Sozialsenator Detlef Scheele hat am Montag das Winternotprogramm vorgestellt: Ab dem 1. November bietet die Stadt 700 Obdachlosen eine Unterkunft. Erstmalig wird allerdings zwischen Obdachlosen mit und ohne Rechtsanspruch unterschieden.
Insgesamt 700 Schlafplätze stellt die Sozialbehörde zusammen mit dem städtischen Unterkunftsbetreiber Fördern & Wohnen in diesem Jahr zum Start des Winternotprogramms bereit. Das ist eine deutliche Steigerung zum Vorjahr, als das Winternotprogramm mit 252 Plätzen startete. Damals, so Sozialsenator Detlef Scheele, hätte man die Zahl auf bis zu 900 Plätze aufstocken müssen.
Nur 113 Menschen wurden nach Angabe der Behörde im vergangenen Jahr aus dem Winternotprogramm in eine dauerhafte Wohnunterkunft vermittelt. Das kritisiert Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer: „Solange es nicht gelingt, mehr Menschen in eine Wohnung zu vermitteln, wird das Winternotprogramm von Jahr zu Jahr größer werden.“ Karrenbauer geht davon aus, dass auch in diesem Jahr weitere Plätze geschaffen werden müssen. Laut Sozialsenator Scheele gäbe es inzwischen aus der Bevölkerung zwar reichlich Unterstützung für wohnungslose Menschen und nur wenig Protest gegen neue Unterkünfte in der Nachbarschaft. Trotzdem räumt er ein: „Es wäre nicht einfach, weitere Plätze zu schaffen.“
In der Spaldingstraße wird in Vier- bis Acht-Bett-Zimmern übernachtet
Zentrale Anlaufstelle in den Wintermonaten ist für Obdachlose die Spaldingstraße 1. Das ehemalige Bürogebäude wurde von der Behörde in einer akuten Notsituation vor drei Jahren für das Winternotprogramm hergerichtet. Inzwischen ist aus der Übergangs- eine Dauerlösung geworden. 230 Obdachlose können hier ab 1. November Platz übernachten. Die kleineren Zimmer bieten vier Personen Platz. In größeren Räumen stehen bis zu acht Betten. Von 17.30 Uhr bis 9 Uhr morgens können sich die Obdachlosen hier aufhalten, essen und schlafen.
Ein Rundgang durch das Winternotquartier in der Spaldingstraße 1 hinterlässt ein beklemmendes Gefühl: In Raum 1.13 im ersten Stock stehen vier Etagenbetten und ein Tisch, aber kein Schrank. Schließfächer gibt es nur im Erdgeschoss beim Einlass. Das Zimmer ist rund 20 Quadratmeter groß. Die Wände könnten einmal weiß gewesen sein, inzwischen blättert die vergilbte Tapete ab. Durch ein faustgroßes Loch in der Wand dringt nicht nur der Lärm der Straße, sondern auch kalte Luft herein. „Die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen“, erklärt ein Mitarbeiter. Deswegen hätte man Lüftungslöcher in die Wände gebohrt. Zu den insgesamt zehn Duschen müssen die Obdachlosen hinab ins Erdgeschoss. Hier befinden sich auch die Aufenthaltsräume. Tagsüber können diese nicht genutzt werden: Jeden Morgen um 9 Uhr müssen die Bewohner das Haus wieder verlassen.
Leerstehende Schulgebäude für Menschen „ohne Rechtsanspruch“
Es geht aber noch schlechter: Im Unterschied zu den Vorjahren wird dieses Mal eine deutliche Trennung zwischen Menschen mit und ohne Rechtsanspruch erfolgen. Obdachlose ohne Rechtsanspruch, das sind aus Sicht der Behörde meist Flüchtlinge aus Afrika oder auch Wanderarbeiter aus Bulgarien und Rumänien. Sie werden ab dem 4. November in eine ungenutzte Schule vermittelt. In der Weedestraße (Horn) und in der Hammer Straße (Marienthal) stehen jeweils 150 Plätze zur Verfügung.
Der Unterschied zu den anderen Unterkünften? „Die Menschen kommen in ehemaligen Klassenräumen unter. Die Belegung wird dort höher sein“, so Scheele. Es handele sich bei diesen Obdachlosen meist um Menschen aus ärmlichen Regionen mit geringer Bildung, so Scheele. Zusammen mit der Anlaufstelle für wohnungslose EU-Bürger und dem Flüchtlingszentrum will die Behörde die Hilfesuchenden zu ihren Rechtsansprüchen in Deutschland beraten und ihnen gegebenenfalls Rückkehrhilfen anbieten. „Unsere gemeinsame Aufgabe besteht darin, die Hilfesuchenden offen und ehrlich über ihre Perspektiven in Hamburg zu beraten“, so Scheele. „Niemandem ist geholfen, wenn er mit falschen Hoffnungen nach Hamburg kommt und nicht frühzeitig über seine Chancen aufgeklärt wird.“
Am Freitag startet die Platzvergabe für das Winternotprogramm morgens in der Tagesaufenthaltstätte in der Bundesstraße: 100 Plätze gibt es in Wohncontainern bei unterschiedlichen Kirchengemeinden. Wer hier einen Platz ergattert, der hat eine dauerhafte Bleibe für die Wintermonate sicher. Alle anderen werden sich ab Freitag Abend regelmäßig in der Spaldingstraße 1 anstellen. Obdachlose, die aus Sicht der Behörde keine Rechtsansprüche haben und also nicht in der Spaldingstraße bleiben dürfen, werden abends von hier aus per Shuttle-Bus zu den Unterkünften in den Schulen transportiert.
Keine Lösung bietet das Winternotprogramm bislang für Familien. Sie müssen entweder weiter auf der Straße leben oder werden getrennt untergebracht: Die Eltern im Winternotprogramm, die Kinder beim Jugendnotdienst. Diakoniechefin Annegrethe Stoltenberg sagt dazu: „Natürlich gehören Kinder eigentlich nicht in ein Winternotprogramm.“ Sie plädiert dafür, dass die Stadt dort trotzdem entweder geeignete Plätze für Familien schafft oder sie gemeinsam in regulären Unterkünften unterbringt. „In einer solchen Notsituation dürfen Familien nicht auch noch getrennt werden.“
Text: Jonas Füllner
Foto: Dmitrij Leltschuk