Mitgefühl zeigen, anderen Menschen helfen – für Inge Huderitz ist das selbstverständlich. Bei ihrer Haushaltsauflösung sammelte die 82-Jährige Spenden für Hinz&Kunzt.
(aus Hinz&Kunzt 241/März 2013)
Auch heute hat sie wieder Kleingeld gegeben, „für ’nen Kaffee“, wie sie sagt. „Es ist doch so kalt.“ Aber egal, ob Winter oder Sommer: Inge Huderitz geht nie einfach vorbei, wenn sie Obdachlose sieht. „Ich gebe jeden Tag einen Euro“, erzählt die 82-Jährige. „Ich kann gar nicht anders.“ Sie lächelt scheu, erwähnt ihre Hilfsbereitschaft nur am Rande, will bloß keine große Sache daraus machen! Genauso wenig wie aus der Spendenaktion für Hinz&Kunzt während ihrer Haushaltsauflösung.
Sieben Jahre hatte sie nach dem Tod ihres Mannes noch alleine im gemeinsamen Haus gewohnt, jetzt wurde ihr die Arbeit zu viel. In eine Einzimmerwohnung sollte es gehen, ohne Platz für „all den Krimskrams“. Was also tun? Inge Huderitz überlegte nicht lange: Und sie stellte eine Dose ins Wohnzimmer und bat alle, die Interesse an ihrem Hausrat hatten, um eine Spende für Hinz&Kunzt. „Das kam gut an“, erinnert sie sich. „Eine Frau gab sogar fünf Euro extra, für die Hunde von den Obdachlosen.“
Sie selbst nahm nur ein paar Lieblingsstücke wie das Sofa mit – und zehn Umzugskartons, gefüllt mit Fotoalben und Schriftstücken: Erinnerungen an ein Leben geprägt von Entbehrungen und Schicksalsschlägen, aber auch von Kraft und Mut. Als Teenager erlebt sie den Feuersturm über Hamburg, nach Kriegsende heiratet sie gegen den Willen ihrer Eltern ihre Jugendliebe: einen Mann, der während eines Bombenangriffs schwer verletzt wurde und nun einseitig gelähmt war. Später bekommt er außerdem Epilepsie. „53 Jahre waren wir verheiratet“, erzählt sie. „Ich habe ihn jeden Tag gepflegt.“
Mit ihrem Sohn leben sie zunächst auf acht Quadratmetern, sie sparen, bis das Geld für einen Umzug reicht. Als 22-Jähriger hat ihr Sohn einen schweren Motorradunfall: Ein Bein muss amputiert werden, mehr als ein Jahr liegt er im Krankenhaus. Danach übernimmt Inge Huderitz die Pflege. „Das kannte ich ja schon.“ Sogar als sie selbst an Brustkrebs erkrankt, zahlreiche Chemotherapien über sich ergehen lassen muss, kümmert sie sich um Mann und Sohn, Haus und Garten. „Musste ich ja“, sagt sie, „das ging so nebenbei.“
Dann der nächste Schicksalsschlag: Ihr Sohn sieht mit seiner Behinderung keine Zukunft für sich, er nimmt sich das Leben. „Keine Hoffnung mehr zu haben – den Gedanken finde ich schrecklich“, erzählt Inge Huderitz. Auch deswegen berührt es sie so sehr, wenn sie auf Obdachlose trifft, vor allem auf jüngere. Auch deswegen geht sie nie einfach vorbei. „Ich kann sicher nicht viel ausrichten“, meint sie. „Aber vielleicht mache ich ein bisschen Mut.“
Text: Maren Albertsen
Foto: Dmitrij Leltschuk