Wie die SAGA an der Elbtreppe einmal mehr billige Wohnungen vernichtet
(aus Hinz&Kunzt 163/September 2006)
Jahrelang ließ die SAGA fünf Häuser an der Elbtreppe in Neumühlen vergammeln. Nun will das städtische Unternehmen das historische Ensemble abreißen und neue, teure Wohnungen bauen. Die Mieter wehren sich und bekommen Unterstützung. Der Vorwurf: Bezahlbarer Wohnraum wird einmal mehr vernichtet.
An handwerklichem Geschick fehlt es den Bewohnern der Häuser an der Elbtreppe nicht. Heizkörper haben sie installiert, Bäder eingebaut, isoliert, repariert und jede Menge Zeit und Geld investiert. Nur der Vermieter, die Saga, hielt sich zurück. Sie seien über Jahre nur vertröstet worden, auf etliche Briefe, in denen sie Reparatur- und Sanierungsarbeiten angemahnt hätten, habe das Wohnungsunternehmen nicht mal reagiert, sagen die Mieter.
Das änderte sich erst vergangenen November, als die SAGA den 21 Mietparteien ihre Pläne eröffnete: Zwei Häuser würden modernisiert, die übrigen drei abgerissen, um das Gelände in großem Stil „zeitgemäß“ neu bebauen zu können. Die Kaltmiete pro Quadratmeter werde sich mit etwa 10 Euro verdoppeln. Wenn sich die Bewohner das nicht leisten könnten, würden sie „umgesetzt“. Doch die Mieter an der Elbtreppe weigern sich zu gehen. Der SAGA werfen sie vor, bezahlbaren Wohnraum gezielt zerstören zu wollen. Sie fordern statt dessen die Sanierung und den Erhalt aller Häuser, die städtebaulich und historisch von besonderem Wert seien. In der Tat ist das Häuserensemble im Bebauungsplan als erhaltungswürdig ausgewiesen. Die Arbeiterwohnungen zeugen vom Leben zur Zeit der Industrialisierung. Eng verschachtelt wurden die zwei- und dreigeschossigen Häuser zwischen 1850 und 1880 in den Hang gebaut. Schlichte Putzbauten ohne jede Zierrat. Innen winzige Wohnungen, manche mit nur 29 Quadratmetern und – sofern die Mieter nicht selbst aktiv geworden sind – mit Ofenheizung und Toiletten im Treppenhaus, von Bädern ganz zu schweigen. Die Wände sind vielfach feucht und von Schimmel befallen. „Maroder Substandard“, sagt Mario Spitzmüller, Sprecher der SAGA. Keiner bestreitet das.
Aber muss man deswegen die Häuser gleich abreißen? Die SAGA erklärte bereits vergangenen Herbst, die Gebäude Elbtreppe 5 und insbesondere das Sahlhaus Nr. 15 c seien einsturzgefährdet. Im Frühjahr legte sie ein Gutachten vor, das zum selben Ergebnis kam, und machte Druck: „Da muss zügig was geschehen, auch in Hinblick auf die Sicherheit der Bewohner. Keiner kann länger garantieren, dass das Haus 15 c stehen bleibt. Die Gesundheit und Sicherheit unserer Mieter müssen sichergestellt sein“, sagt Mario Spitzmüller. Die SAGA wurde aktiv und legte den Mietern Wohnungsangebote vor. Sie schickte aber niemanden, um die angeblich akut vom Einsturz bedrohten Häuser abzusichern und behelfsmäßig zu stabilisieren.
Das scheint – zum Glück – nicht fahrlässig gewesen zu sein. „Die Häuser stehen da wie eine Eins – und das schon seit mehr als 100 Jahren. Die Substanz ist gut, und der Baugrund ist der beste, den man sich wünschen kann“, sagt Karsten Wagner von der Lawaetz-Stiftung, einem anerkannten Sanierungsträger, den auch die SAGA als „tollen Partner“ (Spitzmüller) achtet. Mit Hilfe von Lawaetz haben die Bewohner ein Gegengutachten erstellen lassen. Die Ergebnisse hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können. „Ein Abriss wäre eine Unverschämtheit“, sagt Wagner. Schon lange habe er nicht mehr so verlotterte Häuser gesehen. Aber hoffnungslos sei das Ensemble an der Elbtreppe keinesfalls. Die Lawaetz-Stiftung hat ein Sanierungskonzept erarbeitet, das den Forderungen der Mieter gerecht wird. Eine behutsame Sanierung, bei der die historisch wertvollen Gebäude erhalten blieben und niemand gehen müsste. Denn die monatliche Belastung für die Mieter, die in dem Fall Eigentümer würden, bliebe „mit deutlich unter 10 Euro pro Quadratmeter“ vertretbar. 900.000 Euro hat die Mietergemeinschaft der SAGA für das Ensemble geboten. Die Antwort des Unternehmens war eine Nachforderung: 3,6 Millionen Euro will sie haben. Umgerechnet auf die Wohnfläche sind das 3000 Euro pro Quadratmeter. Dafür bekommt man eine schicke Neubauwohnung. Und jedem ist klar: Die wollen gar nicht verkaufen.
Warum auch? Das Grundstück ist Gold wert. „Ich spreche hier von 60 Metern zur Elbe, Neumühlen, das ist eine Gegend, wo Touristen und Ausflügler hinkommen, Gutverdienende abends essen gehen. Das ist eine sehr attraktive Wohnlage“, so Mario Spitzmüller die Lage. Die anschließende Rechnung ist einfach. Möglichst viel Wohnfläche in Toplage bringt maximale Mieteinkünfte. Auf dem Grundstück an der Elbtreppe soll die Gesamtwohnfläche nach ersten Entwürfen verdoppelt werden. Geplant sind Zweieinhalb- bis Vier-Zimmer-Wohnungen mit bis zu 100 Quadratmetern. Die Kaltmieten lägen schätzungsweise bei 1000 Euro.
„Die SAGA hat ihre Geschäftspolitik grundlegend geändert“, sagt Wilfried Lehmpfuhl vom Mieterverein zu Hamburg. „Die kümmern sich um die Mittelschicht. Sozial schwache Mieter werden bei der SAGA herausmodernisiert oder durch Abriss verdrängt.“ Wilfried Lehmpfuhl fallen auf Anhieb zahlreiche Beispiele ein. Reetsiedlung, Billstedt: 420 einfache Wohnungen abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Hoffmannstieg, Rahlstedt: 109 günstige Wohnungen abgerissen und durch – zugegebenermaßen schöne – Reihenhäuser ersetzt. Wichmannstieg, Stellingen: 21 Wohnungen abgerissen… „Es gibt in Hamburg keine Lobby mehr für einkommensschwache Mieter, dabei brauchen wir die kleinen billigen Wohnungen so dringend.“ Aber für billig baut die SAGA nicht mehr. Günstige Kredite der Wohnungsbaukreditanstalt, die an niedrige Mieten geknüpft sind, nehme sie „immer seltener und viel zu wenig“ in Anspruch, um möglichst hohe Erträge zu erzielen. „Und so wird dann die ganze Bewohnerschaft ausgewechselt“, klagt Lempfuhl. Auch die Bauvorhaben an der Elbtreppe will die SAGA frei finanzieren.
Seit vier Monaten liegt nun der Abrissantrag beim Bezirks-Bauausschuss. Zweimal wurde er abgelehnt. Denn mit der Abrissgenehmigung in der Tasche kann die SAGA die Mieter kurzfristig auf die Straße setzen. Das will die in Altona mitregierende GAL verhindern. „Wir stimmen zu, wenn die SAGA ein ordentliches Konzept vorlegt, was mit den Mietern werden soll“, sagt der grüne Bezirksabgeordnete Winfried Sdun. Gegen den Abriss hat er nichts: „Es dient niemandem, eine Museumsruine zu erhalten. Wenn die SAGA nachweist, dass es sich nicht rechnet, stimmen wir zu.“ So wirtschaftsliberal und locker kommt nicht mal dem Koalitionspartner CDU das Ja zum Abriss über die Lippen, der sich für den Erhalt des Elbensembles ausspricht. „Die SAGA entzieht sich jedem Zugriff “, beklagt Sven Hielscher, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU. Der politische Spielraum jedoch sei eng: „Die SAGA hat Anspruch auf die Abrissgenehmigung, wenn das Projekt wirtschaftlich nicht tragbar ist und die Statik nicht mehr stimmt.“
Der Bauausschuss hat nun ein neutrales drittes Gutachten in Auftrag gegeben, um endgültig zu klären, wie gut oder schlecht die Bausubstanz ist. Ein erster Erfolg für die Mieter. Sie haben Zeit gewonnen, die sie nutzen wollen, um eine politische Debatte loszutreten. Je mehr über die Häuser an der Elbtreppe, die SAGA und ihre Geschäftspolitik gesprochen werde, desto besser. Formal haben wir keine Chance, sagen die Mieter. Das müsse sich politisch entscheiden: „Wir sind kämpferisch“.
Autor: Lara Louwien
„Ole, lass die Elbtreppe leben!“
Peter Lohmeyer, Fatih Akin und Tom Stromberg engagieren sich für den Erhalt der alten Häuser
PETER LOHMEYER, SCHAUSPIELER („DAS WUNDER VON BERN“): Diese Häuser kenne ich, seit ich in Hamburg lebe. Ich glaube nicht, dass man dadurch Weltstadt wird, indem ständig irgendetwas abgerissen oder Neues gebaut wird. Weltstadt wird man oder manchmal bleibt man’s dadurch, dass man seine Häuser und sein urbanes Wesen, das gewachsen ist, erhält. Und ich will hier nicht plötzlich an einem Neubau vorbeilaufen, sondern an etwas, das ich seit langem kenne. Deswegen: Finger weg von den Häusern an der Elbtreppe! Wir müssen erhalten, was Tradition hat. Hier leben schließlich Menschen seit 25 Jahren, die nicht das dicke Geld haben. Lasst denen doch einfach das Zuhause.
FATIH AKIN, REGISSEUR („GEGEN DIE WAND“): Ich finde es unverantwortlich und zu kurz gedacht, die Häuser abzureißen. Da geht es nur um Kommerz. Sollen sie die HafenCity bauen, das ist ja auch in Ordnung. Da wohnt letztendlich niemand, und wenn sie das halt so super-duper-teuer machen wollen, okay. Aber die SAGA muss sich ja diesem hässlichen Architekturboom nicht anpassen und alles plattwalzen. Schließlich ist das ein Stück Zuhause von Leuten. Und: Es ist ein Stück Hamburg und ein Stück Heimat.
TOM STROMBERG, EHEMALIGER INTENDANT DES SCHAUSPIELHAUSES:Diesen Ort finde ich besonders schön, weil er neben dem, was es hier an Sanierungen und Neubauten gibt, so eine ganz besondere kleine Perle ist, unten am Hafen. Es gibt ein gutes Beispiel in dieser Stadt, wo das ähnlich ist, das ist der Pudelclub. Der liegt inzwischen auch umgeben von schicken sanierten Restaurants und Werbeagenturen. Und das ist so ein kleiner Ort, der geblieben ist, ich glaube die Elbtreppe könnte genau so ein Ort sein, der etwas richtig urwüchsiges Hamburgerisches in sich trägt, und darauf sollte man in Hamburg auf keinen Fall verzichten. Am liebsten würde ich meinem inzwischen engen Freund Ole von Beust einfach zurufen: „Ole, lass die Elbtreppe leben!“