Melanie Leonhard (SPD) lobt in einer ersten Bilanz das zurückliegende Winternotprogramm ihrer Behörde. Diakonie und Oppositionsparteien üben hingegen scharfe Kritik an der Politik der Sozialbehörde.
Trotz eisiger Nächte ist das Winternotprogramm der Stadt nicht annähernd ausgelastet gewesen: Von den 760 Betten an den beiden Standorten Friesenstraße und Kollaustraße waren im Durchschnitt nur 545 belegt. Das entspricht einer Belegung von 67 Prozent – ein Rückgang von zehn Prozent zum Vorjahr.
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) bezeichnete das Winternotprogramm in einer ersten Bilanz dennoch als Erfolg. So habe man etwa mehr Personal für Beratungen eingesetzt und die Ausstattung verbessert. Man biete abschließbare Schränke, nächtliche Sicherheitsdienste und mehr.
Diakonie sieht „Alarmzeichen“
Trotz verbesserter Ausstattung gelinge es offenbar nicht, die Menschen auf der Straße zu erreichen, kritisierte Dirk Hauer von der Diakonie: „67 Prozent Auslastung sind für uns ein Alarmzeichen“, sagte er. Mehr noch: „Es kommt nicht mehr jeder rein“, so Hauer.
Das Winternotprogramm soll eigentlich anonym nutzbar sein. Die Stadt habe diesen Winter aber verstärkt auf einer „Mitwirkungspflicht“ der Obdachlosen bestanden, sprich: Wer ins Winternotprogramm will, muss vorher allerlei Fragen beantworten, etwa über seine finanziellen Verhältnisse oder über seine Herkunft. Wer dem nicht nachkomme, werde an die Wärmestube verwiesen. Dort gibt es nur Stühle, keine Betten. Dirk Hauer: „Das hat eine abschreckende Wirkung“. Die Diakonie bezeichnet die Mitwirkungspflicht als „rechtlich höchst fragwürdig“.
„Es kommt nicht mehr jeder rein.“– Dirk Hauer
Senatorin Leonhard begründete ihr Vorgehen damit, dass das Winternotprogramm „kein Rückzugsort für Arbeitsausbeutung“ sei. Der Stadt seien Gruppen aus Osteuropa bekannt, die die Freizügigkeit missbrauchen würden. Dagegen kritisierte Cansu Özdemir, sozialpolitische Sprecherin der Linken, dass die Stadt „eine diskriminierende Politik gegenüber zugewanderten Obdachlosen betreibt“ – auch deshalb sei das Winternotprogramm so schlecht ausgelastet. Die CDU bemängelte, die Stadt „tue zu wenig“.
Senatorin stellt Vermittlungszahlen vor
Die Senatorin stellte bei der Bilanz auch vorläufige Vermittlungszahlen vor: So seien mehr als 400 ehemals Obdachlose in Unterkünfte vermittelt worden. Das ist ein Plus von 70 zum Vorjahr. Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt aber noch, in welchen Einrichtungen die Menschen untergekommen sind.
Sozialbehördensprecher Martin Helfrich sagte auf Hinz&Kunzt-Nachfrage, es liege noch keine detaillierte Auswertung vor, „aber bei der Zahl 400 handelt es sich um Menschen, deren Vermittlung zu einem großen Teil in öffentlich-rechtliche Unterbringung erfolgt.“ Dazu zählt etwa auch das Pik As, die einzige Übernachtungsstätte der Stadt, die alle Obdachlosen rund um die Uhr aufnehmen muss.
Linken-Politikerin Cansu Özdemir zweifelt diese Zahl an. Sie sagte, der Senat „täusche darüber hinweg, dass damit auch beispielsweise Unterkünfte im Herkunftsland und damit Ausweisungen“ gemeint sein könnten.
Lob für den Kältebus
Dass immer mehr Menschen auf Hamburgs Straßen verelenden, hatten zuvor ehrenamtliche Obdachlosenhelfer kritisiert. Erstmals fuhr daher in diesem Winter ein Kältebus nachts hilfebedürftige Obdachlose an – Hinz&Kunzt hatte das Modell nach Berliner Vorbild angeregt. Der Kältebus war bei der Sozialbehörde zum Start äußerst skeptisch betrachtet worden. Das Abendblatt zitierte Behördensprecher Enricko Ickler damals mit den Worten „auch ein Kältebus kann einen Obdachlosen nicht gegen seinen Willen ins Winternotprogramm oder zu anderen Beratungsstellen bringen“.
Offensichtlich eine Fehleinschätzung des Projekts: 179 Menschen gelangten nur durch den Einsatz des Kältebusses ins Winternotprogramm. Melanie Leonhard bezeichnete den Bus nun auch als „tolles ehrenamtliches Projekt.“ Man werde das Gespräch mit den Betreibern der Obdachloseneinrichtung Alimaus suchen: „In der Direktansprache der Obdachlosen können wir uns noch verbessern“, so die Senatorin.
Was in der Behördenbilanz fehlte waren hingegen die sechs Menschen, die seit Oktober Winter in Hamburg auf der Straße gestorben sind (Hinz&Kunzt berichtet in der April-Ausgabe) – „so viele wie seit 1995 nicht“, so Stephan Karenbauer. Auf Nachfrage erklärte die Senatorin, man prüfe jeden Einzelfall und kläre, ob die Obdachlosen Kontakt zu städtischen Hilfeprogrammen hatten. Man sei „aber auch ein Stückchen auf freiwillige Mitarbeit angewiesen“.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) berichtete unterdessen über 12 Obdachlose, die diesen Winter in Deutschland auf der Straße gestorben sind. Zuletzt sei am 9. April ein 55-jähriger wohnungsloser Mann auf einem Parkplatz tot aufgefunden wurde. Bei Temperaturen von knapp über null Grad wird offiziell Kälteeinwirkung als Todesursache vermutet. Die BAG W fordert, Notübernachtungen so lange wie nötig offen zu halten. In Hamburg blieb das Winternotprogramm, wie immer, tagsüber geschlossen.