Rund 300 sogenannte Lampedusa-Flüchtlinge halten sich in Hamburg auf, doch nur 51 wohnen in Unterkünften der Stadt. Und die anderen? Wohnprojekte haben über den Winter 150 Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Doch das ist keine dauerhafte Lösung.
Ein karger Kellerraum, knappe 20 Quadratmeter groß. Darin zwei große Matratzen, ein Fernseher und ein kleiner Tisch. Das ist seit einem halben Jahr die Herberge für den 32-jährigen Etienne aus Mali. Im Flur eine kleine Küche und nebenan eine Dusche, die er und seine drei Mitbewohner aus der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ mitbenutzen dürfen. Im Fernsehen läuft ein US-Amerikanischer Spielfilm, den sich die gut gelaunten Flüchtlinge Sonntagnachmittag ansehen, obwohl sie kaum ein Wort verstehen und draußen die Frühlingssonne scheint. „Das hier ist zwar nicht mein Zuhause“, sagt Etienne, „aber es fühlt sich so an.“
Etienne gehört zu den etwa 300 Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr über Libyen und Italien nach Hamburg gekommen sind und seither hier für ein Bleiberecht kämpfen. Zu Beginn schlief er hier auf der Straße, oft unter einer Brücke der U3 im Barmbek. An diese Zeit denkt er sehr ungerne zurück: „Ich möchte das alles komplett vergessen“, sagt er. „Wir waren so müde und hatten teilweise nicht mal zu Essen. Wir haben sehr gelitten.“ Fragt man ihn nach Details, wird Etienne still. Für ihn steht fest: Auf die Straße will er nie wieder zurück. Aber vielleicht muss er das.
40 private Unterkünfte in ganz Hamburg
Denn seine derzeitige Unterkunft war nur eine Notlösung für den Winter: Das so genannte „solidarische Winternotprogramm“ war von Beginn an nur bis zum Mai geplant. An 40 Orten in der ganzen Stadt haben private Initiativen etwa 150 Flüchtlinge aus der Lampedusa-Gruppe über den Winter untergebracht. Meistens eher notdürftig als komfortabel. In manchen Unterkünften schlafen 20 Personen, in anderen nur vier. So wie bei Etienne, der in einem linken Wohnprojekt auf St. Pauli untergekommen ist.
Dass die privaten Flüchtlingsunterstützer damit den Behörden Arbeit abnehmen, wissen sie. „Es ist eigentlich Aufgabe der Stadt, Unterkünfte für Menschen, die kein Obdach haben, zur Verfügung zu stellen“, sagt Stephan. Der 36-Jährige ist einer von Etiennes Gastgebern. Er sieht die private Unterstützung durchaus kritisch. „Aber uns ist die Not der Menschen näher und wir helfen.“
„Die Stadt muss den Menschen endlich helfen!“
Dahinter verbirgt sich der Konflikt zwischen den Flüchtlingen und ihren Unterstützern auf der einen und der Stadt Hamburg auf der anderen Seite. Während die einen ein kollektives Bleiberecht für die ganze Gruppe fordern, berufen sich die Behörden auf EU-Recht: Weil die Afrikaner bereits in Italien als Flüchtlinge anerkannt sind, hätten sie in Hamburg keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Diese Haltung hat die Innenbehörde jüngst noch einmal bekräftigt. Sie bietet nur denjenigen eine Unterkunft an, die sich ihr mit vollem Namen offenbaren und einen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung stellen. 67 Afrikaner haben das bereits getan, doch die anderen fürchten den möglichen Ausgang des Verfahrens: die Abschiebung nach Italien.
Neue Hoffnung auf ein Bleiberecht nährt ein Gutachten über den Paragrafen 23 des Aufenthaltsgesetzes, das so genannte Gruppenlösungen für Flüchtlinge regelt. Demnach liegt die Entscheidung darüber in der Hand des Hamburger Senats.
„Bevor man über alles weitere nachdenkt, müsste man den Menschen erst mal ein Dach über dem Kopf geben“, sagt Unterstützer Stephan. Doch der Senat blieb auch nach den vielen Demonstrationen im vergangenen Herbst bei seiner Haltung und stellte den Flüchtlingen keine Unterkünfte zur Verfügung, an deren Nutzung keine Bedingung geknüpft war. „Ich find’s unmöglich, dass die Stadt einfach nicht bereit ist, das zu tun“, sagt Stephan. Als es draußen kalt wurde, richteten er und seine Mitbewohner kurzer Hand das Gästezimmer im Keller des Hauses her, um Etienne, Aboucare, Abdoulkarim und Mohamed über den Winter zu bringen.
„Sie sind wie Brüder für uns“
Die Flüchtlinge sind sehr dankbar für die Gastfreundschaft: „Sie sind hier wie Brüder für uns“, sagt Etienne. „Manchmal laden sie uns sogar auf Konzerte ein. Dann zahlen sie die Karten und wir gehen zusammen dort hin.“ Auch fürs Essen bekommen die Männer Spenden aus dem Haus, die sie in der eigenen Kochnische zubereiten können. Etienne schaut zufrieden und sagt: „Wir sind hier sehr entspannt.“
Die Frage ist, wie lange noch. Denn aus den meisten privaten Unterkünften müssen die Afrikaner im Mai ausziehen. Die Gastgeber brauchen die Räume selbst – und auf Dauer wollen sie es den Behörden auch nicht so einfach machen. „Es müsste für den Senat eine Selbstverständlichkeit sein, für eine angemessene Unterkunft und Versorgung der Flüchtlinge zu sorgen“, heißt es in einem Positionspapier der Unterstützer. Übernimmt die Zivilgesellschaft diese Aufgaben, kann der Senat sich zurücklehnen. Sind die Flüchtlinge im Stadtbild wieder sichtbarer, wäre das auch ein „politisches Zeichen“, findet Stephan.
Container bei den Kirchen werden abgebaut
Auch anderen Flüchtlingen aus Lampedusa steht ein Umzug bevor. 51 Afrikaner, die sich in das offizielles Anerkennungsverfahren bei der Innenbehörde begeben haben, leben seit dem Herbst in Wohncontainern auf dem Gelände verschiedener Kirchengemeinden. Spätestens Ende Mai ist damit Schluss, sagt Pastor Martin Paulekun von der St. Pauli Kirche: Dann werden die Container abgebaut und die Flüchtlinge sollen in eine reguläre Flüchtlingsunterkunft der Sozialbehörde ziehen, bis ihr Verfahren beendet ist. Also bis sie eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten oder abgeschoben werden.
Für die Flüchtlinge aus dem privaten Winternotprogramm wäre ein Einzug in eine öffentliche Unterkunft nur eine Option, wenn sie sich ebenfalls namentlich bei der Behörde melden würden. Weil sie befürchten, dann abgeschoben zu werden, wollen sie das nicht. So wird ihnen die Sozialbehörde jedoch keine Hilfe gewähren. „Das dürfen wir gar nicht“, sagt ein Behördensprecher. „Die Bürgerschaft würde uns aufs Dach steigen.“
Muss Etienne also nach einem halben Jahr wieder auf die Straße? „Ich glaube schon“, sagt er bedrückt. Zwar würde er eine Menge Leute in Hamburg kennen, die er um Hilfe bitten könnte. „Aber die sind alle in der selben Lage, wie ich. Sie haben kein Haus, das sie mir geben könnten.“
Text: Benjamin Laufer
Fotos: Mauricio Bustamante