder dass du als Frau deinen Namen behalten kannst, wenn du heiratest, da gehst du nicht mit so einem Herzklopfen ran – denn dass das richtig ist, darüber sind wir uns heute alle einig.“
Aber gibt es diese Einigkeit auch mit Blick auf die Gleichstellung von Schwulen und Lesben? Sie wiegt den Kopf und sagt: „Es ist keinesfalls zu akzeptieren, dass man Menschen verbietet, die Person zu lieben, die er oder sie liebt. Man kann doch keine Gesetze gegen Liebe erlassen. Liebe ist doch das Wichtigste!“ Und sie schaut kurz in ihr Textheft, rollt es zusammen und sagt: „Ich habe ziemlichen Respekt vor diesem Rundgang, weil das Thema noch so aktuell ist.“
Text: Frank Keil
Fotos: Dmitrij Leltschuk
„Verbotene Wege der Liebe – ein szenischer historischer Rundgang durch Hamburgs Innenstadt“, Termine: Fr, 6.6., 18.30 Uhr; Mo, 9.6., So, 15.6., jeweils 15 Uhr; Mi, 18.6., Fr, 20.6., Sa, 21.6. und Mi, 25.6, jeweils 18.30 Uhr. Treffpunkt: Kleine Alster – Schleusenbrücke, an der Seite des Rathauses, Eintritt: 10 Euro; nur Vorverkauf an der Kasse im Infoladen der Landeszentrale, Dammtorwall 1; geöffnet Mo–Do, 12.30–17 Uhr, Fr, 12.30–16.30 Uhr
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