Künstler Hendrik Beikirch :
Wahre Größe

Hendrik Beikirch alias ecb setzt den kleinen Mann von der Straße groß in Szene: auf Gastanks, Häuserfassaden und Schiffswracks. Für unsere StrassenKunztEdition gaben wir uns auch mit Papier zufrieden.

(aus Hinz&Kunzt 262/Dezember 2014)

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Hendrik Beikirch, Künstlername ecb, hielt als 15-Jähriger zum ersten Mal eine Spraydose in Händen. Heute kann man seine Kunst in vielen Städten und Galerien weltweit sehen.

Symbolwirkung? Ist ja immer eine feine Sache. Wobei … so hat das US-Stararchitekt Daniel Libeskind sicher nicht geplant: Dass sein Hochhauskomplex in Busan/Südkorea – mit dem er die „dramatische Schönheit und Kraft des Ozeans“ symbolisieren wollte – nun in einem Atemzug mit der Vertreibung alteingesessener Fischer genannt wird. Libeskind kann sich deswegen bei Hendrik Beikirch beschweren. Der Künstler nutzte die weiße Wand eines alten Parkhauses, die sich in strategisch günstiger Position in unmittelbarer Nähe des Hochhauskomplexes befindet, als Leinwand für ein riesiges Porträt eines einheimischen Fischers.

Im Kontrast zu den glänzenden, postmodernen Libeskind-Hochhäusern – ein Komplex, der aus drei Wohnhäusern, einem Bürogebäude, einem Hotel und einem Hubschrauberlandeplatz besteht – wirkt der prägnante Fischer wie das Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Sein Blick: ziellos. Sein Gesicht: von Falten durchzogen. Er trägt noch seine langen Plastikhandschuhe −„ein Zeichen, dass es noch immer Männer und Frauen gibt, die mit über 60 Jahren diese Arbeit tun müssen, um sich durchzubringen“, sagt Beikirch.

Vor zwei Jahren gestaltete er in wenigen Tagen dieses sogenannte Mural, wie Wandmalerei auch genannt wird. Mit 70 Metern Höhe ist es bis heute das größte in Asien. Wie immer kombinierte Beikirch sein Porträt auch in Busan mit einem Statement: „Where there is no struggle, there is no strength.“ Was in der deutschen Übersetzung so viel heißt wie: Wo es keine Auseinandersetzung gibt, kann auch keine Stärke entstehen. Der Fischer ist in vielerlei Hinsicht ein typisches Werk von Hendrik Beikirch, dessen Künstlername ecb lautet.

Der 1974 in Kassel geborene Maler ist bekannt geworden durch seine übergroßen, monochromen Porträts. Sie ­zeigen fast immer alte Männer. „Mich interessieren Menschen, deren Gesichter eine Geschichte erzählen“, sagt Beikirch. Es sind Gesichter, in denen das Leben seine Spuren hinterlassen hat, „wo du siehst, es läuft nicht immer geradlinig“.

Beikirch findet diese Gesichter eher zufällig. Während er auf den Bus wartet. Beim Schlange stehen im Supermarkt. In der U-Bahn. „Wenn du es erzwingen willst, funktioniert es meistens nicht“, sagt er. Es sei vielmehr alles eine Sache des Bauchgefühls.

Sein Skizzenbuch hat er immer griffbereit. „In 95 Prozent der Fälle mache ich zuerst eine Skizze, ohne dass die Person etwas davon weiß“, sagt der 40-Jährige. „Also brauche ich auch eine Situation, die das hergibt.“ Die Menschen, die er groß porträtiert, fragt Hendrik Beikirch natürlich vorher, ob sie damit einverstanden sind, dass er sie malt.

Obwohl er schon bekannte Persönlichkeiten wie Gandhi porträtiert hat, sind für ihn die Unbekannten wesentlich spannender. Die aus der „urbanen Masse“, nicht die Reichen, Mächtigen und Schönen, die kunsthistorisch lange das alleinige Objekt von Malern waren.

Beikirch hat selbst Kunst studiert. Wichtiger als das erscheint ihm der Rückblick auf seine Zeit inmitten der Subkultur. In seinem Fall hieß das vor allem: in der aufkeimenden Graffitiszene. Mit 15 Jahren hielt er zum ersten Mal eine Spraydose in den Händen. ­Eine Comicfigur war das erste Motiv. Es machte sofort Klick. „Es war wie eine Sprache, nach der ich gesucht habe.“

Seinen Stil hat Hendrik Beikirch bis heute immer weiter perfektioniert. Er malt seine übergroßen Porträts freihändig, ohne Schablone. Als Vorlage dient ihm einzig seine Skizze.

Anders als bei den meisten Straßenkünstlern erlauben die Eigentümer ­seinen Einsatz. Außerdem rückt Beikirch meist mit Kran und Hubkorb an – kein geringer Aufwand, der im Vorfeld organisiert werden muss. Diese Planungen seien unabdingbar, wenn auch nicht sein Steckenpferd, so Beikirch. „Wenn ich dann im Korb stehe und male, ist das entspannend. Das kann ich auch zwölf Stunden machen“, sagt er. Neulich in New York verließ er kurzerhand seinen Arbeitsplatz: Er wollte unbedingt den New-York-Marathon laufen. Auf eine Art ist er ein Wahnsinniger: „Da ging es aus dem Korb zum Marathon und dann direkt wieder in den Korb“, sagt er und lacht.

New York, Marrakesch, Kopenhagen, Zürich – Beikirch ist viel unterwegs. „Es gibt ja auch Leute, die wollen am Samstag ihren Rindenmulch im Garten ­verarbeiten und finden darin absolute Erfüllung. Für mich ist das Reisen eine Inspirationsquelle“, sagt er.

Dem Menschen, den er für unsere StrassenKunztEdition porträtierte, begegnete er in New York: einem Obdachlosen. Er könnte auch aus Hamburg stammen. Hendrik Beikirch findet: „Die Hauptsache ist, dass sein Gesicht eine Geschichte erzählt.“

Text: Simone Deckner
Foto: Dmitrij Leltschuk