118 Magazine, 40 Länder, eine Idee: Arme und Obdachlose kaufen in ihrer Stadt Zeitungen, die sie dann exklusiv auf den Straßen und Plätzen weiterverkaufen. Mindestens 50 Prozent des Verkaufspreises behalten sie. Tausende sichern sich so weltweit ihren Lebensunterhalt und nicht selten ihr Überleben. In Hamburg wie in Südkorea oder in Amerika, in Polen oder auf den Philippinen. Wir stellen Ihnen vier Verkäufer aus vier Ländern der Welt vor.
Young-Cheol Kim aus Südkorea ist nur einige Wochen auf den Rollstuhl angewiesen. Doch einen Behindertenbonus will er nicht.
Als Young-Cheol Kim, ein koreanischer Big Issue-Verkäufer, während des Trainings für die Fußballweltmeisterschaft einen Knochenbruch erlitt, zeigten sich seine Stammkunden besorgt. Die Abwesenheit des „Big-Pan“ (koreanischer Slang für einen Big Issue-Verkäufer) wurde an der Express Terminal U-Bahnstation in Seoul durchaus bemerkt. Jetzt ist Young-Cheol zurück – allerdings verkauft er Big Issue vom Rollstuhl aus. Seinen Stammkunden aber versichert er, dass er seinen Gipsverband in neun Wochen los sein wird.
„Weil ich im Rollstuhl sitze laufen die Leute oft weiter, ohne ihr Wechselgeld zu nehmen. Ehrlich gesagt fühle ich mich dann unwohl, denn ich bin stolz auf das was ich tue“, sagt er. Für Young-Cheol sind ein paar ermutigende Worte das einzige „Trinkgeld“, das er braucht.
Trotz seiner Anstrengungen, die Big-Issue-Verkaufsregeln streng zu beachten und mehr zu sparen, blickt Young-Cheol, das Vorbild in der Verkaufsabteilung der koreanischen Big-Issue-Ausgabe, unsicher in die Zukunft. Young-Cheol hatte während der Asienkrise in den späten 1990er Jahren seinen Job verloren und während der letzten zehn Jahre mehrere Auf und Abs durchlitten. Er ist oft besorgt und fragt sich ob er jemals finanziell unabhängig sein wird.
„Die Menschen, die mir warme Worte spenden, wecken meine Leidenschaft für das, was ich tue. Eines Tages brachte mir eine Dame, die für gewöhnlich jeden Morgen um 10 Uhr an mir vorbeikommt, ein bisschen Gimbap (ein beliebtes koreanisches Gericht). Manche Menschen sagten mir, dass meine Arbeit sie beeindruckt, und schüttelten mir sogar die Hand. Außerdem haben sie mir versprochen, jedes Mal wenn sie mich sehen eine Kopie des Big Issue zu kaufen. Ich war wirklich überwältigt.“
Als Young-Cheol zum ersten Mal zum Big Issue kam, bekam er zehn kostenlose Kopien des Magazins und hörte, dass es keine Verpflichtung gebe, die Arbeit fortzusetzen. Heute besucht er Obdachlose und Obdachlosenheime und arbeitet als Botschafter für das Magazin. Young-Cheol wird bald in eine Mietwohnung einziehen und plant, sich einen neuen Job zu suchen, sobald er sich in seinem neuen Zuhause eingelebt hat. Er will sein Leben wirklich für immer ändern, aber bis es so weit ist genießt er es, ein „Big-Pan“ zu sein, Menschen zu treffen, und ihre freundlichen Worte zu hören.
Während sie Zeitungen verkaufte, traf Emily auf den Philippinen eine Fernsehberühmtheit, die ihr nicht nur ihre Freundschaft anbot, sondern gleich ein neues Gebiss.
„Jetzt liebe ich es zu lächeln. Das Essen macht mir mehr Spaß. Ich stottere auch nicht mehr. Und all das verdanke ich einer Kundin, die mir ein bisschen Geld geschenkt hat, damit ich mir die Zähne machen lassen konnte.
Als ich sie sah, habe ich sie gleich erkannt. Ich sagte: „Hallo, Jeanette Torres. Sie sind das Kind aus Anna Liza, der Show die ich immer im Fernsehen angesehen habe. Sie sind mein Idol!“ Sie war überrascht, dass ich sie immer noch erkannte. Ich stellte mich ihr vor und erzählte ihr vom Magazin The Jeepney. An diesem Tag kaufte sie zwar nichts, aber sie versprach wiederzukommen. Sie hielt ihr Versprechen. Als sie zurückkam, kaufte sie drei Magazine und gab mir 1000 Pesos. Sie sagte mir, dass ich das Wechselgeld behalten könne. Sie brachte mir auch Kleidung und Schokolade für meine Enkelkinder. Seitdem sind wir befreundet.
Seitdem ich The Jeepney verkaufe, hat sich das Leben meiner Familie verbessert. Ich kann die Miete bezahlen und für meine Familie sorgen. Ich habe schon viele Sachen für unser Zuhause gekauft. So kann ich auch meinem Sohn und meinen Enkelkindern helfen. Außerdem spare ich Geld für den kommenden Geburtstag meines Enkelkindes. Mein Mann hätte außerdem gern eine Uhr.
Mein Traum ist es, ein Haus zu besitzen. Es ist nicht so leicht, etwas zu mieten, aber ich möchte nie wieder zurück auf die Straße. The Jeepney verkaufe ich schon, seit 2008 die erste Ausgabe erschien. Ich verkaufe das Magazin bei Veranstaltungen, in Universitäten und in Kaufhäusern. Es ist wirklich ein großes Privileg, mit The Jeepney zusammenarbeiten zu können, weil ich so in großen Kaufhäusern arbeiten kann, mit Fremden ins Gespräch komme und Menschen aus allen Bereichen des Lebens treffe.
Ich habe früher auf der Straße Besen verkauft, und mein Mann war ein „Barker“ (ein Kundenwerber für die Jeepneys – das typisch philippinische öffentliche Verkehrsmittel). Die meiste Zeit haben wir damit nicht genug Geld verdient, also schliefen wir auf der Straße, um die Transportkosten zu sparen, weil wir weit entfernt von unserer Arbeitsstelle wohnten. Da wir tage- und wochenlang auf der Straße lebten, trafen wir dort andere Menschen und freundeten uns mit ihnen an. Sie luden uns ins Drop-In Center für Obdachlose ein. Dort hörte ich auch zum ersten Mal, dass es für Obdachlose Arbeit als Verkäufer des Jeepney-Magazins gibt.
Ich hoffe, dass mehr Menschen The Jeepney unterstützen und kaufen, denn das hilft mir dabei, das Leben meiner Familie zum Besseren zu verändern.“
Gregory Henry Daugherty verkauft seit 15 Jahren in Cambridge, USA „Spare Change News“. Das gab ihm Selbstbewusstsein – und neuen Lebensmut
„Ich komme aus Boston. In Boston wurde ich geboren und aufgezogen – nicht in Cambridge, in Boston. Ich ging in Boston zur Handelsschule und machte dort auch sonst alles. Hier gibt es mehr Leute, die sich mit allem Möglichen beschäftigen. Sie haben hier Colleges und Geschäftsleute, also ist das hier ein guter Platz. Ich lebte fünfzehn Jahre lang auf der Straße. Das war hart. Ich musste viele Dinge tun, um mir selbst zu helfen. Ich musste die Vergangenheit zurücklassen und durfte nie zurückschauen. Wissen Sie, das waren Dinge wie Probleme mit Freundinnen, keinen Ort zum Leben zu haben, der Hunger. In diesen Zeiten muss man einige Dinge mit sich selbst ausmachen und bescheidener werden.
Bevor ich bei Spare Change anfing, habe ich ein Jahr lang Gutscheine verteilt. Aber dann ist Mann, der sich darum gekümmert hat, gestorben. Seine Frau wollte übernehmen, war aber nicht so engagiert. Ich bin vor 15 Jahren zu Spare Change gekommen und habe es gleich gemocht. Seitdem bin ich hier.
Spare Change hat mich gefunden, nicht umgekehrt. Ich habe diesen Jungen, der für Spare Change arbeitete, kennengelernt. Er fragte mich, ob ich nicht einmal im Büro vorbeikommen möchte, und nachdem ich die ersten 100 Zeitungen verkauft hatte, entschlossen sie sich dazu, mich zu bezahlen. Seitdem mache ich das. Spare Change hat mir auf so viele Arten geholfen. Ich bin jetzt wieder zufrieden mit mir. Außerdem hat es mir gezeigt, dass ich für mich selbst Dinge erreichen kann. Das gibt dir die Möglichkeit, dich selbst zu lieben, und am Morgen aufzuwachen und zu wissen dass man etwas schaffen kann. Ich denke, dass jeder diese Zeitung lesen und Spare Change helfen sollte. Das alles ist eine großartige Sache.
Ich habe jetzt auch eine Wohnung. Mir geht es jetzt gut. Spare Change hat mir dabei geholfen, den Kopf freizubekommen, weil ich endlich wusste, wo ich ein paar Dollar herbekommen kann. Das war der große Sprung. Solange ich wusste, dass ich mich ernähren und mir Kleidung kaufen konnte, konnte ich mich auf andere Dinge konzentrieren.
Es gibt gute Zeiten und schlechte Zeiten. Es ist nicht immer gleich. Manchmal hat man ein paar gute Monate, und dann muss man wieder kämpfen. Man kann mit dem Geld auch nicht wirklich planen, weil man nicht weiß wie es laufen wird. Aber Spare Change ist eine großartige Erfahrung für mich. Ich habe die Chance bekommen, viele Menschen zu treffen – sogar Schauspieler und Schauspielerinnen – und ich bekam viele Möglichkeiten, Dinge zu tun, die ich normalerweise nicht tun würde. Das alles hat mich auch von Schwierigkeiten ferngehalten.“
Jacek Wojtas aus Polen verkauft lieber die Straßenzeitung als zu betteln oder auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.
„Ich heiße Jacek Wojtas. Ich bin 41 Jahre alt und lebe in Poznan, Polen. Die Auf und Abs in meinem Leben haben mich hierhergebracht. Ich komme aus Kujawsko-Pomorskie, wo ich früher gearbeitet habe … Am Anfang arbeitete ich als Geselle bei einem Bäcker – das war die beste Zeit meines Lebens. Ich arbeitete in verschiedenen Schichten – entweder gab ich das Brot in den Ofen, oder ich nahm das gebackene Brot heraus. Für mich schien es so, als hätte ich jetzt alles. Aber ich glaube, ich war zu jung um das richtig schätzen zu können. Leider habe ich diesen Job verloren und es nie geschafft, einen gleichwertigen zu finden. Ich arbeitete zeitweise und an verschiedenen Dingen, aber ich war nicht immer ehrlich, und mein Leben ging am Ende in die falsche Richtung.
Als Obdachloser landete ich bei der Barka Foundation und zog in die Wohngemeinschaft in Chudobzyce. Dort habe ich auch zum ersten Mal von der Straßenzeitung Gazeta Uliczna gehört. Ich fühlte, dass das das Richtige für mich ist, und dass es mir dabei helfen würde, mich wieder aufzurichten und mich wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Ich ging nach Poznan und lebte im Zentrum für Obdachlose. Das war vor drei Jahren. Ich verkaufe die Zeitung immer noch, und es geht mir immer besser. Ich versuche, jeden Nachmittag zur Arbeit zu gehen. Ich habe mir ein System zurechtgelegt und besuche oft Geschäfte und Firmen. Im Kaufhaus Malta und im Plaza Shopping Center läuft es gut, aber ich gehe nicht an Plätze wo der Verkauf verboten ist oder wo die Angestellten es nicht wollen.
Gazeta Uliczna gibt jedem eine Chance. Obdach- und Arbeitslose können die Zeitung verkaufen, und ich denke dass das besser ist als zu betteln oder von Sozialhilfe zu leben. Ich sage meinen Kunden immer dass 4 Zloty für eine Zeitung zwar sehr viel sind, aber dass sie bedenken müssen dass die Hälfte davon mein Einkommen ist. Gazeta Uliczna gibt mir eine Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu treten. Der Mensch ist ein soziales Wesen und sollte nicht alleine sein. Ich habe es immer genossen, mit anderen Menschen zusammen zu sein, und ich habe Leute, die sich abkapseln, nie verstanden. Dank Gazeta Uliczna bin ich mitten in der Menge, und ich kann mit Leuten reden und in Kontakt kommen.
Im Moment arbeite ich daran, mit fünf Freunden, die meine Interessen und meinen Geschmack teilen, eine Genossenschaft zu gründen. Wir haben uns dazu entschlossen, Sandwiches zu verkaufen. Wir wollen dass sie gut schmecken, mit Liebe gemacht sind und gut aussehen, mit vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen und Garnierungen. Wir sehen, dass es genug Nachfrage gibt, also werden wir in einigen Monaten mit unserem kleinen Unternehmen beginnen.
Meine Zukunft geht jetzt nicht mehr in die falsche Richtung – im Gegenteil. Ich denke dass alles ab jetzt nur besser werden kann!“
Texte und Bilder: www.streetnewsservice.org