Knall auf Fall die Wohnung räumen. Ein Albtraum, der am Donnerstag für die Mieter in der Woltmanstraße 20 im Münzviertel Realität wurde. Das Bauprüfamt befürchtet akute Einsturzgefahr. Jetzt sollen die Mieter nach Horn ziehen.
Vor der Woltmanstraße 20 im Münzviertel türmen sich Einrichtungsgegenstände auf: Ein Tisch, zwei Schränke, zahlreiche Umzugskartons und weiterer Hausrat. Felim Sheridan-MacGinnity steht davor, in der Hand hält er eine Deckenleuchte. „Ich kann noch immer nicht fassen, was hier passiert.“ Am Mittwoch hatte es um 17 Uhr an seiner Tür geklingelt. „Als ich aufmachte, standen mir eine Dame von der Hausverwaltung und zwei Herren von der Bauprüfung gegenüber und erklärten, dass wir bis heute um 12 Uhr das Haus räumen müssen.“
„Das Gebäude ist akut einsturzgefährdet“, bestätigt Norman Cordes, Pressesprecher des Bezirksamtes Mitte. „Der Eigentümer hatte Sanierungsmaßnahmen geplant“, so eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung Wentzel Dr. GmbH. Das Haus gehöre dem dänischen Investmentfond Core Property Management. Bei einer Begehung des Gebäudes seien Mängel an der Statik festgestellt wurden. Der Eigentümer habe sich am Mittwoch an den Bezirk gewendet, so Cordes. „Deswegen wurde die Bauprüfung eingeschaltet.“ Diese habe unverzüglich geprüft und dabei die massiven Mängel festgestellt. Die Konsequenz: Alle Mieter mussten am Donnerstag das Haus verlassen.
„Gewohnt haben hier viele Studierende, aber auch eine Familie, eine bettlägerige und eine ältere Frau, deren Ehemann gerade erst vor drei Wochen gestorben ist“, so Sheridan-MacGinnity. Für ihn wie auch die Nachbarn kam die Mitteilung aus heiterem Himmel. Sorgen um die Statik des Gebäudes habe er sich bislang nicht gemacht. „Das Haus hat zwei Weltkriege überstanden“, so Sheridan-MacGinnity. „Uns wurde vor längerer Zeit mitgeteilt, dass das Fundament abgesackt sei. Diese Schäden waren also bekannt. Aber es war nie die Rede davon, dass wir möglicherweise aus dem Wohnungen heraus müssten.“
Auszug wegen Einsturzgefahr
Gegen Mittag trugen die Bewohner und Umzugshelfer die letzten Gegenstände aus ihren Wohnungen.
Alles musste raus. Am Abend zuvor erfuhren die Bewohner, dass sie die Wohnungen verlassen müssen.
Nicht alles passte in die Umzugswagen. Hausrat lagert noch vor dem Gebäude.
Ob und wann die Mieter zurückkehren können, ist noch offen.
An der Pinnwand hängt noch die Notiz „Anruf beim Mieterschutzbund“.
Bis in die Mittagsstunden waren die Bewohner damit beschäftigt, ihre Wohnungen zu räumen. Der Schock ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Verloren sitzen sie zwischen ihren Einrichtungsgegenständen, die inzwischen in Lieferwagen lagern. Unterstützt wurden sie beim Ausräumen von einem Hausmeisterservice. „Der war überraschend schnell zur Stelle“, so Sheridan-MacGinnity. Fast wirkt es so, als sei der Auszug von langer Hand geplant. Auf die Räumungsverfügung der Bauprüfung mussten die Bewohner dagegen lange warten. Absurd die Begründung des Vermieters: „Den Bewohnern wurde erklärt, dass die Schreiben zu lang seien“, so Siegmund Chychla, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg. Chychla will nun der Entscheidung der Bauprüfung auf den Grund gehen. Er hat den Bezirk genauso wie die Hausverwaltung um Auskünfte gebeten.
„Das geht alles nicht mit rechten Dingen zu“, so Sheridan-MacGinnity. In Hamburg herrscht Wohnungsmangel. Der dänische Investmentfond Core hätte den Mietern aber sofort acht freie Wohnungen angeboten. „Das ist doch überraschend, oder nicht?“ Bereits am gleichen Abend wurden den Mietern neue Wohnungen präsentiert. Aus Sicht von Wentzel Dr. ein Erfolg: „Wir haben es geschafft, innerhalb kürzester Zeit für alle Mietparteien Ersatzwohnungen zu finden“, berichtet die Mitarbeiterin im Gespräch mit Hinz&Kunzt. Die Mieter hingegen sind nicht zufrieden. „Wir sollen jetzt raus nach Horn ziehen“, so Sheridan-MacGinnity. „Und wir haben nur eine Zwei-Zimmer-Wohnung bekommen. Wie soll das gehen? Wir haben zu dritt in unserer WG gewohnt.“
Unterstützung erhalten die Mieter vom Mieterverein zu Hamburg. „Wichtig ist, dass jetzt keine vorschnellen Entscheidungen vom Bezirk getroffen werden“, so Chychla. Er fordert den Bezirk dazu auf, gründlich zu prüfen und nicht voreilig einen Abrissantrag zu erteilen. Den Bewohnern rät der Mieterverein die Ersatzwohnungen in Anspruch zu nehmen, aber keine Vereinbarungen mit der Verwaltung zu unterzeichnen. „Dem Vermieter muss klar sein: Die alten Mietverhältnisse bleiben bestehen, auch wenn die Mieter nun übergangsweise in eine Ersatzwohnung ziehen“, so Chychla. Eine Rückkehr zu gleichen Bedingungen sei möglich, sobald die Standfestigkeit des Gebäudes wieder hergestellt sei.
Text: Jonas Füllner
Fotos: Mauricio Bustamante / Jonas Füllner