Hamburgs Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) über den Kampf gegen Abzock-Vermieter und die Wohnungsnot in Hamburg
(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)
Hinz&Kunzt: Herr Sozialsenator, vor einem Jahr haben wir zum ersten Mal über die Vermietungspraktiken Ihres Parteimitstreiters Thorsten Kuhlmann berichtet. Wann haben Sie das erste Mal von Kuhlmanns Kellern gehört?
Dietrich Wersich: Ein Fall hat uns gleich erreicht. Es hat sofort Gespräche mit team.arbeit.hamburg gegeben. Der Vermieter hat angegeben, er habe das Haus so übernommen, mit dem Keller als Wohnung. Die Wohnung wurde sofort aufgelöst, die Bewohner beim Umzug unterstützt, und das Problem schien bereinigt.
H&K: Hinz&Kunzt berichtete von Anfang an auch über falsche Quadratmeter-Angaben
in den Mietverträgen der Kuhlmann Grundstücks GmbH.
Wersich: Hinweise, dass Betrug oder Mietwucher im Raum stehen, haben sich im Februar durch die weiteren Berichte ergeben.
H&K: Aber genau darauf hatten wir doch im Oktober schon hingewiesen. Lag es an der Wucht der Berichterstattung, dass die Behörden im Frühjahr endlich gehandelt haben?
Wersich: Nein, nicht an der Wucht, aber die Recherche der Medien eine Menge geholfen. Wir müssen konkrete Hinweise haben, um ihnen nachgehen zu können. Wir haben dazu aufgerufen, dass betroffene Mieter sich melden sollen, und Schritt für Schritt weitere Maßnahmen ergriffen: vom Informations-Flyer bis zum Schreiben an die Mieter. ANfang März hat team.arbeit.hamburg Strafanzeige erstattet. Wir haben von allen Ecken und Enden versucht aufzuklären, weil wir uns Straftaten wie Betrug und Wucher nicht bieten lassen können. Und auch keine überhöhten Mieten für minderwertigen Wohnraum.
H&K: Immer noch leben Menschen in Kuhlmanns Kellern unter oft unwürdigen
Bedingungen – und die Stadt zahlt weiter.
Wersich: Nein, so einfach ist das nicht. Das eine ist die strafrechtliche Seite: Da laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Dann ist zu klären: Sind das überhaupt für Wohnzwecke geeignete Wohnungen? Und schließlich geht es darum, dass wir Geld für überteuerte Wohnungen wiederhaben wollen. Das ist nicht gleichzusetzen mit der Frage der Bewohnbarkeit.
H&K: Aber die Behörden zahlen ja weiterhin.
Wersich: Das Problem bei einer Mietminderung ist: Wenn sie vor Gericht nicht Bestand hat, kann der Mieter rausfliegen, das wollen wir – und die Mieter – nicht.
H&K: Sie können ja unter Vorbehalt zahlen.
Wersich: Das tun wir auch. Wir wollen, unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung das Geld zurückhaben und notfalls einklagen. Im Fall Kuhlmann ist uns ein echter Durchbruch gelungen: Er hat sich verpflichtet, eine Liste der Wohnungen zu erstellen, in denen unsere Leistungsempfänger wohnen und mit uns gemeinsm die Wohnungen neu vermessen und ihren Zustand überprüfen zu lassen. Außerdem erfolgt eine sofortige Abschlagszahlung in Höhe von 110.000 Euro sowie weitere Erstattungenm wenn die Neufestlegung der Mieten erfolgt ist.
H&K: Kann Herr Kuhlmann, weil er Großvermieter ist, die Stadt erpressen?
Wersich: Nein, das ist Unsinn. Wir dulden weder Betrug und Wucher.
H&K: Warum wurd er anders behandelt?
Wersich: Er wurde nicht anders behandelt, sondern wir wollten unser zu viel gezahltes Geld zurück.
H&K: Aber er ist ja als Einziger nicht auf Schadenersatz verklagt worden.
Wersich: Ja, weil hier andere Dimensionen in Raum stehen. Schadenersatz müsste für jeden einzelnen Fall im Klagewege juristisch geltend gemacht werden. Weil wir langwierige Zivilklageverfahren auf dem Rücken der Mieter aber vermeiden wollen haben wir diesen klaren Forderungskatalog aufgestellt.
H&K: Es hat eine gewisse Signalwirkung, wie Sie mit Herrn Kuhlmann verbleiben.
Wersich: Ja, deshalb sage ich ganz deutlich: Vermieter, die nicht bereit sind, zur Klärung der Vorwürfe und Begleichun etwaiger Überzahlungen beizutragen, müssen mit dem konsequenten Einschreiten der Stadt rechnen.
H&K: Welche Lehren ziehen Sie aus der Tatsache, dass hier systematisch Bruchbuden
zu überhöhten Preisen vermietet werden?
Wersich: Das bestätigt mich darin, dass wir bei den Kosten der Unterkunft erhebliches Risiko laufen, zu Mietpreissteigerungen beizutragen. Wir signalisieren mit unseren Mietobergrenzen dem Markt: „Mit dieser Miete bekomme ich das Geld garantiert vom Staat.“ Darunter leiden die, die nicht das Geld erstattet bekommen. Das zweite Problem ist: Wir konnten bisher keine Quadratmeter-Höchstsätze festlegen. Das führt dazu, dass kleine Wohnungen zu überteuertem Preis angeboten werden können. Daher begrüße ich die Regelungsinitiative der Bundesregierung, dass wir die Höchstwerte künftig lokal gestalten können.
H&K: Was bedeutet das?
Wersich: Wenn wir diese Quadratmeterhöchstpreise haben, werden wir außerdem zusätzliche Mitarbeiter einsetzen, um die Einhaltung dieser Regelungen zu kontrollieren und durchzusetzen. Durch die Absenkung überhöhter Mieten werden wir Einsparungen von mehreren Millionen Euro erzielen. Gleichzeitig wirken wir damit dem preissteigernden Effekt der quasi staatlich garantierten Sozialmiete auch im freien Wohnungsmarkt entgegen. Davon profitieren auch andere Menschen mit geringem Einkommen.
H&K: Die städtischen Notunterkünfte sind voll von Menschen, die keine Wohnung finden.
Wersich: Hier muss etwas passieren Wir merken auf allen Ebenen, dass der Wohnungsmarkt für kleine, günstige Wohnungen komplett zu ist – gerade für Menschen mit Vermittlungsproblemen. Wir wollen zum einen zusätzliche Kontingente mit der Wohnungswirtschaft vereinbaren, um den Übergang in die eigene Wohnung zu gewährleisten. Zum anderen brauchen wir für bestimmte Zielgruppen zügig Wohnraum schaffen. Zum Beispiel Ein-Raum-Wohnungen etwa für Auszubildende, die neu nach Hamburg kommen, oder für junge Leute, die sagen: „Ich will jetzt von Zuhause ausziehen“.
H&K: Sie wollen auch leerstehende Immobilien umbauen lassen?
Wersich: Ich kann mir das sowohl bei Büros, noch leichter bei ehemaligen Krankenhäusern und bei Ex-Pflegeheimen vorstellen, dass die einfach umzurüsten wären. Für diese Zwecke geht es dann nicht darum, komplette Wohnungen zu schaffen, sondern günstigen und zügig verfügbaren Wohnraum.
H&K: Der Mieterverein fordert ein Sofort-Bauprogramm mit 1000 Einheiten für auf
dem Wohnungsmarkt benachteiligte Gruppen. Schließen Sie sich an?
Wersich: Wir sind in intensiven Gesprächen mit der Behörde für Stadtentwicklung und mit dem Wohnungsbaukoordinator. Wir brauchen mehrere hundert Plätze. Aber man darf jetzt nicht große Häuser nur für Menschen mit problemen bauen.
H&K: Wann erwarten Sie Gesprächsergebnisse?
Wersich: Noch im Herbst.
P.S.: Eigentlich haben Sie zwei Interviews in einem gelesen. Denn als wir uns mit dem Sozialsenator am 9. September in seinem Büro trafen, war der Durchbruch mit Kuhlmann noch nicht erzielt. Kurz vor Drucklegung dann die neue Entwicklung: Kuhlmann lässt sich plötzlich auf die Forderungen der Stadt ein. Diesen Part haben wir per Mail und Telefon nachbesprochen und eingearbeitet. Ehrlich gesagt: Wir sind ein bisschen stolz.
Interview: Ulrich Jonas, Birgit Müller und Hanning Voigts
Foto: Vera Tammen