Der Brandstifter ist offenbar gefasst: Die Polizei hat einen 17-Jährigen verhaftet. 100 Menschen solidarisierten sich mit den ehemaligen Bewohnern auf einer Kundgebung. Die sind noch immer schockiert.
Sie stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. „Das da war mein Bett“, sagt Fritz und zeigt auf ein verkohltes Metallgestell. Er ist den Tränen nahe. „Das war unser Zuhause, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Mitbewohner Jürgen ist gefasster, aber auch er wird wehmütig: „Hier kommen Erinnerungen hoch, das is’ mein Home!“ Die abgebrannte Platte unter der Kennedy-Brücke sieht noch genauso aus wie kurz nach dem Brand am vergangenen Samstag: Asche und verkohlte Reste von Kleidung und Büchern liegen auf dem Boden. Noch immer riecht es verbrannt, die Brückenwand ist schwarz vor Ruß. „Als wir das hier gesehen haben, waren wir restlos bedient“, sagt Jürgen.
Wer für das Feuer verantwortlich ist, ist inzwischen geklärt: Die Polizei hat am Donnerstag einen 17-jährigen festgenommen, der mit anderen Jugendlichen in der Nähe der Brücke gezeltet hatte. „Straßenkinder“ nennt sie die Polizei. „Er hat damit geprahlt, dass er die Zelte angezündet habe“, sagt Polizeisprecherin Ulrike Sweden. Inzwischen sei er geständig und sitze in U-Haft, die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung gegen ihn. Die Bewohner der Kennedy-Brücke waren aus der Gruppe Jugendlicher wiederholt bedroht worden. Ob der Tatverdächtige auch derjenige war, der ihnen Anfang Mai mit Brandstiftung gedroht hatte, ist noch Gegenstand der Ermittlungen.
Die ehemaligen Brückenbewohner sind mit ihrem Kummer wenigstens am Donnerstag nicht allein. Rund 100 Menschen versammeln sich am Abend zu einer Kundgebung des Bündnis gegen Wohnungsnot unter die Brücke, um ihre Solidarität auszudrücken. „Ich fand das hier manchmal fast romantisch“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer durch ein Megafon. „Aber unter einer Brücke zu schlafen, ist kein Campingurlaub!“ Ständig seien Obdachlosen auf ihren Platten Gewalt und Kriminalität ausgesetzt. Deshalb fordert das Bündnis angemessene Unterkünfte für alle Obdachlose – unabhängig von Status oder Herkunft. Auf einem Flugblatt appelliert es an die Hamburger: „Setzen Sie sich dafür ein, dass auch in ihrer Nachbarschaft neue Einrichtungen zur Unterbringung obdachloser Menschen gebaut werden können!“
Fritz und Jürgen sind für die Kundgebung noch einmal zu ihrer alten Platte zurück gekommen. Weil sie sich bedroht gefühlt hatten, hatten sie die Platte schon vor der Brandstiftung geräumt gehabt. „Wir sind froh, dass niemand hier geschlafen hat“, sagt Jürgen. „Der hätte das nicht überlebt.“ Kopfzerbrechen bereitet ihm auch der materielle Schaden: Thermo-Zelte, winterfeste Schlafsäcke, Kleidung, Bücher. Den Gesamtschaden schätzt Jürgen auf 8000 Euro. Das alles kann man ersetzen, nicht aber Jürgens Zuhause: ans Zurückkommen ist für ihn nicht zu denken. „Wir haben uns hier wohl und frei gefühlt“, sagt Jürgen, der fünf Jahre unter der Kennedy-Brücke gelebt hat. „Es ist uns nicht leicht gefallen, hier weg zu gehen.“
Auch andere Hinz&Künztler sind wütend wegen der Brandstiftung. „Es gibt viele, die sehr betroffen sind“, sagt Moni. Die 31-jährige schenkt bei uns jeden Nachmittag Kaffee an die Verkäufer aus und unterhält sich mit Hinz und Kunz. „Ich finde es erschreckend, wie niedrig die Hemmschwelle inzwischen ist“, sagt sie. Von Übergriffen auf Obdachlose hört sie öfters: Mal werden sie im Schlaf getreten, mal mit Cola übergossen. „Die Leute schämen sich dafür.“ Viele hätten schon resigniert und nähmen die Übergriffe hin, ohne sich groß aufzuregen, sagt Moni: „Wenn du draußen pennst, bist du abgestumpft.“
Für Hinz&Künztler Sascha sind Übergriffe auf Obdachlose „rechtsradikale Dummheit“. Auf dem Land hätte er so eine Brandstiftung vielleicht noch für möglich gehalten. „Aber in einer Weltstadt wie Hamburg? Das verstehe ich nicht!“ Hinz&Künztler Balu ist so zornig, dass er keine Stellung nehmen will. Er zitiert dafür das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.“ Und Aufgabe von uns allen, sagt Balu: Die größte positive Gewalt gehe „von der gegenseitigen Achtung und Achtsamkeit aller aus.“
Sogar die tierischen Obdachlosen haben mit dem Verlust der Platte zu kämpfen. Hund Paula vertreibt alle Artgenossen, die der abgebrannten Platte zu nahe kommen. „Paula ist auch durch den Wind“, sagt Jürgen. „Das war auch ihr Zuhause.“
Text: Benjamin Laufer
Fotos: Mauricio Bustamante