Im Zuge der Finanzkrise hatten hunderttausende Spanier in den vergangenen Jahren ihre Wohnungen verloren. Mit Blockaden und Besetzungen setzen sich die Betroffenen zur Wehr. Nun hat der Europäische Gerichtshof die bislang gängige Praxis der Zwangsräumungen für illegal erklärt.
Täglich werden derzeit in Spanien etwa 500 Wohnungen geräumt. Wenn Kreditnehmer eine Rate nicht rechtzeitig zahlten, konnten die Banken den Vertrag für ungültig erklären und die Räumung einleiten. Schuldner verlieren allerdings nicht nur ihre Wohnung. Bei den Zwangsvollstreckungen werden die einstmals teuren Wohnungen den Banken überschrieben. Allerdings zu einer Summe, die aufgrund der gesunkenen Immobilienpreise weit unter dem ursprünglichen Wert liegt. Die Banken übernehmen die Wohnungen. Und die Betroffenen bleiben auf hohen Restschulden sitzen. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs verstößt die spanische Regelung gegen das EU-Recht. Künftig müssen Zwangsräumungen ausgesetzt werden, wenn Zweifel an der Kreditvergabe und den Verträge bestehen. Die Plattform der Hypothekenopfer (PAH) schöpft Hoffnung und fordert die Regierung auf, alle laufenden Zwangsräumungsverfahren auszusetzen.
Die PAH ist eine von mehreren Zusammenschlüssen der Betroffenen. Auch Juanjo, Ricardo und Mariluz aus Sevilla setzen sich gegen Zwangsräumungen zur Wehr. Im Februar waren die drei Aktivisten zu Gast in Hamburg. „In Sevilla bieten wir in einem kleinen Stadtteilbüro einmal pro Woche Beratungen an“, sagt Mariluz bei einem Treffen mit Hinz&Kunzt.
Die hohe Zahl der Zwangsräumungen resultiert aus einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale, die das ganze Land erfasst hat. Noch vor wenigen Jahren warben TV-Werbespots mit Immobilien als sichere Anlagen. Der Traum vom Eigenheim löste einen nie dagewesenen Bauboom aus. Zu Hochzeiten trug der Bausektor bis zu 20 Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. Doch im Zuge der weltweiten Finanzkrise platzte 2007 die Immobilien-Blase. Bauunternehmen gingen Pleite. Die Arbeitslosigkeit stieg an. Zahlen vom November 2012 belegen, dass die Arbeitslosenquote landesweit auf 26,6 Prozent angewachsen ist. Über 20 Prozent der Bevölkerung leben inzwischen in Armut. Kirchen aber auch Stadtteiltreffpunkte übernehmen zunehmend soziale Aufgaben.
„Zu unseren Beratungen kommen bis zu 200 Leute“, erzählt Mariluz. „Meistens sind es die Frauen, die den ersten Schritt wagen und uns um Hilfe bitten.“ Initiativen wie die Plattform der Hypothekenopfer (PAH) haben in den letzten Jahren rund 500 Zwangsräumungen verhindert. Sie versammelten sich vor den Häusern und blockierten die Zwangsvollstreckung.
Solidarität erfahren die Protestler sogar von denjenigen, die nach den Räumungen die leeren Wohnungen eigentlich verschließen sollen. In der nordspanischen Stadt Pamplona verkündeten im Dezember die Schlüsseldienste keine Zwangsräumungen mehr zu unterstützen. Und in der Region Galicien weigerte sich im vergangenen Monat die Feuerwehr bei einer Zwangsräumung die Wohnungstür aufzubrechen.
In Sevilla gehen die Betroffenen inzwischen dazu über, leerstehende Häuser zu besetzen. Die Aktionen werden aufwendig vorbereitet. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Auswahl des Objektes. Bestehen komplizierte Besitzverhältnissen, ist eine Räumung ausgeschlossen. „Vor einigen Jahren wären Hausbesetzungen in Sevilla unvorstellbar gewesen. Doch die Not ist groß und das Verständnis für unsere Aktionen wächst“, sagt Mariluz.
Am 17. Mai 2012 war sie zusammen mit 20 Familien und ihren Unterstützer dabei, als mit der Corrala Utopia ein neues Projekt eröffnet wurde: Um sechs Uhr morgens versammelten sich die „Besetzer“. „Nur wenige waren eingeweiht und wussten, wohin wir gehen. Die Anspannung war groß“, erzählt Mariluz. Gemeinsam öffneten sie die Türen der vier leerstehenden Mehrfamilienhäuser.
Inzwischen wohnen 36 Familien in der Mietskaserne. Als „Besetzer“ verstehen sich die Bewohner nicht. „Sie leben in einem Neubau, der nie genutzt wurde. Sie wären auch bereit eine geringe Miete zu zahlen“, erläutert Ricardo. Doch der aktuelle Zwangsverwalter, die Bank Ibercaja, lehnt eine einvernehmliche Lösung bislang ab. Da eine Räumung nicht möglich ist, wird versucht den Bewohnern auf anderem Wege das Leben schwer zu machen. „Die Stadtverwaltung hat die Leitungen gekappt. Es gibt weder Strom noch fließend Wasser, obwohl die Rechnungen bezahlt wurden“, empört sich Mariluz.
Die Not macht erfinderisch. Wasser holen die Bewohner aus einem öffentlichen Brunnen. Strom gibt es über ein Aggregat. Und Nachbarn, wie Mariluz, die nur einen Steinwurf von der Corrala Utopia entfernt wohnt, helfen gerne und unterstützen die Bewohner. „Die meisten Bewohner haben ihre Arbeit verloren. Sie konnten die Hypotheken nicht mehr zahlen und haben ihre Wohnungen verloren. Von allen alleine gelassen sind sie am Ende auf der Straße gelandet.“ In der Corrala Utopie schöpfen die Bewohner wieder neue Kraft. „Es gibt Spenden von Nachbarn und Bekannten. Die Finanzen und Lebensmittel werden kollektiv verwaltet. Das ist anstrengend, zeigt aber auch, dass man es gemeinsam schaffen kann“, sagt Mariluz.
Text: Jonas Füllner
Fotos: Action Press/Anatomica Press und Mauricio Bustamante
Mehr zum Thema: unser Online-Dossier über Zwangsräumungen.