Zwei Mal pro Woche wurden zuletzt im Hamburger Stadtgebiet Obdachlose durch die Bezirksämter vertrieben. Die Betroffenen verlieren nicht nur ihren Schlafplatz, sondern auch den Kontakt zu Sozialarbeitern, die ihnen helfen wollen.
In Hamburg gab es in den vergangenen dreieinhalb Jahren durchschnittlich zwei Räumungen pro Woche. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion und Recherchen von Hinz&Kunzt hervor. Hinz&Kunzt hatte zuletzt vor zwei Wochen berichtet, dass die Obdachlosen Cristina (48) und Costel (50) und weitere Rumänen ihre Platte in einem Altonaer Park räumen mussten. Mit dem Verkauf von Hinz&Kunzt oder Gelegenheitsjobs halten sich die Obdachlosen über Wasser.
Am 1. Juli bekam die Gruppe allerdings einen Platzverweis. Sie mussten ihren Schlafplatz abbauen, weil sich Anwohner beschwert hatten. „Wir wollten keinen Ärger und sind gleich weggegangen“, sagt Cristina. Das Bezirksamt bestätigt das. Zum Hintergrund: Das „Lagern“ in Parkanlagen und an öffentlichen Plätzen ist in Hamburg verboten. Laut einer Studie der Sozialbehörde leben allerdings etwa 2000 Obdachlose in der Stadt. Sie haben oftmals keine andere Wahl, als draußen zu schlafen. Dort droht Vertreibung.
Hamburgweit mindestens 314 Räumungen zwischen 2016 und 2019
Die Familie der Hinz&Künztler Cristina und Costel erhielt lediglich einen Platzverweis. Solche Maßnahmen wurden in der Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion nicht einmal erfasst. Aufgelistet wurden hingegen allein zwischen 2016 und 2019 insgesamt 314 Räumungen in Altona, Wandsbek, Harburg und Mitte. Für die Bezirke Eimsbüttel und Nord liegen keine Auswertungen vor.
Obwohl in Mitte sogar Obdachlosen-Platten an der Kennedybrücke und zeitweise an der Kersten-Miles-Brücke geduldet werden, führt der Bezirk mit Abstand die meisten Räumungen durch: Allein in den ersten sechs Monaten diesen Jahres gab es bereits 32 Einsätze des Bezirksamtes.
„Wir Straßensozialarbeiter verlieren den Kontakt zu den Obdachlosen“– Johan Graßhoff
Durch die Räumungen verlieren die Obdachlosen nicht nur ihren Schlafplatz: „Wir Straßensozialarbeiter verlieren den Kontakt zu den Obdachlosen und können ihnen dann nicht mehr helfen“, kritisiert Johan Graßhoff von der Diakonie. Nachhaltige Sozialarbeit würde durch ständige Platzwechsel viel schwieriger. Interessant in diesem Zusammenhang: Eine Ausnahme bildet der Bezirk Bergedorf. Dort kam es von 2015 bis heute zu keiner einzigen Räumung. Weil die Obdachlosen offenbar gut verteilt im Bezirk ihre Schlafplätze hätten und keine Beschwerden vorlägen, gäbe es „keine Veranlassung“, heißt es aus der Pressestelle des Bezirks.