Szenen vor der Abschiebung: ein Film über die Hamburger Ausländerbehörde
(aus Hinz&Kunzt 146/April 2005)
Selten ist dem Hamburger Filmemacher Michael Richter seine Arbeit so unter die Haut gegangen wie der Dreh über die Arbeit der Hamburger Ausländerbehörde und die Schicksale der Menschen, die in diesem Film vorkommen. „Die Mitarbeiter der Behörde arbeiten viel und hart“, sagt der 43-Jährige. Aber teilweise würden sie schon gar nicht mehr merken, wie hart sie selbst durch den Job werden.
Ausländerbehörde Hamburg, morgens um 2 Uhr. Alles ist dunkel, aber ein paar Fenster in dem Bürohaus sind erleuchtet. Hier treffen sich drei Mitarbeiter der Ausländerbehörde, Abschnitt für Rückführungangelegenheiten, mit vier Sicherheitsbeamten der Firma Weko.
In einem Van fahren die Beamten ab. Auf dem Weg sammeln sie noch mehrere Polizis-ten ein. Gegen 3 Uhr Ankunft in der Luruper Hauptstraße. Die Mitarbeiter, die Sicherheitsbeamten und die Polizisten, manchmal verstärkt durch Hunde, klingeln an der Tür einer Familie, die ahnungslos im Schlaf liegt. Wenn die Familie nicht gleich öffnet, wird geklopft, wenn dann noch keine Reaktion erfolgt, öffnet die Polizei die Tür. Mindestens sieben, meistens mehr Menschen drängen sich in die Woh-nung.
In diesem Fall handelt es sich um eine Familie mit fünf Kindern, Familie Kryezi aus Albanien, seit 1991 in Deutschland. Die Kleinen sind hier geboren. Der Große, 15 Jahre alt, dreht fast durch. „Was soll das?“, brüllt er. Die Kleinen werden aus dem Schlaf gerissen und schauen mit riesigen Augen auf die vielen Menschen. In der Wohnung kann man sich nicht mehr drehen und wenden. Eine halbe Stunde hat die Familie, um zu packen, 20 Kilo pro Person. Schnell werden noch Onkel und Tante herbeitelefoniert.
Ein Mädchen im Teenager-Alter weint, krallt sich an der Tante fest. Aber dann heißt es schon Abschied nehmen. Michael Richter bleibt mit Onkel und Tante in der so plötzlich verlassenen Wohnung. Die Schränke aufgerissen, Kleidung und Spielsachen herausgerissen und achtlos am Boden. Sie passten nicht mehr in die karierten Plastiktaschen. Einsam lehnt ein Kinderfahrrad am Schrank.
Auf der Fahrt zu dieser Abschiebung hatte Abteilungsleiter Carsten Mahlke noch nachdenklich gesagt: „Wenn man selbst Kinder hat, weiß man, wie problematisch diese Situation ist.“
Sonja (Name geändert) ist 25, lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Sie ist eine schöne junge Frau, aber – im wortwörtlichen Sinne – vom Bürgerkrieg in ihrer Heimat Montenegro gezeichnet. Bei einem Brandanschlag auf die Familie kamen ihre Mutter und ihre Geschwister ums Leben, sie wurde schwer verletzt und floh dann nach Deutschland. Seit-dem lebt sie mit ihrem Vater in Hamburg. Jetzt soll Sonja abgeschoben werden, aber sie will nicht. Abgesehen davon, dass sie nicht in das Land zurückkehren will, in dem sie gequält wurde, kennt sie dort auch niemanden mehr. Und vor allen Dingen: Sie will bei ihrem Vater blei-ben. Der ist an Krebs erkrankt. Die Ärzte geben ihm höchstens noch sechs Monate. Wenigstens bis zum Tode ihres Vaters will Sonja noch hierbleiben dürfen. Das erläutert eine Sozialarbeiterin der Hilfsorgani-sation Fluchtpunkt dem Behördenmitarbeiter R. Sonja sitzt daneben und kämpft mit den Tränen.
„Wo ist das Problem?“, fragt der Behördenmitarbeiter. Und als die So-zialarbeiterin anhebt, die Sachlage noch einmal zu erläutern, winkt er ungeduldig ab. „Ich könnte Sie heute noch abschieben, wenn ich wollte“, sagt er ungeduldig, „will ich aber nicht.“ Soll so viel heißen wie: Es gibt keinen Aufschub, alles bleibt beim Alten. „Außerdem können Sie ja ausreisen und dann mit einem Besuchervisum wieder einreisen. Ist doch kein Problem.“ Als Sonja und die Sozialarbeiterin gegangen sind, fragt Filmemacher Michael Richter den Behördenmitarbeiter R., ob das denn innerhalb so kurzer Zeit klappen könnte mit dem Besuchsvisum, schließlich ist ja Eile geboten. Antwort von R.: „Das weiß ich nicht, ich bin schließlich für die Ausreise zuständig und nicht für die Einreise.“
Freitag morgen um 8 Uhr. Der 19-jährige Ganea Ferizaj aus Serbien betritt den Raum. „Jetzt geht es los“, verkündet Mitarbeiter R. Was genau, scheint der junge Serbe nicht zu verstehen. „Wir holen jetzt Ihre Sachen.“ – „Aber mein Anwalt hat doch…!“ – „Mir liegt nichts vor“, unterbricht ihn R. Über den Bildschirm seiner Kollegin flackert derweil ein besonders origineller Spruch: „Wir buchen, Sie fluchen – mit freund-licher Unterstützung der Never-Come-Back-Airlines“. Gebucht ist heute für etwa ein Dutzend Menschen. Ferizaj wird nach Hause begleitet. Auch er bekommt die karierte Plastiktasche. Dann geht es im Gemeinschaftsbus zum Flughafen. Aber der Ausflug endet ziemlich schnell für Ferizaj. Der Anwalt hat an diesem Vormittag noch einen Abschiebestopp erwirkt. Ferizaj darf aussteigen. In letzter Minute.