Helgoländer Allee :
Vertreiben oder das Elend aushalten

Vertrieben von ihrer Platte - und jetzt? Die OBDACHLOSEN von der Helgoländer Allee. Foto: Benjamin Laufer.

Der Bezirk Mitte appelliert an den Senat, Obdachlosen mehr zu helfen als bislang. Denn außer die Polizei zur Räumung zu schicken, können die Bezirksämter nicht viel tun. Pech für Marek und Krzysztof: Ihre Platte auf St. Pauli mussten sie räumen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Jetzt also auch Mitte. Eigentlich hatte sich der Innenstadtbezirk zuletzt damit zurückgehalten, Obdachlose zu vertreiben. Im Bezirksamt äußerte man stets Verständnis für ihre Situation. Im September drehte sich der Wind: „Wir können es nicht zum Standard machen, dass jeder sein Zelt auf der grünen Wiese aufschlägt“, hieß es nach einer Räumung an der Helgoländer Allee. Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung die Platte dort als „einfach nur noch ekelhaft und peinlich“ beschrieben und so den Druck erhöht.

„Die Bezirksämter betreiben keine Unterkünfte oder verfügen über Belegungsrechte“, rechtfertigt Bezirksamtsleiter Falko Drossmann (SPD), dass seine Mitarbeiter den Obdachlosen zur Räumungsaufforderung nur eine Liste mit Campingplätzen und überfüllten Notunterkünften in die Hand gedrückt hatten. Stimmt: Die Bezirke haben die unrühmliche Aufgabe, gegen Ordnungswidrigkeiten wie wildes Campen vorzugehen – für den Rest ist die Sozialbehörde zuständig.

„Das Problem Obdachlosigkeit ist eine Aufgabe, die nur gesamtstädtisch zu lösen ist“, sagt Drossmann und verweist damit auf die Verantwortung des Senats für Sozialpolitik. Das hört man in vielen Bezirken – öffentlich gesagt hat es bislang niemand. Drossmann geht nun auf Konfrontationskurs.

„Das Problem Obdachlosigkeit ist eine Aufgabe, die nur gesamtstädtisch zu lösen ist.“– Falko Drossmann (SPD)

Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) will dazu nichts sagen. Und wie will sie verhindern, dass nach dem Winternotprogramm wieder so viele Menschen draußen schlafen? Ursache aus ihrer Sicht: der „im Vergleich zu anderen deutschen Städten sehr hohe Standard“ des Winternotprogramms, der „viele Menschen von außerhalb“ anziehe. Deswegen kündigt sie an, über das bisherige Konzept nachzudenken. „Wir wollen auch weiterhin einen Erfrierungsschutz für alle bieten.“

Manche drängen auf härteres Vorgehen

Sozialarbeiter sollen den Obdachlosen im Winternotprogramm verstärkt Wege aus der Obdachlosigkeit aufzeigen. Für viele EU-Zuwanderer sei allerdings die Rückreise die „ehrliche Option“. Nur: Viele werden nicht gehen, weil sie im Heimatland noch ärmer dran sind als in Hamburg. Sie werden im Frühjahr wieder die Parks besiedeln – und damit zum Fall für die Bezirke.

Es gibt im Senat Stimmen, die auf ein härteres Vorgehen gegen die Platten drängen. Sie konnten sich bislang nicht durchsetzen. Auch weiterhin können die Bezirke selbst entscheiden, ob sie die Polizei schicken. Doch ihre einzigen Optionen bleiben: vertreiben oder das Elend aushalten.

„Wo sollen wir jetzt hin?“– Krzysztof

Krzysztof ist einer von denen, die aus ihren Zelten an der Helgoländer Allee vertrieben wurden. Er versteht die Welt nicht mehr: „Acht Monate wohnen wir schon hier, es gab nie Probleme!“, sagt er. Sie würden ihre Platte sauber halten, nur eine Toilette fehle ihnen. Und tatsächlich sah es bei ihren Zelten kurz vor Ablauf der Frist des Bezirks sauber und ordentlich aus.

Krzysztof verkauft Hinz&Kunzt und sammelt Flaschen auf dem Kiez. „Das reicht für Essen und Trinken“, sagt er. Stolz ist er darauf, die Essensausgabe- stellen für Arme in der Nähe nicht in Anspruch zu nehmen, sondern immer selbst zu kochen. Aber eine Wohnung können die Polen sich nicht leisten. Dabei hatte Krzysztof jahrelang in Hamburg als Schlosser gearbeitet – bis zu einem Arbeitsunfall. Damit hätte er sogar Anspruch auf Sozialleistungen und eine städtische Unterkunft.

An komplizierten Formularen gescheitert

Doch Krzysztof scheiterte bislang daran, die komplizierten Formulare der Arbeitsagentur auszufüllen. „Wo sollen wir jetzt hin?“, fragt er ratlos. Mit ihren Zelten haben er und seine Freunde sich inzwischen einen neuen Platz gesucht, irgendwo in Hamburg. „Es darf natürlich nicht Hamburger Politik werden, Obdachlose von ihren Platten zu vertreiben, ohne ihnen eine echte Alternative anzubieten“, mahnt Diakonie-Chef und Hinz&Kunzt-Herausgeber Dirk Ahrens. Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer stimmt zu: „Vertreibung ist nie eine Lösung: Die Obdachlosen ziehen dann von einem Bezirk in den nächsten.“

Artikel aus der Ausgabe:

Schafft er das?

Unsere Oktober-Ausgabe ist da! Unsere Fotografen sind zu Flüchtlingskindern nach Griechenland gereist. Die Kleinstadt Hitzacker probt schon jetzt die Vision eines neuen Europas. Plus: Wir haben „Tatort“-Kommissar Sebastian Bezzel und einen der letzten Elbfischer getroffen.

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Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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