Die Müslimacher*innen von Heyho geben Menschen, die anderswo außen vor bleiben, eine Chance. Das Ergebnis schmeckt gut.
Der Neuanfang in der Arbeitswelt war hart. „Ich hab viel rumgejammert“, gesteht Patrick Haack. Das war im September 2019, als der ehemalige Junkie bei „Heyho“ in Lüneburg anfing. „Ich pack das nicht!“, habe er immer wieder seinen Chefs gesagt. Die hörten sich das an. Und schickten Haack jedes Mal früher nach Hause, ohne Lohnabzug. Heute ist der 52-jährige Mann Experte für Lager und Versand und sagt: „Es macht mir Spaß!“
In einer kleinen Fabrikhalle am östlichen Stadtrand von Lüneburg versuchen sie sich an einer besseren Welt. Der Duft von frisch gebackenem Müsli hängt in der Luft, sechs Frauen und Männer mischen Haferflocken mit Himbeeren, befüllen Pfandgläser und Nachfüllbeutel, packen Päckchen und stapeln Kisten. Hier entstehen nicht nur einzigartige Müslis. Hier arbeiten ehemals Drogenkranke Hand in Hand mit Student*innen. Als wäre das das Normalste auf der Welt.
Zu den drei Heyho-Gründern gehört Timm Duffner: 44 Jahre alt, drahtig, energiegeladen, zugewandt. Der Marketingmann hat in seinem früheren Leben das Deutschlandgeschäft des Eisherstellers Ben & Jerry’s aufgebaut. Er hat dabei US-Firmen kennengelernt, bei denen jede*r dritte Beschäftigte schon mal im Gefängnis gesessen hatte. „Second chance“ heißt die Idee, die Duffner beeindruckt hat. Auch wenn er den Begriff bewusst meidet: „Er suggeriert, dass die Menschen mal eine Chance hatten. Bei vielen ist das aber nicht der Fall.“
Im Sommer 2015 trifft Duffner zufällig auf Stefan Buchholz, einen seiner künftigen Kompagnons. Der hat Jahrzehnte mit Wohnungslosen gearbeitet und dabei gelernt: Auch diese Menschen wollen echte Arbeitsplätze und keine zweitklassigen Jobs.
„Ich wollte unbedingt weg von Hartz IV“
Romano Lai etwa. Der 49-Jährige mit der leisen Stimme ist eine von vier Vollzeitkräften in der Produktion. In der Wohnungslosenunterkunft, in der er früher lebte, habe er lange ehrenamtlich ausgeholfen. Dann bekam Lai endlich ein Jobangebot. Doch der angebotene Lohn war so gering, dass er beim Amt einen Mietzuschuss hätte beantragen müssen. Romano Lai lehnte ab: „Ich wollte unbedingt weg von Hartz IV.“ Das Arbeitsamt habe ihm öfters Ein-Euro-Jobs „aufgedrückt“. Einmal habe er sogar bei einem Supermarkt im Lager gearbeitet, auf 450-Euro-Basis. Nach drei Monaten verlor er den Job wieder, der Chef hielt seinen Mitarbeiter für „zu gefährlich“. Dabei habe er seine Vorstrafen schon bei der Bewerbung angegeben, sagt Lai – nur war das niemandem aufgefallen.
Heute verdient der ehemalige Junkie 1300 Euro netto für 32 Wochenstunden Arbeit und lebt mit seinem Hund in einer eigenen Wohnung. „Wenn ich abends nach Hause komme, weiß ich, was ich geleistet habe. Das tut gut!“ Und noch etwas gefällt Lai: „Wir sind hier keine Ellenbogengesellschaft. Wenn jemand Schwächen hat, tragen ihn die anderen mit.“ Die gemeinsamen Mittagessen, Teil des Konzepts, sind ihm wichtig, genau wie das Miteinander mit den studentischen Aushilfen. „Die sagen nicht: ,Kleiner Junkie, laber mal.‘ Die haben ehrliches Interesse, mal einen anderen Schlag Menschen kennenzulernen. Genau wie ich.“
Hier gibt's die Müslis
Friede, Freude, Eierkuchen? Nicht immer. Einmal, erzählt Firmengründer Duffner, habe es mächtig geknirscht zwischen zwei seiner Mitarbeiter*innen. Es ging um die Frage, wann genau es sinnvoll ist, mit dem Putzen vor Feierabend zu beginnen. Vielleicht ging es auch um mehr. Die Chefs baten die Konflikthähne zum Spaziergang – und staunten. „Das war einer unserer schönsten Momente“, sagt Duffner rückblickend. Dabei habe er nur Raum geschaffen, sonst nichts. „Die beiden haben miteinander gequatscht, bevor wir ein Wort sagen konnten – in wunderbarer Tiefe.“
„Wir wollen ein Modell zum Nachahmen werden“
Dass Duffner und seine zwei Mitstreiter ihr Unternehmen gründen konnten, haben sie einem glücklichen Umstand zu verdanken: Einer der drei „hatte Geld über“. Es reichte für zwei Jahre. Nun schießt ein sozial engagiertes Paar noch mal Kapital hinzu, und die Umsätze steigen langsam. Spätestens in anderthalb Jahren soll sich die Firma tragen. Für Duffner ist das alternativlos: „Wir wollen ein Modell zum Nachahmen werden: ein konsequent sozial aufgestellter Betrieb. Doch wir inspirieren dazu nur, wenn wir das kostendeckend schaffen – mindestens.“
Der Idealist hat noch viel vor. Er träumt von wöchentlichen Back-Fortbildungen für das Team, gewaltfreier Kommunikation, Yoga. Von einem Gehaltsmodell, das berücksichtigt, wenn jemand eine*n Familienangehörige*n pflegt. Und davon, dass überall soziale Fabriken entstehen. Dass der Bedarf da ist, zeigen die Bewerbungen, die jede Woche bei ihm eingehen: Sie kommen von Menschen aus ganz Deutschland.