Niemand will derzeit freiwillig raus in die Kälte. Hamburgs Obdachlose aber haben keine Wahl. Sie müssen die warmen Räume des Winternotprogramms jeden Morgen räumen.
Seit Anfang der Woche liegen die Temperaturen Hamburg unter dem Gefrierpunkt. Mit dem Kälteeinbruch hat sich die Zahl der Obdachlosen erhöht, die in den Notunterkünften Schutz suchen. Auch der Kältebus der Alimaus hat mehr zu tun, berichtet Leiterin Christiane Hartkopf gegenüber Hinz&Kunzt: „Anfangs waren es ein, zwei Obdachlose. Aktuell bringt das Team eher sieben oder auch acht Menschen pro Nacht ins Winternotprogramm.“
Die Ehrenamtlichen vom Mitternachtsbus treffen derzeit weniger Obdachlose auf der Straße an, sagt Leiterin Sonja Norgall: „Besonders die kleinen Schlafplätze, wo jemand allein Platte macht, werden weniger.“ Sie geht davon aus, dass die Menschen das Winternotprogramm nutzen. Verbrachten dort Ende vergangener Woche noch etwa 462 Obdachlose die Nacht, so waren es am Dienstag bereits mehr als 500.
Aktuell mehr als 500 Obdachlose im Winternotprogramm
Trotzdem schickt sie die Stadt Hamburg jeden Morgen spätestens um 9 Uhr raus auf die Straße. „Das Winternotprogramm muss tagsüber für alle Obdachlosen geöffnet werden“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Jahr für Jahr stellt Hinz&Kunzt diese Forderung auf ein Neues. „Auch wenn es einige nicht mehr hören können: Die Tagesöffnung des Winternotprogramms ist wichtig und richtig. Angesichts der aktuellen Kältewelle müssen Obdachlose selber entscheiden dürfen, ob sie raus auf die Straße gehen oder lieber im Warmen bleiben.“
Demo für Obdachlose
Ungefähr vor einem Jahr gab es in Hamburg eine ähnliche Kältewelle. Tagsüber lagen die Temperaturen gegen Mittag bei minus vier Grad – so wie heute. Sogar einige Hamburger Sportvereine öffneten ihre Räume, um Obdachlosen Schutz zu bieten. Auch der städtische Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen reagierte und weitete die Öffnungszeiten der Notunterkünfte immerhin um vier Stunden aus.
Keine Warnung des Deutschen Wetterdienstes
Der Unterschied aus Sicht von fördern und wohnen: Dieses Mal gibt es keine Warnung des Deutschen Wetterdienstes vor Schnee und Schneeverwehungen. An den Öffnungszeiten werde nicht gerüttelt, „wenn die Temperaturen niedrig sind“, teilt f&w-Sprecherin Susanne Schwendtke mit. Vielmehr müsse eine „außergewöhnliche Gefahrenlage“ vorliegen. „Im vergangenen Winter gab es eine solche Lage an einigen wenigen Tagen, als morgens stark vereiste Gehwege von den Obdachlosen nicht gefahrlos genutzt werden konnten, um die Tagesaufenthalte aufzusuchen.“
Hinz&Kunzt und die freien Träger der Wohlfahrtspflege fordern seit Jahren eine Tagesöffnung des Winternotprogramms. Eine Forderung, die auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) unterstützt. „Obdachlose sind tagsüber ständig auf der Suche nach einem warmen Ort, werden oftmals vertrieben und müssen wieder zurück in die Kälte“, kritisiert SoVD-Vorstand Klaus Wicher. „Das ist unmenschlich und unwürdig, das geht an die Substanz und Gesundheit.“
Nach Auffassung der Sozialbehörde könnten die Obdachlosen tagsüber Zuflucht in den Tagesaufenthaltsstätten suchen. Geöffnet sind um 9 Uhr – wenn das Winternotprogramm schließt – allerdings nur zwei Einrichtungen auf St. Pauli und in Altona. Der Fußweg zu beiden Einrichtungen beträgt etwa eine Stunde. Pro Weg.