Warum sich Flüchtlinge gerade in wohlhabenden Stadtvierteln gut integrieren können. Ein Besuch in den gelben Häusern von Duvenstedt.
(aus Hinz&Kunzt 256/Juni 2014)
Sollte man Flüchtlinge mitten in Harvestehude unterbringen? Dort, wo die Neuankömmlinge mehr Reichtum sehen, als sie sich je werden leisten können? Oder lieber dort, wo andere Ausländer leben, in ärmeren Stadtteilen? Omaira Noori hat eine klare Meinung dazu. Die 24-Jährige kam als Kind aus Afghanistan und hat jahrelang in einer Unterkunft gelebt, im wohlhabenden Duvenstedt. „Wenn meine Umgebung nicht so schön gewesen wäre und ich nicht so viel Unterstützung bekommen hätte – wer weiß, ob ich heute da wäre, wo ich bin – an der Universität“, sagt die angehende Stadtplanerin.
Lange war sie nicht mehr in Duvenstedt. Aber immer, wenn sie die „gelben Häuser“ wieder sieht, ist sie glücklich. Geborgen hat sie sich in der Flüchtlingsunterkunft gefühlt, angekommen – und angenommen.
Die afghanische Familie hatte tatsächlich Glück. Denn die elf Häuser wurden eigentlich als Eigentumswohnungen gebaut. Nur weil der Andrang der Flüchtlinge und Spätaussiedler in den 90er-Jahren mindestens so groß war wie heute und die Stadt händeringend Unterkünfte suchte, wurden sieben der elf Häuser für die Neuankömmlinge angemietet. Omairas Familie – die Eltern, die drei Kinder und die Oma – bekamen eine richtige, abgeschlossene Wohnung. In der kleinen Siedlung mit dem großen Spielplatz fühlte sich Omaira sicher und geschützt, zum ersten Mal nach der Flucht. Und in der Schule waren überwiegend deutsche Kinder. „Man musste einfach Deutsch sprechen, und dadurch habe ich die Sprache schnell gelernt.“
„In Duvenstedt konnten wir endlich zur Ruhe kommen.“
Die meisten Unterkünfte vorher fand sie schlimm: Erstaufnahme im Winter 1993/94 in der Sportallee, eng und überfüllt, Toilette, Bad und Küche musste man sich mit wildfremden Menschen teilen. Omaira war damals vier Jahre alt. Dann die Bibby Altona: „Das Drogenschiff“ nennt sie die damalige Unterkunft in Altona an der Elbe: Eng und bedrohlich fand sie das, wieder gemeinschaftliche Küche, Bad und Klo. Man konnte sich nicht aus dem Weg gehen. Psychischer Dauerstress. Schon besser: Lemsahl-Mellingstedt, ein Pavillondorf. Auch eine Sammelunterkunft, aber die Umgebung war schön. Ein Aufatmen. Und dann 1997 der Umzug nach Duvenstedt. Da war Omaira in der 2. Klasse. „Hier konnten wir endlich zur Ruhe kommen.“
Das Wort Glück fällt oft im Gespräch mit ihr, wenn sie von Duvenstedt spricht. Aber die gelben Häuser sind immer noch eine Ausnahme. Insgesamt leben rund 40 Prozent der Flüchtlinge in abgeschlossenen Wohnungen, aber natürlich nicht unbedingt so schön gelegen.
In Duvenstedt hilft außerdem ein stabiles, eingespieltes Team – auch das ist ungewöhnlich. Denn der Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen stellt für die 250 Menschen eigentlich nur die Leitung und einen Stellvertreter sowie zwei Hausmeister. Aber in Duvenstedt kommen noch die vier Mitarbeiter vom Jugendmigrationsdienst (JMD) dazu. Die sitzen mit ihrer Beratungsstelle gleich neben dem Spielplatz im Gemeinschaftshaus. „Wir ziehen alle am selben Strang“, sagt Unterkunftsleiterin Ellen Bader. „Die Kinder und ihre Bildung stehen bei uns im Mittelpunkt.“ Die 58-Jährige hat eine Maxime: „Ob die Kinder in Deutschland bleiben oder abgeschoben werden, sie sollen später denken: In den gelben Häusern war ich glücklich.“
Auch die Lage ist optimal, findet Norbert Boock, Leiter des JMD Alstertal: „Viel Platz und ein riesiger Spielplatz. Ein Schonraum zum Spielen.“ Seit der Eröffnung 1997 arbeitet der 51-Jährige in der Unterkunft. Seine Erfahrung: Nur wer nach der Flucht zur Ruhe kommt, könne überhaupt erste Schritte unternehmen, könne sich auf die anderen einlassen und sein neues Leben bewältigen.
„Ich will nur lernen, ganz schnell.“
Dafür tun die Haupt- und Ehrenamtlichen eine Menge: Der Spieltiger kommt oder die Bücherzwerge für die Kleinen. Es gibt Ausflüge und eine Tanzgruppe für Mädchen. Einen Computerkurs – und ganz viel Unterstützung bei den Hausaufgaben, bei Referaten und der Vorbereitung auf Prüfungen. Kein Kind soll abgehängt sein.
Auch Fatima kommt gerne zum Lernen ins Gemeinschaftshaus. „Viele Kinder haben so viel Druck wegen dem Krieg. Ich nicht“, beteuert die 11-jährige Syrerin. „Ich will nur lernen, ganz schnell.“ Und dann will sie Zahnärztin oder Architektin werden, das findet auch ihr Papa gut. „Der sagt: Wir Kinder brauchen eine Zukunft und nicht immer nur Krieg, Krieg, Krieg.“ Noch ist sie nicht so weit, aber bald will sie wie ihre Freundin Tassnim aus Ägypten aufs Gymnasium.
Die „kleinen Bildungsdamen“ – wie Ellen Bader die beiden Mädchen nennt – sind keine Einzelfälle. 30 Prozent der Kinder haben bislang Abitur gemacht, sagt Norbert Boock. Und nur zehn Kinder keinen oder einen schlechten Abschluss.
Omairas Eltern waren selbst Akademiker. Trotzdem glaubt sie, dass für ihre Entwicklung die Unterstützung hier und die relativ heile Umgebung im Alstertal wichtig waren. „Ich hatte deutsche Freundinnen, lebte auch in einem deutschen Umfeld. Ich habe mich angestrengt, weil ich auch mal so leben wollte wie die Menschen hier.“ Deswegen ist ihr Rat auch: Unterkünfte sollten da gebaut werden, wo die Zahl der Migranten nicht überdurchschnittlich hoch ist. „Sonst bleiben die Zuwanderer unter sich. Das hemmt die Integration.“
„Die meisten Nachbarn sind so, wie man sich Nachbarn wünscht.“
Aber natürlich wäre es gelogen, wenn man sagen würde, in der Duvenstedter Unterkunft wäre alles eitel Sonnenschein. Natürlich gibt es auch hier Kinder, die keine Lust auf Schule haben und gerne mal schwänzen. Aber Ellen Bader hat das inzwischen gut im Griff. „Zur Not klopfe ich an der Wohnungstür und hole das Kind ab.“ Die Zeiten, in denen sie Kinder morgens zur besten Schulzeit auf dem Spielplatz erwischt hat, sind vorbei. Die Kinder stehen im Mittelpunkt, sagt sie, aber das heißt auch, dass sie lernen müssen, Regeln zu beachten und Respekt zu haben. „Nur so kann man gut zusammenleben und nur so haben sie eine Chance.“
Zum Zusammenleben gehören schließlich auch die anderen, vor allem die Nachbarn. „Ich nehme jede Beschwerde ernst“, sagt Ellen Bader. Und da kommt einiges zusammen. Bälle, die in Rosenbeete geschossen werden, Klingelstreiche, die Nachbarn ärgern drüben auf der „deutschen Seite“, wo die Kinder eigentlich nicht spielen dürfen. „Dann müssen sie sich entschuldigen“, da ist Ellen Bader ganz streng. Schaden muss so weit wie möglich wieder gut gemacht werden. Zur Not wird auch mal der Bürgernahe Beamte eingeschaltet. Eigentlich ist auch immer schnell klar, wer was angestellt hat. „Aber die meisten Familien“, sagt Ellen Bader, „sind so, wie man sich Nachbarn wünscht.“
Ellen Bader mag die Nachbarn von der „deutschen Seite“: „Sie können immer wieder verzeihen“, sagt sie. Da macht sich eben noch was bezahlt: „Wenn es ein Problem gibt, gibt es kurze Wege“, sagt Norbert Boock – zu den Kitas, der Schule und dem Jugendtreff. Es fällt schnell auf, wenn ein Kind aus dem Ruder läuft. Und dann wird schnell beratschlagt, was zu tun ist. Duvenstedt sei eben immer noch ein Dorf. „Das wäre in einem großen Stadtteil oder in einem Brennpunkt so nicht machbar.“
Dass es in den vergangenen Jahren ruhiger geworden ist im Umfeld der Unterkunft, hängt auch damit zusammen, dass es jetzt Ganztagsschulen gibt und dass ein Drittel der Bewohner inzwischen arbeiten darf. Ein Stück Normalität in einer Ausnahmesituation. Eigentlich müssten die Familien jetzt Platz machen für andere. Aber das geht nicht – es gibt zu wenige bezahlbare Wohnungen. Wer Arbeit hat, muss allerdings Miete bezahlen.
„Hier fühle ich mich zu Hause.“
Omairas Familie hat vor Jahren den Absprung geschafft. Sie fand eine Drei-Zimmer-Wohnung in Volksdorf. „Wir sind im Alstertal geblieben“, sagt Omaira, worüber sie sehr froh ist. „Hier fühle ich mich einfach zu Hause.“ Solche Bedingungen wünscht Omaira auch anderen Flüchtlingen. In Harvestehude könnte das sogar klappen: 23 Familien sollen in die Sophienterrasse einziehen. Natürlich gab es im Nobel-Stadtteil Proteste. Nach dem Motto: Die armen Menschen könnten sich im reichen Stadtteil doch nicht wohlfühlen – und einige Kritiker haben Angst, dass ihre Grundstückspreise an Wert verlieren. Aber offensichtlich gibt es im Viertel mehr Anwohner, die den Neuankömmlingen helfen wollen. Die Flüchtlinge kommen erst Ende des Jahres, aber schon jetzt hat sich der Verein Flüchtlingshilfe Harvestehude gegründet – mit derzeit schon Dutzenden Mitgliedern.
Wenn der Verein tatsächlich umsetzt, was er plant, dann werden sich die Neu-Hamburger mit Sicherheit gut eingewöhnen: Deutschkurse, Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe. „Wir brauchen eine Willkommenskultur“, hatte die zweite Vorsitzende Heidrun Petersen-Römer im Interview mit Hinz&Kunzt gesagt. „Das sind traumatisierte Menschen, die ihre gesamte Existenz aufgeben und unter großen Schwierigkeiten versuchen, hier ihr Leben neu zu gestalten.“
Unterstützung kommt auch von unverhoffter Seite: Der Luxus-Immobilieninvestor, der an der Sophienterrasse zurzeit hochpreisige Villen und Wohnungen neu baut, will die Flüchtlinge finanziell unterstützen und Geld etwa für die Hausaufgabenhilfe und die Gartengestaltung bereitstellen. Uwe Schmitz von der Frankonia Eurobau sagt im Hamburger Abendblatt: „Diese Familien brauchen unsere Hilfe, und deshalb kann ich nicht verstehen, wenn es Nachbarn gibt, die etwas dagegen haben.“
Omaira Noori hat zusammen mit Kommilitonen eine Studienarbeit über Standorte von Unterkünften geschrieben. Die meisten Positiv-Kriterien treffen auf Harvestehude zu: gute Verkehrsanbindung, Schulen, Sportvereine in der Nähe, Möglichkeiten einzukaufen und sich auszutauschen. Und: Der Anteil der Migranten soll mit Aufnahme der Flüchtlinge nicht höher liegen als im städtischen Durchschnitt.
„Die Menschen, die wir hier unterbringen, sind unsere Zukunft.“
Letztendlich – und das sieht man an Ellen Bader, Norbert Boock, den Lehrern und Nachbarn – kommt es immer auch auf engagierte Menschen an, ob die Flüchtlinge hier eine Chance haben und ob wir lernen, mit ihnen zu leben. In unserem eigenen Interesse, sagt Ellen Bader, sollten wir uns engagieren. Neulich sah sie eine Sendung über Zuwanderung. „Es ging darum, dass unsere Gesellschaft überaltert ist – und ich habe mich gefragt: Haben die da die Zuwanderer schon mit gerechnet oder nur uns Deutsche?“ Da sei ihr klar geworden: „Die Menschen, die wir hier unterbringen, sind unsere Zukunft, das sollten wir nicht vergessen.“
Omaira überlegt gerade, ob sie sich nach dem Studium darum bewerben sollte, Unterkünfte mitzugestalten. Eigentlich wollte sie ja in einem anderen Bereich Karriere machen und ordentlich Geld verdienen. „Aber ich habe ja viele eigene Erfahrungen und spreche interessante Sprachen, vielleicht werde ich ja gebraucht.“
Text: Birgit Müller und Simone Deckner
Fotos: Dmitrij Leltschuk
Nächstes Treffen des Vereins Flüchtlingshilfe Harvestehude am Mittwoch, 18.6., im Wilhelm-Gymnasium, Klosterstieg 17, Kontakt zum Verein: hendrikjeblandow@web.de. Den Artikel über Harvestehude finden Sie unter hinzundkunzt.de/fluechtlinge-harvestehude