Er war Hamburgs bekanntester Sprayer oder Sprüher, wie sich OZ selbst nannte. Am 25. September erfasste ihn eine S-Bahn. Am Unglücksort fand man eine Spraydose. Einen Monat zuvor hatten wir den medienscheuen Walter Josef F. noch getroffen: Es wurde sein letztes Interview.
OZ kam zu spät zum vereinbarten Treffpunkt: Unterwegs war er in die falsche S-Bahn gestiegen, war in die falsche Richtung gefahren. Das hatte er erst nach einer Weile bemerkt. Seltsam für jemanden, der sich im Hamburger U- und S-Bahnsystem außerhalb der Waggons vermutlich ausgekannt hat, wie wohl kein zweiter. Aber dann war er da, stand vor uns – klein, zerbrechlich, erst einmal unscheinbar. Entschuldigte sich sehr höflich für seine Verspätung und antwortete auf die erste Frage: „Heidelberg. Da bin ich geboren.“
Er gab generell nicht viel von sich preis. Ein paar Schlagworte nur: Wie der Knast sei das katholische Kinderheim gewesen, in dem er aufwuchs. Sein Vater soll noch mal geheiratet haben. Auch soll es Halbgeschwister geben. Schnell hätten ihn die Verwandten nicht mehr besucht: „Ich habe schnell gemerkt, das war ihnen unangenehm. Und ich hatte keinen Bedarf.“ Oft habe man ihm mit der Hölle gedroht. Und wohl auch: bedroht. Er kam mit einer Gaumenspalte zur Welt („ein Geburtsfehler“), erst sehr spät wurde diese operiert: „Ich konnte lange nicht richtig sprechen.“ Sein Resümee dennoch: versöhnlich: „Ich hab mich ganz gut geschlagen; könnte schlimmer sein.“
Sein Markenzeichen waren die Smileys. Über Jahrzehnte hat er in Hamburg unzählige hinterlassen. Sie werden noch lange von Fassaden, Mauervorsprüngen oder Stromkästen herab lächeln. Vermutlich wird es sie bald auf Postkarten zu kaufen geben. Aber er selbst hatte auch eine manische, dunkle Seite, die man schwer unterschlagen kann. Dann sprach er von sich als „deutschem Juden“, denn so wie die Nazis die Juden verfolgt hätten, würde heute die Polizei und die Hamburger Hochbahn die „Sprüher“ verfolgen. Und er witzelte herum: sollte er eines Tages „geheilt“ sein, würde er sich bei der Hochbahn bewerben – als „Obersturmbannführer“. Zwischendurch dann eine fast kindlich anmutende Empörung, dass man ihm, der so oft nachts loszog, um in der Stadt seine Zeichen zu hinterlassen, ebenso konsequent auflauerte: „Das ist doch hinterhältig!“
Dauerhaft auf Leinwand zu malen, eine mögliche Brücke hinüber in die Legalität zu beschreiten, das war für ihn keine ernstzunehmende Alternative: „Die Straße finde ich interessanter“, lautete seine kurze Antwort. Und außerdem: „Dann wäre alles so, wie sie es gerne hätten.“ Sie: die Spießer, die Schergen, die „Sauberschweine“ aus „Sauberdeutschland“. Mittlerweile sind von seinen Leinwandbildern, mit denen er vor allem seine Prozesskosten zu begleichen versuchte, erste Fälschungen im Umlauf.
Video: OZ gestaltet ein Zimmer (2011)
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Nun ist OZ tot; ein Nachlassverwalter kümmert sich um seinen kargen Besitz in einer Unterkunft des Hilfevereins „Mook wat“. Hier wurde er nach einer längeren Haftstrafe betreut. Dass er sich nicht einmal erinnern konnte oder auch nicht wollte, wie das katholische Kinderheim hieß, in das er gleich nach seiner Geburt kam und in dem er seine Kindheit verbringen musste, zeigt vielleicht wie tief der Abgrund gewesen sein muss, in den man ihn damals geschleudert hat.
Text: Frank Keil
Fotos: flickr txmx2
In einer Online-Petition kann man für den Erhalt von OZ-Graffitis in Hamburg stimmen