Ist Chancengleichheit eine Illusion? Darüber diskutieren Experten kommenden Dienstag in der HafenCity Universität. Mit dabei: Katja Urbatsch von „arbeiterkind.de“. Im Hinz&Kunzt-Gespräch erklärt sie, was sich im Bildungswesen ändern muss.
Hinz&Kunzt: Frau Urbatsch, in kaum einem Industrieland sind die Bildungschancen so ungerecht verteilt wie in Deutschland. Drei von vier Akademikerkindern studieren, bei den Kindern von Nicht-Akademikern hingegen nur jedes vierte. Woran liegt das?
Katja Urbatsch: Zum einen muss man erst mal auf die Idee kommen. Wenn du die erste in deiner Familie bist, die studieren will, hast du keine Vorbilder und niemanden, den du fragen kannst. Dann geht es oft ums Geld: Du willst deinen Eltern nicht auf der Tasche liegen, hast aber auch Angst vor Schulden – und auch BAföG empfinden viele als solche. Und du musst dir ein Studium zutrauen. Viele, die aus nicht-akademischen Familien kommen, sind nicht sehr selbstbewusst und stellen ihr Licht unter den Scheffel.
Chancenungleichheit zeigt sich schon viel früher: Kinder in reicheren Stadtteilen schaffen viel häufiger den Sprung aufs Gymnasium als solche in ärmeren Quartieren.
Wir brauchen mehr Betreuung und mehr Unterstützung für diese Kinder. Das Problem ist, dass Schule davon ausgeht, dass Eltern aktiv mitmachen – finanziell und auch ideell. Das können aber nicht alle Eltern leisten. Schule muss deshalb so gestaltet sein, dass alle Kinder es alleine schaffen können.
Stimmt die Gleichung: Je mehr Bildung, desto besser?
Ja. Bildung hilft jeden Tag, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Manche sagen: „Was soll das, dann gibt es so viele Leute, die überqualifiziert sind und dann keinen Job finden!“ Ich sehe das anders: Man kann gut ausgebildet sein und einer Arbeit nachgehen, bei der man vielleicht nicht alles reinstecken kann, was man gelernt hat – und trotzdem glücklich sein.
Die deutsche Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Was empfehlen Sie als Lösung?
Konferenz zu Bildungsarmut
Mein Eindruck ist: Viele Unternehmen möchten, dass die Bewerber schon alles können, wenn sie zu ihnen kommen, und sind nicht bereit, Menschen zu entwickeln. Es gibt hierzulande ja genug Leute, die eine Ausbildung oder einen Job suchen.
Schulabgänger ohne Abitur finden immer schwerer einen Ausbildungsplatz.
Gerade bei denen müssen wir die Chancen verbessern und dürfen nicht erwarten, dass die schon alles können. Es gibt sehr gute Initiativen, etwa das Programm „Joblinge“. Aber Modellprojekte allein reichen nicht.
Ihre Eltern haben nicht studiert. Trotzdem haben Sie den Weg an die Uni gefunden…
Ich wollte zunächst Journalistin werden. Da haben mir alle gesagt, dass ich studieren sollte. Und ich hatte das Glück, dass ich Mentoren hatte, die mich ermutigt und gefördert haben.
Katja Urbatsch, 38, hat die gemeinnützige Organisation „ArbeiterKind.de“ gegründet, um Kindern von Nicht-Akademikern den Zugang zum Studium zu erleichtern. Heute arbeitet sie als deren Geschäftsführerin. Mehr Infos unter www.arbeiterkind.de