Winternotprogramm : „Man zittert sich einen ab“

Trotz Dauerfrost schickt die Sozialbehörde täglich hunderte Obdachlose aus dem Winternotprogramm in die Kälte. Wenigstens sollen bald Tagesaufenthaltsstätten auch am Wochenende öffnen. Wir fordern: Öffnet das Winternotprogramm auch tagsüber!

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Frost vor der Tür: Die Container des Winternotprogramms in der Münzstraße.

Temperaturen von Minus 5 Grad auch tagsüber, eisiger Wind, Schneegestöber – und trotzdem setzt die Sozialbehörde die Obdachlosen aus dem Winternotprogramm jeden Morgen wieder auf die Straße. Schon Stürme und Starkregen im Dezember hatten die Entscheider unbeeindruckt belassen. „Die Gründe sind die gleichen wie immer“, sagt Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer. Tagsüber müsse die Bettwäsche gewechselt und die Unterkünfte gereinigt werden. „Außerdem möchten wir, dass Anlaufstellen in Anspruch genommen werden und die Menschen nicht über den Winter in ihrer Lebenssituation verharren.“

„Absoluter Schwachsinn!“, entgegnet Hinz&Künztlerin Martina und erntet breite Zustimmung in unserem Aufenthaltsraum. Sie übernachtet seit dem 19. November in den Wohncontainern in der Münzstraße, weil sie nach dem Tod ihres Mannes ihre Wohnung nicht halten konnte und keine bezahlbare neue fand. Jeden Morgen wird sie nun aus ihrer Notunterkunft geworfen und verkauft dann Hinz&Kunzt vor der Europapassage. „Man zittert sich einen ab“, sagt die 55-Jährige. Viel lieber bliebe sie länger im Winternotprogramm und hätte dort gerne Zugang zum Internet, damit sie nach Wohnungen suchen kann. „Die sollen dort mal sinnvolle Angebote machen“, fordert sie.

Tagesaufenthaltsstätten überlastet

Doch die Sozialbehörde will lieber verhindern, dass sich die Obdachlosen zu wohl in den Notunterkünften fühlen und sich dort einrichten. Als „nutzungspolitische Notwendigkeit“ bezeichnet man deshalb dort die Schließung der Unterkünfte am Tag. So sollen die Nutzer des Winternotprogramms auch dazu gebracht werden, tagsüber Tagesaufenthaltsstätten aufzusuchen und sich dort von Sozialarbeitern beraten zu lassen, heißt es immer wieder.

Angesichts der Witterung meldet aber zum Beispiel das Herz As im Münzviertel schon Überlastung: „Wir mussten bereits Menschen abweisen“, sagt Eva Lindemann, Sprecherin der Trägerorganisation Hoffnungsorte Hamburg. Hinzu kommt: Die Einrichtungen sind nicht durchgehend geöffnet, am Wochenende gibt es bislang nur wenige solcher Aufenthaltsmöglichkeiten für Obdachlose. Wenn es also wirklich um die Beratung ginge: Warum bleibt das Winternotprogramm dann nicht wenigstens am Wochenende ganztägig geöffnet?

Hinz&Kunzt: Winternotprogramm tagsüber öffnen!

Hinzu kommt: Einen wirklichen Ausweg aus der Obdachlosigkeit können die Berater meistens sowieso nicht aufzeigen. Die öffentlichen Unterkünfte sind voll belegt und richtige Wohnungen, die auch bezahlbar sind, gibt es schlicht so gut wie keine. Absurd, dass die Sozialbehörde dennoch bei ihrer Argumentation bleibt, findet Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer: „Kein Mensch muss sich sieben Tage die Woche acht Stunden lang beraten lassen“, sagt er. Deshalb solle das Winternotprogramm endlich auch tagsüber geöffnet bleiben. „Die Menschen brauchen eine warme Unterkunft, um zur Ruhe kommen zu können.“

Doch die Sozialbehörde lehnt ab – genauso, wie im November bereits der Sozialausschuss der Bürgerschaft eine ähnliche Forderung der CDU abgelehnt hatte. Stattdessen sollen in den nächsten Wochen die Öffnungszeiten einiger Tagesaufenthaltsstätten ausgeweitet werden. „Aufgrund des gegenwärtigen Bedarfs“ würden zukünftig zwei weitere Tagesaufenthaltsstätten auch am Wochenende öffnen, heißt es.

Nach Informationen von Hinz&Kunzt handelt es sich dabei um das Herz As im Münzviertel und die TAS der Diakonie in der Bundesstraße. Im wöchentlichen Wechsel sollen sie jeweils an einem Tag pro Wochenende vier Stunden zusätzlich öffnen. Ein schwacher Trost für die frierenden Menschen auf der Straße und ganz sicher kein Ausweg aus der Obdachlosigkeit. Und dennoch hat es Monate gedauert, bis diese kleine Verbesserung Realität werden können.

Weiter warten auf neue Plätze im Pik As

Immerhin: die Plätze im Winternotprogramm reichen in diesem Jahr bislang offenbar aus. Auch an den kalten Tagen Anfang Januar nutzten knapp 800 Menschen den Erfrierungsschutz. Die meisten Nutzer kamen bislang Mitte Dezember, als es bei vier Grad über Null besonders viel regnete: 846 Menschen suchten am 12. Dezember Schutz in den Einrichtungen der Behörde. Plätze gibt es für insgesamt 890 Obdachlose. Die Sozialbehörde verspricht, im Bedarfsfall aufzustocken. „Es bleibt beim Ziel: Niemand soll abgewiesen werden“, sagt Sprecher Schweitzer.

Ins Stocken geraten ist die Erweiterung der Notunterkunft Pik As in der Neustadt. Im November hatten wir berichtet, dass die 260 Schlafplätze um 70 neue ergänzt werden sollen, sobald eine neue Brandmeldeanlage installiert wurde. Nun heißt es aus der Sozialbehörde: „Die Abnahme durch die Feuerwehr ist noch nicht erfolgt, weshalb die Plätze noch nicht genutzt werden können.“

Text: Benjamin Laufer
Foto: Annabel Trautwein

Wir haben eine Online-Petition gestartet: Winternotprogramm für Obdachlose auch tagsüber öffnen!
Hier unterschreiben und teilen: www.change.org/winternotprogramm