Aus Hamburg zurück nach Saudi-Arabien: Diesen Schritt geht die Hauptfigur in Rasha Khayats Debütroman „Weil wir längst woanders sind“. Wir haben die deutsch-arabische Schriftstellerin dazu befragt.
Wir treffen uns am 6. Juli in einem Szenecafé in der Bellealliancestraße. An dem Tag, an dem die Moslems ihr Zuckerfest feiern, das Ende des Ramadan. So wichtig wie Weihnachten bei Christen. Ich kann nicht anders und frage Rasha Khayat, Tochter einer Deutschen und eines Saudis, wie sie sich nach den jüngsten Anschlägen fühlt. Die jüngsten Anschläge sind seinerzeit die in Istanbul, Bagdad und Medina. Und jetzt, da ich diesen Artikel schreibe, kommt es mir so vor, als sei es schon lange her. „Das ist grauenvoll“, sagt die Übersetzerin, Bloggerin und seit Neuestem auch Schriftstellerin. „Mitten im Ramadan. Jetzt kann doch niemand mehr auf die Idee kommen, dass es sich bei den Tätern um gläubige Moslems handelt. Es sind Terroristen, die ihre eigenen Leute völlig ziellos niedermetzeln.“
Zum Glück nimmt mir Rasha die Frage nicht übel. Immer wieder wird die 37-Jährige nach ihrer speziellen Meinung gefragt. Als hätte sie Expertenwissen. Als ganz junge Frau hat sie das belastet: ständig Stellung beziehen zu müssen – am besten gegen die arabische Welt und den Islam. Inzwischen geht sie mit dem Thema in die Offensive. In ihrem Blog, als „westöstliche Diva“, stößt sie ein deutsches Fenster nach Arabistan auf, wie sie selbst sagt. Und in ihrem Romandebüt „Weil wir längst woanders sind“ geht es genau um den Spagat zwischen den Kulturen – und das Zugehörigkeitsgefühl.
Ihr Roman dreht sich um ein Geschwisterpaar um die 30, Basil und seine Schwester Layla. Und wie Rasha sind sie Kinder einer deutschen Mutter und eines Vaters aus Saudi-Arabien.
Erst lebten sie in Jeddah, später in Deutschland. Basil und Layla wohnen in Hamburg in einer Dreier-WG. Basil jobbt als Barkeeper in einem Szeneviertel. Laylas Liebe zu ihrem Mitbewohner bleibt zu ihrem Leidwesen unverbindlich Für die anderen überraschend, lässt Layla eines Tages ihr modernes, freies Leben hinter sich – und kehrt nach Saudi-Arabien zurück. Basil ist vor den Kopf gestoßen: als Frau zurück nach Jeddah, wo sie nur mit Abaya aus dem Haus kann – diesem langen schwarzen Mantel, den Frauen in Saudi-Arabien in der Öffentlichkeit tragen müssen. Und dann will sie dort auch noch heiraten. Basil fährt zur Hochzeit, in das Land, gegen das er gefühlt alle paar Wochen eine Protest-Petition unterschreibt. Er will seine Familie wiedersehen – und vor allem will er seine Schwester verstehen.
Was Layla und Basil im Roman erleben, das sind zwei Seiten einer Medaille, Erfahrungen, die Rasha, binationale Freunde oder Familienangehörige gemacht haben. Rasha beschreibt in ihrem Roman das Leben in Hamburg und Jeddah in einem leichten Tonfall und ohne moralische Vorverurteilung. Das ist so ungewöhnlich, dass man sich als westlicher Leser gleich ertappt fühlt: Wir sind schnell dabei, die arabische und muslimische Welt sofort zu bewerten. Genau das ist Layla, der Romanfigur, schwergefallen: ständig die Bewertungen der anderen aushalten zu müssen. Sie flüchtet regelrecht unter die Abaya. Vor der Verantwortung, Stellung beziehen zu müssen – und vor dem ständigen Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören.
In Jeddah lebt Layla in einem Mehr-Generationen-Haus ihrer Familie, alles ist sehr liebevoll, sehr herzlich. Man versteht als Leser, dass sie hier zur Ruhe kommt und sich angenommen fühlt. Aber man bekommt eine Ahnung davon, um welchen Preis: Ihr Leben und das der anderen wird stark kontrolliert, nicht nur vom Staat, sondern auch von der Tante.
So richtig kommt Basil im Roman nicht an Layla ran, trotz ihrer eigentlich engen Beziehung. Am besten lernt man die Männer kennen. Basil trifft seine Cousins wieder, alles Männer, die im westlichen Ausland studiert haben und danach wieder nach Hause gekommen sind. Es geht um Lebenslügen – einer hat seine große Liebe und einen Sohn in den USA zurückgelassen – und es geht um eine große Hoffnung: dass man auch in Saudi-Arabien freier leben kann.
Do, 15.9., 19 Uhr; Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Str. 69a, Eintritt 10 Euro. Ihr Debütroman „Weil wir längst woanders sind“ ist im Dumont Verlag erschienen; Köln, 192 Seiten, 19,99 Euro.
Ob das eine berechtigte Hoffnung ist? Rasha Khayat will das bei unserem Gespräch nicht ausschließen. Schließlich kommen tatsächlich viele junge Leute aus dem Ausland zurück – mit ihren Sehnsüchten nach Freiheit. Im Roman wird das anschaulich beschrieben. Da nehmen sich die Cousins und Cousinen eine Auszeit vom Regime in einem Resort am Meer. Es wird geraucht, Alkohol getrunken, einige Teenager sitzen im Bikini rum. Plötzlich große Unruhe, die Teenager verschwinden. Die Religionspolizei biegt um die Ecke … Schluss mit den kleinen Fluchten! Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Menschen in Saudi-Arabien, aber nicht an die politischen Bedingungen, unter denen sie dort leben.
Rasha – das spürt man sofort, wenn man die Autorin trifft – ist auf keinen Fall Layla. „Sie ist ja auch viel jünger und unsicherer“, sagt Rasha. „Und ich habe das Schreiben als Strategie entwickelt.“ Denn dieses „Sich-unwohl-Fühlen“, das kennt Rasha auch. Und wie Layla liebt sie die arabische Welt, die Menschen – diese Wärme und Nähe. „Und es tut mir weh zu sehen, was da gerade so passiert.“
In Jeddah könnte sie nie dauerhaft leben. Auch die familiäre Überwachung geht ihr zu weit. „Aber ich kann alles verzeihen, weil ich weiß, dass es vom Herzen kommt.“ Und zugegebenermaßen auch, „solange ich nach zwei Wochen wieder gehen kann“.
Ist sie in Saudi-Arabien auf Urlaub, hält sie kurzfristig sogar die Abaya aus. Zumal eine ihrer Cousinen Designerin ist und richtig schicke und originelle Mäntel entwirft. „Abayas sind auch ein Fashion Statement, es gibt sie in 1000 Ausführungen und mit Stickereien, wenn man es sich leisten kann.“ Aber auf Dauer findet sie das Leben gerade für Frauen „unfassbar langweilig“, weil man eben nur begrenzt am öffentlichen Leben teilnehmen kann.
Schlimm findet Rasha, dass Saudi-Arabien schon mal auf dem Weg zu mehr Liberalität war. Rashas Mutter ist früher nie verschleiert ausgegangen, obwohl auch sie niemals Auto fahren durfte. 1989 ist die Familie nach Deutschland gezogen. 1991 war sie im Urlaub wieder in Saudi Arabien. „Meine Mutter ist fast ausgerastet. Der erste Golfkrieg hat das Land ins Mittelalter zurückbefördert“, sagt sie. Mühsam habe sich das Land wieder etwas geöffnet. Dann kam 9/11, und das Land wurde wieder konservativer.
Man kann Deutschland nicht mit Saudi-Arabien vergleichen, findet Rasha. „Das ist wie Äpfel und Birnen vergleichen.“ Aber wie soll man denn mit der arabischen Welt umgehen? Ein Patentrezept hat Rasha auch nicht. In Saudi-Arabien „empfinde ich vieles als absurd bis schrecklich“.
Aber es geht ihr auch gegen den Strich, dass die Einschätzung arabischer Länder immer schwanke, je nachdem, ob das Land gerade dem Westen nützlich sei oder nicht. Beispiel: die vielen Hinrichtungen. Jahrelang sei das im Westen kaum eine Zeile wert gewesen. „Jetzt tun sie alle so“, zitiert Rasha ihre Mutter. „Dabei war das immer so. Das hat sich nicht verändert.“
Nur eines ist für Rasha klar: „Ich bin Demokratin durch und durch. Das steckt ganz tief drinnen in mir.“ Das haben ihr ihre Mutter und vor allem ihr Vater eingeimpft. Und wenn sie sieht, dass viele Menschen das heute gar nicht mehr wertschätzen, „dann macht mich das wahnsinnig“. Neulich hat sie mit Schülern diskutiert, für die alles so selbstverständlich und auch irgendwie egal ist: wie etwa freie Wahlen oder gar das Grundgesetz. Sie selbst könnte fast heulen, wenn sie so schöne Sätze liest wie: Die Würde des Menschen ist unantastbar. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!“
Deshalb macht es ihr auch so viel aus, was gerade politisch passiert, von Pegida bis AfD, der Brexit und die Anschläge. „Ich verstehe die Welt nicht mehr, in der wir leben.“
Am liebsten würde Rasha Khayat den Kopf in den Sand stecken „und einen sehr langen Winterschlaf halten“. Aber daran ist derzeit nicht zu denken. Ihr Erstling ist ein Erfolg. Seitdem ist sie ständig auf Lesereise. Am 15. September wird sie beim Debütantensalon des Harbour Front Literaturfestivals lesen. Und sie will endlich wieder anfangen zu schreiben. „Ich merke, dass meine Sprache ein bisschen verwildert. Ich glaube, ich muss wieder ein bisschen Unkraut jäten“, sagt sie. „Ich komme gerade auch nicht mehr viel zum Lesen. Das macht was mit dem eigenen Ausdrucksvermögen.“ Worum es in ihrem zweiten Buch geht, verrät sie nicht. Nur so viel: Es ist wieder ein Buch, „das ich immer schreiben und lesen wollte – und es hat nichts mit arabischen Themen zu tun!“