Mit drei Jahren trat Joanna Kamenarska mit einem Akkordeon in ihrem Kindergarten auf. Heute ist die Geigerin zweite Konzertmeisterin an der Hamburgischen Staatsoper. Als Solistin spielt sie am Mittwoch bei einem Konzert der Hamburger Camerata zugunsten von Hinz&Kunzt.
Ach, dieser Wind! Und der blaue Himmel über der Elbe. Geht es schöner? Gerade war sie arbeitsmäßig eine Woche in Wien, spielte beim Wiener Kammerorchester. Und auch sonst sei Wien eine tolle Stadt: „Aber mir wurde mal wieder klar, was für eine gute, frische Luft wir hier in Hamburg haben“, sagt sie und setzt ihre Sonnenbrille auf.
Es war kein gradliniger Weg, der Joanna Kamenarska (37) nach Hamburg geführt hat. Er beginnt, als sie mit zwei, drei Jahren daheim in Sofia neben ihrer Mutter am Klavier steht und anfängt, gleichfalls die Tasten zu drücken. „Die Tasten waren meine große Liebe. Ich hatte zunächst auch ein Akkordeon, bin damit in meinem Kindergarten aufgetreten, habe dazu gesungen. Aber meine Mutter hat am Ende entschieden, mir eine Geige zu geben.“
Bulgarien ist in jenen Jahren des Staatssozialismus eine graue, triste Angelegenheit. Doch das staatliche Schulsystem mit seinen Musikschulen, die man ab der ersten Klasse und dann durchgehend besuchen kann, erlaubt dem Kind eine solide Ausbildung seines Talents: „Ich hatte nie das Gefühl, dass in meiner Kindheit etwas zu kurz gekommen ist.“
Noch dazu hat sie das Glück, dass ihr Geigenlehrer sie unterstützt und fördert. Als es langsam auf das Abitur zugeht, hat er eine Idee: Sie solle doch anschließend in Salzburg studieren, in der Meisterklasse von Ruggiero Ricci, einem der weltbesten Geiger. „Er ist eine Legende des vergangenen Jahrhunderts“, sagt Joanna Kamenarska voller Ehrfurcht.
Beim ersten Mal sind sie vier Schüler, vier Streicher. Ein Quartett also – und keiner von ihnen wird genommen. „Aber ich habe ein Zeichen bekommen, dass er auf mich ein Auge geworfen hat. Er hat mir ein kleines Geschenk gemacht. Und das war so viel Motivation, dass ich angefangen habe, wirklich zu üben; ich wurde in diesem Jahr 16.“ Und sie lacht und sagt: „Ich bin von Natur aus nicht so sehr fleißig. Aber es wurde für mich ein starkes Jahr. Ich hatte eine gute Phase, habe auch einige Wettbewerbe gewonnen.“
Benefizkonzert der Hamburger Camerata für Hinz&Kunzt
In Salzburg baut sie ihre Karriere auf und holt nebenbei das Abitur nach. Erste Engagements folgen, Konzerttourneen führen sie durch ganz Europa. Dazu weitere Preise, CD-Einspielungen; jede Menge Gastspiele. Dann der Wechsel nach Hamburg: „Ich war an einem Punkt angekommen, wo sich manche Türen nicht öffnen wollten, so gerne ich das auch wollte. Also musste ich etwas ändern.“ Sie bewirbt sich auf freie Stellen an großen Orchestern, beinahe egal wo.
Die zweite Einladung kommt aus Hamburg: „Ich bin zum Vorspielen im letzten Moment mit dem Nachtzug nach Hamburg gekommen, es war fast ein bisschen chaotisch.“ Egal – das Sinfonieorchester des NDR bietet ihr eine befristete Stelle, bald wechselt sie auf eine feste Stelle an der Staatsoper.
Sie hält Kontakt nach Bulgarien, keine Frage. Wo es doch mittlerweile einen Direktflug von Hamburg nach Sofia gibt. „Ich bin noch sehr verwurzelt in Bulgarien, zugleich versuche ich immer mehr, nicht so auf diesen Wurzeln zu beharren“, sagt sie. Schließlich könne sie auch woanders leben: „Die Sprache lerne ich, und die Menschen sind vielleicht ein bisschen anders, aber es sind überall Menschen.“ Zum Schluss verrät sie, was derzeit ihr Lebensmotto ist, das in die Zukunft führt: „Ich bin dort, wo ich bin.“
Text: Frank Keil
Foto: Dmitrij Leltschuk