Vor vier Jahren wurde Liana nach Armenien abgeschoben. Sechs Monate später kehrte sie nach Hamburg zurück. Jetzt haben wir die 18-Jährige noch mal getroffen.
(aus Hinz&Kunzt 228/März 2012)
Am 1. März 2008 haben sie uns abgeholt. Sie haben nachts um drei Uhr bei uns geklingelt, lauter Männer in Uniform. Wir mussten packen, mein Vater, mein Bruder Grischo und ich, jeder eine kleine Tasche mit irgendwelchen Sachen. Und dann haben sie uns nach Eriwan gebracht, das ist die Hauptstadt von Armenien, wo meine Eltern herkommen. Meine Mutter und meine kleine Schwester Sona sind nicht mit uns abgeschoben worden, wegen irgendwelcher Papiere.
In Eriwan war es keine gute Zeit. Wir hatten keine eigene Wohnung und haben bei unterschiedlichen Freunden übernachtet, meistens auf der Couch.
Wir hatten die ganze Zeit Angst. Vor den fremden Leuten. Dass wir von unserem Vater auch noch getrennt werden. Dass wir nie wieder nach Hause können. Und weil Mama nicht da war. Die Tage haben sich lang angefühlt. Wir hatten ja nichts zu tun.
„Es ist nicht sicher, ob wir in Hamburg bleiben dürfen.“
Aber ich habe es überstanden. Im September durften Grischo und ich nach Hause fliegen. Die Härtefallkommission hat das entschieden. Für meinen Vater galt das nicht, er musste in Eriwan bleiben. Seitdem haben wir uns erst ein Mal gesehen. Manchmal telefonieren wir, aber immer nur kurz, weil es so teuer ist. Er sagt dann, dass er mich lieb hat und dass er uns vermisst.
An das Ganze, auch an die Abschiebung, denke ich nicht so oft. Ich versuche das zu vergessen. Für meinen Bruder ist das nicht so leicht. Er war damals ja erst zehn Jahre alt. Manchmal hat Grischo Albträume: Wie die Männer nachts kommen und uns holen.
Ich war glücklich, wieder in Hamburg zu sein. Ich durfte in meine alte Klasse. Wir sind damals vom Flughafen direkt zur Schule gefahren. Da kamen meine Freunde mir entgegengerannt und sie haben meinen Namen gerufen und manche haben geweint. Ich wurde auch wieder zur Klassensprecherin gewählt. Meine Mitschüler haben mir geholfen, wenn ich im Unterricht nicht so gut mitkam. Ich hatte eine ganze Menge Stoff verpasst.
Dass ich im Sommer 2010 meinen Hauptschulabschluss geschafft habe, habe ich meiner Klassenlehrerin zu verdanken. Sie hat manchmal gesagt, dass ich nach der Sache ernsthafter geworden bin. Nach der Schule bin ich noch auf die Berufsschule gegangen. Aber das habe ich nicht durchgehalten. Ich war, ehrlich gesagt, faul. Ich dachte, es bringt doch eh nichts, wenn ich mich anstrenge.
Dann habe ich im Sonnenstudio gejobbt. Damit ich nicht verlerne, wie ein geregelter Alltag abläuft – und auch, um Geld zu verdienen. Das ist wichtig, um unsere Chancen zu erhöhen, dass wir in Hamburg bleiben dürfen. Unsere Aufenthaltsgenehmigungen laufen immer nur ein halbes Jahr oder ein Jahr. Die jetzige gilt noch bis Dezember. Dann entscheidet die Ausländerbehörde, ob wir in Hamburg leben dürfen oder abgeschoben werden. Wir dürfen wahrscheinlich nur bleiben, wenn wir es schaffen, alleine für uns zu sorgen.
Zurzeit macht meine Mutter noch einen Deutschkurs, deswegen bekommen wir Geld vom Amt. Sie sucht eine Arbeit und schreibt viele Bewerbungen. Aber das ist auch nicht so einfach, eine Arbeit zu finden. Als mein Vater noch da war, ist er arbeiten gegangen.
„Ich fühle mich als Deutsche, meine Geschwister auch!“
Ich habe fast mein ganzes Leben in Hamburg gelebt. Ich fühle mich als Deutsche, ich bin Deutsche, meine Geschwister auch. Nach so langer Zeit kann man nicht in einem fremden Land neu anfangen. Vielleicht können die von der Behörde das. Ich nicht. Die erwarten viel von Leuten, die hier leben wollen. Wenn man aber motiviert ist und arbeiten möchte, legen sie einem so einen Papierkram in den Weg.
Das Wichtigste ist für mich, dass ich einen Ausbildungsplatz finde. Gerade mache ich ein Qualifizierungs-Praktikum. In einem Klamotten-Geschäft im Billstedt-Center. Da räume ich Ware ein und mache Kasse. Aber am meisten Spaß macht es, Kunden zu beraten, was ihnen gut steht und so. Mein Chef hat gesagt, wenn ich zuverlässig und pünktlich bin, gibt er mir vielleicht einen Ausbildungsplatz.
Die Arbeit ist anstrengend. Abends komme ich erst um 21 Uhr nach Hause. Wenn meine Schwester noch wach ist, machen wir ihre Hausaufgaben. Sie geht in die zweite Klasse und ist in Mathe die Beste. Mit meinen Freunden kann ich mich nur am Sonntag treffen. Aber so ist das halt, wenn man erwachsen wird, oder? Nur: Wenn wir nicht hierbleiben dürfen, frage ich mich schon, was das alles bringen soll.
Protokoll: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante