Obdachlose klagen an: Sicherheitsleute der Deutschen Bahn hätten mutwillig ihre Zelte zerstört und sie mit Reizgas angegriffen. Doch die Bahn-Mitarbeiter weisen die Vorwürfe zurück.
Als der Polizist sein Pfefferspray vom Gürtel nimmt, zuckt Manole zusammen und verschränkt reflexartig die Arme vor seinem Gesicht. Dabei will der Beamte es ihm nur zeigen. Im Polizeikommissariat 14 gibt Manole gerade eine Strafanzeige auf. Ob es so ein Reizgas gewesen ist, dass der Mann ihm in der Nacht ins Gesicht gesprüht hat, will der Polizist wissen. Bei Manole sitzt der Schock noch so tief, dass selbst diese Frage ihm Angst macht.
Was Manole erzählt, klingt wie eine Szene aus einem schlechten Film. Schon seit fünf Jahren zelte er mit seinem Cousin in einem Wäldchen nahe der S-Bahngleise im Hamburger Osten. Nie habe es Probleme gegeben. Bis zur vergangenen Woche. In der Nacht zu Mittwoch sind sie vom grellen Schein der Taschenlampen wach geworden, die auf ihre Gesichter gerichtet waren, gibt Manole im PK 14 zu Protokoll.
Zwei Männer und eine Frau in Uniformen der Deutschen Bahn hätten sie aufgefordert, zu verschwinden. „Ich habe gesagt, dass ich mich anziehen und meine Sachen packen muss“, fährt der Obdachlose fort. Das aber hätten die Sicherheitsleute nicht abwarten wollen und ihm Reizgas ins Gesicht gesprüht. Die Zeltwände hätten sie mit einem Messer zerstört, seinem Cousin mit einem metallverstärkten Schuh gegen den Kopf getreten. „Dabei haben sie gelacht“, sagt Manole. Später sei auch noch sein Schlafsack zerschnitten worden.
Ortstermin, zwei Tage nach dem Überfall. Ein Trampelpfad führt zwischen den jungen Birken und Weiden entlang eines zugewucherten Lärmschutzwalls, der das Wäldchen von den S-Bahngleisen trennt. Abgesehen von einigen Müllhaufen ein lauschiges Plätzchen. Doch die Idylle trügt, denn hinter vielen Büschen offenbart sich ein Bild der Zerstörung: Zahlreiche Zelte, bei denen die Außenwände zerschnitten sind und die so unbewohnbar gemacht wurden. Neben dem von Manole und seinem Cousin liegen Stühle, die offenbar zertreten wurden.
Ein paar Meter weiter stehen die einzigen zwei Zelte, die unbeschadet sind. Darin wohnt Hinz&Künztler Sascha mit seiner Freundin und zwei Hunden. Er erzählt, dass die Tiere in der Nacht zu Mittwoch angeschlagen hätten. „Um 0.38 Uhr bin ich aufgewacht“, erinnert er sich. Vor dem Zelt seien dann die Worte „Hier ist es sauber, alles gut“ gefallen. Bereits am Sonntag seien Mitarbeiter des Bahn-Sicherheitsdienstes der Bahn bei ihm gewesen und hätten angekündigt, dass seine Nachbarn demnächst geräumt würden, weil sie ihren Müll nicht entsorgt hätten: „Sie haben gesagt, dass wir uns nicht wundern sollen, falls es laut wird“, sagt Sascha.
Bildergalerie
- Hinz&Künztler Sascha begutachtet zusammen mit unserem Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer eines der zerstörten Zelte.
- Zahlreiche Zelte wurden unbewohnbar gemacht.
- Manole hat sein zerstörtes Zelt notdürftig mit einer Plane abgedeckt.
- Zusammen mit seinem Cousin schläft er nun unter diesem Behelfsunterschlupf.
Bei der Bahn kann man die Vorwürfe kaum glauben. „Das muss und will ich unbedingt aufklären“, schreibt uns Pressesprecher Egbert Meyer-Lovis am Freitagnachmittag als Reaktion. Am Montag berichtet er, dass die Mitarbeiter, die an diesem Abend in diesem Bereich im Einsatz waren, empört auf die Anschuldigungen reagiert und sie zurückgewiesen hätten. Bei den Zelten wären sie an diesem Abend gar nicht gewesen. Zudem würden sie als „absolut ruhige, besonnene Mitarbeiter“ gelten. „Irgendwas passt da nicht zusammen“, sagt Meyer-Lovis. Was allerdings passt: Im Dienst waren zwei Männer und eine Frau, genau wie in Manoles Erzählung.
Manole und sein Cousin haben sich inzwischen aus einer Plane einen neuen Unterschlupf gebaut. Provisorisch freilich, auch die Plane hat Löcher. In ihrem zerstörten Zelt einige Meter weiter lagern sie noch ein paar Sachen. Schlafen mögen sie darin aber nicht mehr. Sascha will sein Zelt nun an einem anderen Ort aufbauen – aus Angst, dass auch seines noch beschädigt wird. Die Polizei wird nun hoffentlich aufklären, wer die Zelte zerstört hat.
Text und Fotos: Benjamin Laufer