Privat finanzierte Projekte zeigen, was die Großunterkünfte des städtischen Obdachlosen-Winternotprogramms nicht bieten: geschützte Rückzugsorte.
Was aus Jasmin und Josef geworden wäre, wenn es das Hotelprojekt von „Straßenblues“ nicht gäbe? Als eine Sozialarbeiterin der Caritas Jasmin in der Mönckebergstraße anspricht, laufen Tränen der Verzweiflung über die Wangen der Obdachlosen: Seit Wochen quält sie eine üble Erkältung, und nun hat die 38-Jährige sich auch noch mit ihrem Freund gestritten. Die Sozialarbeiterin kann helfen: Im „bedpark Altona“ sind, wie sie weiß, noch Zimmer frei. Mitte November können Jasmin und Josef dort einziehen. Dass die beiden auf der Straße vielleicht nicht mehr lange überlebt hätten, zeigt gleich die erste Nacht: „Das war so schlimm, Josef hat plötzlich nur noch Blut gespuckt!“, erinnert sich Jasmin mit Grauen. Sie ruft den Krankenwagen. Später habe ihr ein Arzt gesagt: „Noch später wäre zu spät gewesen.“ Der 55-jährige Josef nickt: „Die haben mir das Leben gerettet!“ Eine Krampfader ist in seinem Körper geplatzt. Seine Freundin bleibt ebenfalls im Krankenhaus: Lungenentzündung.
Gut zwei Wochen später, an einem Mittwochvormittag Anfang Dezember, sitzen die beiden auf ihren Betten im Schlafzimmer der kleinen Souterrainwohnung des Hostels und strahlen. „Hier ist es sehr schön!“, sagt Jasmin. Und Josef ergänzt: „Man hat hier einfach seine Ruhe.“ Noch vor Kurzem haben die beiden ihre Nächte unter dem überdachten Eingang eines Geschäftes in der Innenstadt verbracht. Die erste Zeit im Hotelprojekt beschreibt Josef so: „Wir haben die ganze Zeit geschlafen. Die Last fällt erst mal ab. Draußen hast du ja immer ein Auge offen.“
Bis Ende April kann das Paar nun im Hotelprojekt des Vereins Straßenblues bleiben, der wie andere private Initiativen Spenden eingeworben hat, um damit Hotelzimmer für Obdachlose anzumieten (siehe Infokasten). Jeden Tag schaut eine Sozialarbeiterin vorbei und unterstützt die Hotelgäste dabei, bis zum Frühjahr neue Perspektiven zu entwickeln. Dann will Straßenblues ein neues Projekt starten: „Homes für Homeless“ soll Mietwohnungen für Wohnungslose bereitstellen – ebenfalls finanziert durch Spenden.
„Wir gucken jetzt nach einer Wohnung“, sagt Josef. Seit dem Aufenthalt im Krankenhaus habe er keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Auch Jasmin will das Trinken lassen, denn: „Ich habe keinen Bock, meinen Freund zu verlieren.“ Stattdessen gibt es viel Apfelsaftschorle und regelmäßig Selbstgekochtes, zum Beispiel Bratwürste mit Kartoffelpüree. „Ich habe zuletzt gar nichts mehr gegessen“, sagt Jasmin über ihr Leben auf der Straße. Wegen des Alkohols habe sie keinen Hunger verspürt.
Gute Alternativen
Auch Grzegorz hatte Anfang November Glück im Unglück: Er zog bei der Vergabe der begehrten Containerplätze des Winternotprogramms ein Gewinnerlos. Seitdem schläft der Hinz&Kunzt-Verkäufer gemeinsam mit einem Kumpel in einem Zuhause aus Stahl auf dem Hof einer ehemaligen Schule in Altona. Es sind nur wenige gut geheizte Quadratmeter, auf die sich zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle und zwei Kleiderspinde verteilen. Trotzdem sagt der Obdachlose: „Hier ist es besser als in den Großunterkünften. Und ich kann kommen und gehen, wann ich will.“
Der Pole hat in Deutschland auf vielen Baustellen gearbeitet, wiederholt sei er nicht oder schlecht bezahlt und „verarscht“ worden. In eine Großunterkunft würde er nur notgedrungen und „mit schlechter Laune“ gehen. „Dort würde ich bestimmt Alkohol trinken, um zu vergessen“, sagt Grzegorz. Im Container hingegen bleibe er trocken. Im April muss der 40-Jährige die Winternotunterkunft verlassen. Bis dahin will er einen Job gefunden haben. Und eine Wohnung.
Barbara und Miroslaw wiederum sind mithilfe von Hinz&Kunzt untergekommen – in einem kleinen Zimmer mit Bad und Kochstelle. „Wir sind glücklich hier!“, sagt Barbara. Im Hintergrund läuft der Fernseher, die Fensterbank schmücken Schokoladen-Nikoläuse, die sie geschenkt bekommen haben. Zuletzt haben die beiden in einem Zelt geschlafen. Als die Nächte immer kälter wurden, kamen sie verzweifelt zu Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Irina Mortoiu. Sie brauchten eine Unterkunft, dringend.
Das städtische Winternotprogramm kannten sie vom vergangenen Winter, es ist für sie kein gutes Angebot: „Um neun Uhr morgens musst du die Unterkunft verlassen, erst um fünf darfst du wiederkommen. Und dann: lange Schlange, Krankenwagen, Polizei. Nonstop Zirkus. Katastrophe“, erzählt Barbara in ihrem holprigen, mit polnischem Akzent durchdrungenen Deutsch. Hinzu kommt, so die 43-Jährige: „Da wird so viel Alkohol getrunken! Das wollen wir nicht. Wir trinken manchmal ein Bierchen, ich bin keine Santa Barbara! Aber keinen Wodka. Weißt du, wie viele unserer Bekannten schon gestorben sind wegen dieses billigen Wodkas?“
Miroslaw zahlt bis heute für seine Alkoholsucht. Als er mal wieder viel zu viel getrunken hatte, fiel er unglücklich auf den Kopf. An den Folgen des Sturzes wird der 50-jährige Slowake vermutlich sein Leben lang leiden: Weil Nervenbahnen geschädigt sind, kann er nur noch wenige Schritte mühsam gehen, auch die eine Hand macht Probleme. Besonders tragisch: Miroslaw ist nicht krankenversichert – obwohl er hier viele Jahre auf Baustellen geschuftet hat, so der gelernte Elektriker. Er habe als Selbstständiger gearbeitet, auf Anraten seiner Arbeitgeber. Ansprüche auf Sozialleistungen hat ihm das Jobcenter bislang nicht zugebilligt.
Am nächsten Morgen müssen Barbara und Miroslaw früh raus: Sie wollen mit dem Zug nach Berlin fahren, um bei der Botschaft einen neuen Pass für Miroslaw zu beantragen. Ihre Aufgabe für die nächste Zeit beschreibt Barbara so: „Papiere klären.“ Danach sei vieles möglich, zumindest für sie: „Ich würde gerne arbeiten, egal was. Ich kann alles machen: Laden, Reinigung … Und ich kann auch sehr gut kochen!“