Wanda Boudrie verkauft das Straßenmagazin Toledo Streets in den USA und wurde als Verkäuferin des Jahres ausgezeichnet. Der Magazinleiter John Keegan erklärt, was an Wandas Persönlichkeit ihre Kollegen und Kunden beeindruckt.
Ich habe Wanda im Juli 2016 getroffen, ein paar Wochen, nachdem ich im April zum Toledo Streets Team stieß. Ich hatte meine Mühe zu begreifen, wie das mit der Straßenzeitung in Toledo im Bundesstaat Ohio funktioniert, als Wanda dazukam und es auch ausprobieren wollte.
Beim Umgang mit ihr fühlte ich mich zunächst etwas unwohl. Ich hatte erst mit einem anderen Kollegen im Rollstuhl gearbeitet und ich musste mich damals ohnehin schon auf die Erwartungen und Bedürfnisse der Leute einstellen, für die ich gerade begonnen hatte, zu arbeiten. Wäre es für sie in Ordnung, wenn ich ihr die Tür aufhielte oder würde sie vehement alles ablehnen, das man als Mitleid interpretieren könnte? Waren Gespräche über ihre Behinderung eine Grenzüberschreitung oder war sie damit einverstanden? Zu meinem Glück machte Wanda es mir leicht und brachte die offensichtlichen furchtbaren Wortspiele einfach selbst, sodass ich gar nicht die Chance hatte, respektlos zu sein. Sie ließ sich vollkommen auf mich und das Projekt ein und wurde schnell ein bekanntes und willkommenes Gesicht bei unseren wöchentlichen Treffen, die sie – wenn überhaupt – nur selten verpasst.
Sie wurde zu einem unentbehrlichen Teil des Teams. Zum Beispiel koordiniert sie die Verkäufer, die in der Innenstadt und bei Baseball- und Hockeyspielen verkaufen. Außerdem hat sie ein exzellentes Verhältnis zu den Angestellten und Kunden bei Black Kite Coffee aufgebaut, wo sie verkauft. Sie könnten sie dort an einem Wochenende treffen.
It's #VendorWeek!
Ich habe sie als geduldig, nett und weise kennengelernt. Sie verliert nur selten unter Druck ihre Gelassenheit und hat bereits mehrfach Konflikte unter Verkäufern geschlichtet, bevor das Management das tun musste. Sie macht meinen Job einfacher, und dafür bin ich dankbar.
Sie hat schon immer in der Gegend von Toledo gelebt. Nach einer schlimmen Ehe ist sie auf der Straße gelandet und hat fünf Jahre in Unterkünften gelebt. Seit vier Jahren hat sie wieder eine eigene Wohnung. „Die Zeitung zu verkaufen hilft mir, über die Runden und aus dem Haus zu kommen. Ich mag es, neue Leute zu treffen“, sagt Wanda.
Und es gelingt ihr auch. Wanda war unter den Top 3 aller Verkäufer im vergangenen Jahr. Die meiste Zeit war sie einsame Spitze. Das Geheimnis ihres Erfolges? „Geh’ jeden Tag zur Arbeit und bleib auch da – gerade in den schlechten Zeiten. Natürlich kaufen einige die Zeitung nur au Mitleid für ‘die arme alte Frau im Rollstuhl’, aber das passiert viel seltener, als andere Verkäufer glauben.“
Wanda ist als Diabetikerin auf Insulin angewiesen. Durch die Krankheit hat sie beide Beine verloren. Aber wenn man sie kennenlernt glaubt man, dass sie nie einen Schritt verpasst hat. Sie ist erstaunlich gut darin, in ihrem motorisierten Rollstuhl umherzufahren und besucht regelmäßig Sportevents und Konzerte. Vor einiger Zeit hat sie endlich Beinprothesen bekommen und macht jetzt Physiotherapie, um nicht mehr vom Rollstuhl abhängig zu sein. Regelmäßig erinnert sie uns daran, dass sie neue Schuhe fürs Tanzen kaufen will.
Zwar braucht sie den Rollstuhl als Werkzeug, aber der Rollstuhl definiert nicht, wer sie ist. Allein ihre Verkaufszahlen würden reichen, um sie zur Verkäuferin des Jahres zu machen, aber ihre Attitüde, ihre Belastbarkeit und ihre Entschlossenheit verkörpern unsere Vision: Hoffnung, Gemeinschaft, Wandel.
Wenn man sie nach ihrer Lebensphilosophie fragt, antwortet Wanda: „Sei höflich und behandle jeden mit Respekt. Ein ‘Dankeschön’ oder ein ‘Gott segne dich’ kosten dich nichts.“
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Toledo Streets / INSP.ngo. Übersetzung: Benjamin Laufer