Rezepte gegen Altersarmut gibt es. Doch sie werden nicht angewandt.
Zwanzig Jahre ist Staczek (Name geändert, Red.) zur See gefahren, für eine polnische Reederei. Rund 200 Euro Rente monatlich erhält er dafür, erzählt der 80-Jährige. Hinzu kommen ein paar Euro für die sechs Jahre, die er in Hamburg Möbel geschleppt hat. Mehr Rentenansprüche hat sich der frühere Hinz&Kunzt-Verkäufer nicht erarbeiten können. Ein Arbeitgeber habe ihn gezwungen, schwarzzuarbeiten. Später seien Krankheiten hinzugekommen. Staczek hat das Glück, dass er bei einer guten Bekannten sehr günstig wohnen kann. Deshalb und dank der rund 400 Euro Grundsicherung kommt er gerade so über die Runden. Auch wenn er sagt: „Früher konnte ich einmal im Jahr für ein bis zwei Wochen in meine Heimat fahren. Bei den Preisen heute kannst du das vergessen.“ Staczek ist einer von rund 50.000 über 65-Jährigen in Hamburg, die arm im Alter und deshalb auf Hilfe vom Staat angewiesen sind. Das sind fast doppelt so viele wie vor 15 Jahren.
Und die tatsächliche Zahl der Bedürftigen dürfte weit höher sein: Sechs von zehn Menschen, die Grundsicherung im Alter bekommen könnten, nehmen diesen Anspruch nicht wahr, so das Ergebnis von Studien: aus Scham, aus Unwissenheit, aus Angst vor Nachteilen oder weil die Anträge sehr kompliziert sind. „Es gibt Menschen in Hamburg, die gehen am Ende des Monats nicht mehr auf die Straße. Weil sie die Sorge haben, dass sie jemanden treffen, der sagt: ,Komm, lass uns mal ’nen Kaffee trinken!‘ Und die das nicht können, weil sie nicht das Geld dafür haben“, berichtet Klaus Wicher, Vorsitzender des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Hamburg. Und es gebe sogar Menschen, die hungern. „Die Preiserhöhungen sind so gewaltig, dass einige am Ende des Monats einfach nichts mehr haben.“
Vor allem Frauen sind betroffen
Die Grundrente, ein Vorzeigeprojekt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), hilft den wenigsten. Nur rund jede:r 50. Betroffene in Hamburg profitiert bislang von ihr, so Wicher. „Und das ist ja auch keine Grundrente, sondern ein Rentenaufschlag.“ Ihn bekommt unter bestimmten Voraussetzungen, wer mindestens 33 Jahre sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Wer nicht regelmäßig oder vor allem in Minijobs oder selbstständig beschäftigt war, bleibt außen vor. Vor allem Frauen müssen sich oft mit Mini-Renten durchschlagen, so die Statistiken.
Der SoVD-Vorsitzende Wicher fordert deshalb grundsätzlich höhere Renten, gleiche Löhne für Frauen und die vollwertige Anerkennung von Familien- und Pflegezeiten. Das sind zwar Vorschläge, die die Bundesregierung umsetzen müsste, doch auch der Hamburger Senat kann Altersarmut bekämpfen, meint Wicher. Zum Beispiel mit eigenem Geld einen 10-Prozent-Aufschlag auf die Grundsicherung auszahlen, so wie die Stadt München es vormacht. Rot-Grün lehnte diese Idee bereits 2019 ab – mit Hinweis auf fehlende Daten. Aus Sicht des SoVD-Vorsitzenden eine Ausrede: „Das ist eine Frage des politischen Willens. Und der Bereitschaft, das entsprechende Geld in die Hand zu nehmen.“
Einmalzahlungen helfen wenig
Mit weiteren, schnell umsetzbaren Maßnahmen sollte der Senat das Leben aller Hilfebedürftigen in Hamburg erleichtern, fordert Wicher: etwa mit einem Null-Euro-Ticket für Busse und Bahnen, kostenlosen Sportangeboten und freiem Museumseintritt. Seit Jahren trage er diese Vorschläge der Sozialbehörde und den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen vor – ohne Erfolg. Die Entlastungspakete der im Bund regierenden Ampel würden Menschen in Altersarmut jedenfalls wenig helfen, meint der SoVD-Vorsitzende: „Einmalzahlungen sind wenig nützlich. Es braucht deutliche Erhöhungen der monatlichen Zuwendungen.“
Michael David, zuständig für Altersarmut bei der Diakonie Deutschland, hat noch einen anderen Vorschlag: Beantragt jemand Rente und die fällt gering aus, so die Idee, sollte dieser Umstand automatisch dem Grundsicherungsamt gemeldet werden. Das könnte dann weitere Ansprüche der Betroffenen prüfen – und verdeckte Altersarmut verhindern. Michael David: „So würde der Staat dafür sorgen, dass die Menschen, die Hilfe benötigen, diese auch bekommen.“