Die Schwestern Sabrina und Stefanie leiten in vierter Generation den Hof Holzfuß in der Nähe von Hamburg – obwohl das so nicht geplant war. Die ganze Familie lebt vom Weihnachtsgeschäft, das viel Arbeit und Unsicherheit mit sich bringt.
Als Familie Holzfuß an einem Freitag im November zum Mittagessen zusammenkommt, liegen schon viele Stunden harter Arbeit hinter ihr. Auf dem Hof in Aasbüttel, 80 Kilometer vor den Toren Hamburgs, ist gerade Hauptsaison. Seit Oktober sind fast alle Familienmitglieder mit der Tannengrünernte beschäftigt, allein in dieser Woche werden sie rund 3000 Kilo davon an Märkte in ganz Norddeutschland geliefert haben.
Am Tisch versammelt sind neben Seniorchef Uwe Holzfuß und seiner Frau Brigitte die Töchter Stefanie und Sabrina mit ihren Ehemännern Stefan und Siegmar und die sechs und acht Jahre alten Enkel Piet und Knut. Es gibt Braten vom Schwein aus dem eigenen Stall, dazu Gemüse aus eigenem Anbau. Seit die Holzfuß-Schwestern vor ein paar Jahren die Weihnachtsbaumzucht der Eltern übernahmen, probieren sie aus, was auf dem Hof alles möglich ist. Selbstversorgung gehört dazu.
Tannen statt Kartoffeln
Uwe und Brigitte begannen Ende der 1980er-Jahre, auf dem von Uwes Opa gegründeten Hof Weihnachtsbäume zu pflanzen. Früher war das hier ein Kartoffelhof, dazu gab es Milchkühe und Schweine. Heute wachsen hier vor allem Nordmanntannen, schlanke Fichten und blau schimmernde Nobilis. Am Rande des Feldes, auf dem frisch gepflanzte Nadelbäumchen und mittelgroße Exemplare stehen, ragen dichte Reihen hochgewachsener Tannen empor, die nicht gefällt werden, sondern als Wind- und Sichtschutz dienen, wie Sabrina Holzfuß bei einem Rundgang erklärt.
Sabrina zeigt auf knapp 1,20 Meter hohe Bäume, die sie mit lila Zettelchen für den diesjährigen Verkauf markiert hat. Acht Jahre lang seien die gewachsen und erst jetzt genau richtig für Hamburger Kund:innen mit kleinen Wohnungen. Als sie selbst noch in der Stadt wohnte, arbeitete die 41-Jährige in der Altenpflege und die fünf Jahre ältere Stefanie als Krankenschwester. Heute hegen und pflegen die beiden Weihnachtsbäume.
Doch dass sie den Hof nicht für immer so weiterführen können, wie sie ihn von den Eltern übernommen haben, sei ihnen schnell klar geworden, sagt Sabrina. Im Hitzesommer 2018 vertrockneten rund 1000 ihrer Bäume, darunter welche, die zehn Jahre lang gewachsen waren. Ein herber Verlust, dessen Ausmaß sich erst in diesem Jahr bemerkbar mache, weil nun die Bäume fehlten, die damals noch im Wachstum waren. „Wir werden nicht mehr ewig von den Weihnachtsbäumen leben können und unsere Kinder erst recht nicht“, sagt Sabrina. Daher stellten sie sich immer breiter auf und betreiben inzwischen drei verschiedene Unternehmen auf dem Hof. Darunter eines, das den Einsatz ihrer landwirtschaftlichen Geräte vermarktet, und die „Holzfuß Event“, die Adventsfeiern organisiert und die Vermietung von Stellflächen an ein Start-up abwickelt, das Kurzurlaub in Tiny Houses für gestresste Großstädter anbietet. Eines der Designhäuschen steht abseits der Ackerfläche mit Blick auf ein einsam gelegenes Feld, das zweite irgendwo anders auf dem weitläufigen Grundstück. Außer um die Reinigung müssten sie sich um nichts kümmern, sagt Sabrina, sie bekämen die Gäste nur selten zu Gesicht.
Uwe und Brigitte lassen den Jüngeren freie Hand bei allen Entscheidungen rund um die Zukunft des Hofes. Dass sie irgendwann mal mit den Töchtern und Schwiegersöhnen zusammen hier arbeiten und leben würden, hätte sie sich früher nicht ausgemalt, sagt Brigitte. „Sonst hätte ich halt verkauft“, grummelt ihr Mann. Das Thema Hofnachfolge hatte sich schon erledigt, als das zweite Mädchen geboren wurde, sagt Tochter Stefanie und lacht. Sie und ihre Schwester Sabrina hätten nie den Druck verspürt, in die Fußstapfen des Vaters treten zu müssen, einem Sohn wäre das vielleicht anders gegangen. Steffi lebte erst in Köln, lernte dort ihren späteren Ehemann Stefan kennen und zog zu ihm nach Hamburg. „Als sie mich das erste Mal auf den Hof mitnahm, dachte ich nur: Wo bringt die mich denn jetzt hin?“, erinnert der sich heute. Das Leben auf dem Land erschien ihnen damals völlig abwegig.
„Es gab gut 15 Jahre in meinem Leben, in denen ich mir nicht hätte vorstellen können, wieder hierherzuziehen“, sagt Stefanie, während sie schwere Tannenzweige auf eine Waage hievt. „Unser Glück war, dass unsere Eltern noch so jung sind. Die Frage, wie lange sie das noch allein schaffen, hat sich erst spät gestellt.“ Mehrere Familienmitglieder arbeiten an diesem Nachmittag auf einer ein paar Kilometer vom Hof entfernten Nutzfläche, auf der dichte Reihen von hochgewachsenen Tannen stehen, von denen das Grün abgeerntet wird. Siegmar steht auf einem Hubsteiger und sägt die Zweige runter, Sabrina sammelt sie ein und schneidet sie in Form. Zwei rumänische Erntehelfer, die während der Saison unterstützen, fällen derweil Bäume, die zu hoch geworden sind, Uwe fährt mit einem Forstmulcher drüber und schreddert die Baumstümpfe. Die meisten Leute machten sich keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit hinter dem Tannengrün stecke, das in ihren Wohnzimmern Adventsstimmung verbreite, sagt Stefanie. Das sei echte „Buckelarbeit“ und halte alle wochenlang auf Trab. Ab dem ersten Advent werde es weniger, dann seien die Weihnachtsbäume dran, die man „einfach nur“ fällen und verkaufen müsse.
Sabrinas Mann Siegmar, der inzwischen einen großen Teil der Arbeit auf dem Hof schultert, ist eigentlich studierter Biologe sowie Musiker und Musikproduzent. Bei ihm habe es „klick gemacht“, als sie ihn das erste Mal mit hierher nahm, sagt er. Immer öfter fuhr er in seiner Freizeit hier raus und half seinen Schwiegereltern. Er lernte, wie man Trecker fährt, Böden bearbeitet, sät und erntet. 2017, ein knappes Jahr nach der Geburt ihres ersten Kindes, zogen er und Sabrina ganz hierher. Sie bauten sich ein kleines Haus auf dem Grundstück und Siegmar richtete sich im alten Schweinestall ein Tonstudio ein, in dem er bis heute an seiner Musik weiterarbeitet.
Ihr und Stefanie sei immer klar gewesen, dass der Hof in der Familie bleiben solle, sagt Sabrina. Wie genau das funktionieren könne, sei lange unklar gewesen, aber: „Klar war immer, wenn, dann zusammen.“ Dass beide Partner bereit waren, mitzumachen, sei das große Glück dabei. Stefanie pendelte zunächst zwischen Hamburg und Aasbüttel, sie und ihr Mann führten jahrelang eine Fernbeziehung. Erst kürzlich gab auch er seine Hamburger Firma auf und zog zu Stefanie aufs Land.
Trotz aller Strapazen und Unsicherheiten – solange es noch geht, wollen sie am Weihnachtsgeschäft festhalten, da sind sich alle einig. Gerade das „ganze Drumherum“ in der Vorweihnachtszeit würde ihnen sonst zu sehr fehlen. „Wir verkaufen nicht einfach nur Weihnachtsbäume, sondern auch ein Stück gutes Gefühl“, bringt Siegmar es auf den Punkt. Was sie in 20 Jahren machen werden, sei ungewiss, aber das Familiäre, Ursprüngliche, was den Hof heute ausmache, das werde hoffentlich bleiben.