Winternotprogramm

Rausgeschmissen

Wurde von jetzt auf gleich der Notunterkunft verwiesen: der Obdachlose Waldemar. Foto: Dmitrij Leltschuk

Anfang April endete das Hamburger Winternotprogramm. Manche Obdachlose wurden schon Wochen vorher weggeschickt. Warum?

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Waldemar verliert sein Bett im Winternotprogramm ­bereits Mitte Februar. Eines Abends, erzählt der Obdachlose, wird er in der Unterkunft Halskestraße zum Gespräch gerufen. Eine Sozialarbeiterin des städtischen Betreibers Fördern & Wohnen (F&W) befragt ihn mithilfe eines Dolmetschers: Was er in Hamburg mache, ob er in seiner Heimat über Besitz verfüge? Nach wenigen Minuten sei das Gespräch vorbei gewesen, berichtet der Pole aufgebracht. „Pack deine Sachen, in zehn Minuten musst du hier raus!“, habe es geheißen. Drei Sicherheitsleute hätten seinen Rausschmiss mit Nachdruck begleitet. Zum Abschied habe man ihm einen Zettel in die Hand gedrückt.

Waldemar kramt in seiner Jackentasche und holt ein DIN-A4-Blatt hervor: eine Wegbe­schreibung zur sogenannten Wärmestube. So nennt die Stadt ein paar kleine, nur mit Stühlen und Tischen möblierte Räume einer Erdgeschosswohnung in Borgfelde. Obdachlose, die nach Ansicht der Stadt ihre Not aus eigener Kraft überwinden können, dürfen sich hier in kalten Monaten nachts aufhalten – und mit Glück auf dem Fußboden schlafen.

Waldemar lebt seit rund einem Jahr in Hamburg. Er suche hier einen Neuanfang, erzählt der 56-Jährige, in seiner Heimat habe er sich „gefangen“ gefühlt. Von seiner Frau sei er geschieden, die Kinder inzwischen groß. In den ersten Monaten habe er für eine Zeitarbeitsfirma in einem Warenlager gearbeitet. Dort sei er jedoch nicht korrekt bezahlt worden. Seit Start des Winternotprogramms habe er gemeinsam mit einem Landsmann in der Halskestraße geschlafen. Die Stadt betreibt hier in einem ehemaligen Hotel eine Notschlafstelle für bis zu 300 Obdachlose. Warum er die Unterkunft nach dreieinhalb Monaten ohne Vor­warnung von jetzt auf gleich verlassen musste, versteht der Obdachlose nicht: „Ich habe mich mit den Leuten dort gut verstanden.“ 

Waldemar ist nicht der einzige, der an diesem ­Februarabend seinen Schlafplatz in der Notunterkunft verliert: Rund ein Dutzend Obdachlose seien wie er in die „Wärmestube“ geschickt worden, sagt der Pole. Andere Betroffene berichten Diakonie-Sozialarbeitenden von 20 Menschen, die raus­geschmissen worden seien. Eine Kollegin von F&W, so Diakonie-Mitarbeitende, habe ihnen auf Nachfrage das Ziel der Maßnahme erklärt: „dass Menschen, die hier keine Leistungen beziehen, sich in Hamburg nicht verstetigen und in ein paar Jahren zu Härtefällen auf der Straße werden“. Sie sollten zurück in ihre Heimat und dort Hilfen beantragen.

Der städtische Unterkunftsbetreiber bestreitet diese Darstellung nicht. Auf Hinz&Kunzt-Nachfragen erklärte eine F&W-Sprecherin, in die „Wärme­stube“ werde geschickt, „wer nicht zum Kreis der ­Personen gehört, für die das Winternotprogramm da ist: ­obdachlose Menschen, die ihre Obdachlosigkeit nicht aus eigener Kraft überwinden können“. Sich selbst helfen könne in der Regel, „wer andernorts eine ­Wohnung hat“ oder „genug Geld besitzt, um in einem Hostel zu übernachten“. 

Waldemar hat weder eine Wohnung in Polen noch ein Einkommen hier. Zwei Nächte habe er es in der „Wärme­stube“ ausgehalten. Dann beschloss er, dass die Straße trotz allem der bessere Ort für ihn ist:
„Lieber schlafe ich mit den Ratten!“ Vier bis fünf ­Menschen pro Zimmer hätten in der F&W-Wohnung die Nacht verbracht, berichtet er – auf dem nackten Fußboden liegend. „Du bekommst keine ­Isomatte, du kannst nicht kochen, du kannst nicht duschen und es gibt nichts zu essen.“ Da schlafe er lieber auf Beton. Seine Träume hat die Stadt ihm nicht nehmen können: „Ich möchte eine normale Arbeit finden und eine normale Wohnung.“

„Menschen wie Waldemar werden vermutlich nicht in ihre Heimat zurückgehen, auch wenn die Stadt ihnen das Überleben hier so schwer wie möglich macht“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Isabel Kohler. „Vielmehr ist zu befürchten, dass diese Menschen zunehmend auf unseren Straßen verelenden.“

Artikel aus der Ausgabe:

Gut geschlafen?

Wie schlecht Obdachlose schlafen – und was das für ihre Gesundheit bedeutet. Wieso es im Stadtteil Niendorf Widerstand gegen neue Hilfseinrichtungen gibt. Außerdem: Besuch im Zusatzstoffmuseum und Interview mit Kettcar-Bassist Reimer Burstorff.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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