Vor zehn Jahren baute die Bundesregierung das Sozialsystem mit der Agenda 2010 und Hartz IV radikal um. Zwar gibt es heute weniger Arbeitslose – aber immer mehr Menschen können trotz Job kaum überleben.
Am 14. März 2003 legte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in seiner Regierungserklärung den Grundstein für die Agenda 2010 und die Hartz-IV-Gesetze. Die ehrgeizigen Ziele: Arbeitsvermittlung modernisieren, Arbeitslosenzahlen verringern, Kosten senken und Langzeitarbeitslose wieder in Lohn und Brot bringen.
Zehn Jahre später ist die Bilanz ernüchternd. Im Bundesdurchschnitt bezogen im vergangenen Jahr knapp 4,5 Millionen im erwerbsfähigen Alter Arbeitslosengeld II (Alg II). In Hamburg bezogen laut Statistikamt Nord 182.100 Personen Alg II, das sind fast 10 Prozent der Bevölkerung (2010). Womit sich die Befürworter der sogenannten Reform dennoch rühmen: Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken: Waren 2003 noch 5,2 Millionen Menschen in Deutschland ohne Job, sind es heute rund 3 Millionen.
Doch was die „Erfolgsstatistik“ verschweigt: Viele der Menschen, die einen Job haben, können von dem Verdienst kaum leben: als „Working poor“ bezeichnet sie die Nationale Armutskonferenz (NAK), in der Sozialverbände, Kirchenorganisationen und Gewerkschaften organisiert sind. Der Begriff umfasst all jene, die für mickrige Löhne malochen, die Mini- und Ein-Euro-Jobber, die Leiharbeiter, deren Zahl sich verdreifacht hat. Zudem sind immer mehr Menschen in Teilzeit beschäftigt. Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge habe allein in Hamburg bis 2010 um 36,5 Prozent zugenommen, so Die Linke.
Und: Der Niedriglohnsektor ist in den vergangenen Jahren aufgeblüht. 2010 arbeiteten im Bundesdurchschnitt 20,6 Prozent Arbeitnehmer in Vollzeit für einen Stundenlohn von unter 9,54 Euro (alte Bundesländer) bzw. 7,04 Euro (neue Länder), so Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Rund 1,4 Millionen Beschäftigte arbeiteten für einen Stundenlohn von unter 5 Euro.
In ihrem Schattenbericht zeigt die NAK zudem auf, dass 350.000 Vollzeitbeschäftigte in Deutschland sogar so wenig verdienen, dass sie ergänzend zu ihrem Lohn Hartz-IV-Leistungen brauchen, um ihr Existenzminimum zu sichern. Für die so genannten Aufstocker hat der Staat zwischen 2007 und 2011 rund 53 Milliarden Euro zwischen aufgewendet, geht aus Zahlen des Bundesarbeitsministeriums hervor.
Die NAK bezeichnet die Reform dann auch als „völlig gescheitert“. Sie fordert einen gesetzlichen Mindestlohn, einen Regelsatz, der sich am tatsächlichen Bedarf orientiert, eine Reform des Bildungs- und Teilhabepaketes und einen öffentlich geförderten Beschäftigungsmarkt für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose.
Text: Simone Deckner
Foto: Klaus-Uwe Gerhardt/pixelio.de