Gerichtsprozess :
15 Quadratmeter für 445 Euro, ist das Mietwucher?

Das Strafjustizgebäude am Sievekingplatz. Foto: BELA

Zwei Frauen landen vor Gericht, weil sie die Not ihrer Mieter ausgenutzt haben sollen. Das Jobcenter stellte Strafanzeige – nachdem es selbst zugestimmt hatte, die Miete zu zahlen. Am Ende bleibt unklar, wer überhaupt von wem geschädigt wurde.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Ein Zimmer ohne Fenster, etwa 15 Quadratmeter groß, ein fensterloses Bad ohne Dusche oder Badewanne und statt Küche nur zwei Kochplatten auf dem Flur – ist so eine Unterkunft 445 Euro warm wert? Für Marion M. war es fast ein Jahr lang die beste Lösung. Im Januar 2016 zog sie in die Hinterzimmer eines Billardcafés in Jenfeld ein, nachdem ihr nach Verlust ihrer vorherigen Wohnung ein Leben auf der Straße drohte.

„Ich war erstmal froh, dass ich überhaupt ein Dach über dem Kopf hatte“, erklärte die 43-Jährige vergangene Woche vor dem Amtsgericht Hamburg. Sie war als Zeugin geladen worden, angeklagt waren ihre frühere Vermieterin und deren Mutter. Das Jobcenter hatte Strafanzeige gestellt, der Vorwurf des Staatsanwalts: Wucher.

Wer die Zwangslage eines anderen Menschen ausbeutet und daraus einen finanziellen Vorteil zieht – etwa indem er oder sie Wohnraum vermietet, der gemessen an üblichen Mieten deutlich überteuert ist – macht sich strafbar. So steht es im Gesetz. Wucher kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden, bei gewerbsmäßigem Wucher können Richter Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren verhängen.

„Ich hab das gemacht, bevor ich auf der Straße lebe.“– Marion M., ehemalige Mieterin

Die dürftige Unterkunft hinter dem Billardcafé sei für sie „die allerletzte Möglichkeit“ gewesen, erklärte die Zeugin Marion M: „Ich hab das gemacht, bevor ich auf der Straße lebe.“ Die Notlage der Frau war den beiden Angeklagten offenbar bekannt. So erklärte es die Mutter der Vermieterin, Zahra H., vor Gericht. Sie habe helfen wollen, sagte ihr Verteidiger. Nicht nur Marion M. hätten Mutter und Tochter vor der Obdachlosigkeit bewahren wollen, sondern auch deren Nachmieter.

Jobcenter zahlte die Miete

Denn die Hinterzimmer des Cafés wurden zweimal vermietet: Kurz nachdem Marion M. Ende November 2016 ausgezogen war, rückte ein Mann nach, der zuvor auf der Straße gelebt hatte. Bis Ende Juli 2017 mietete er die karge Wohnung für 400 Euro inklusive Nebenkosten. Wie es dazu kam, erfuhren Richterin und Staatsanwalt nur von der Angeklagten. Der ehemalige Mieter war zwar als Zeuge geladen, erschien aber nicht. Eins war nach Aktenlage jedoch offensichtlich: Bezahlt wurde die Miete vom Jobcenter – in beiden Fällen.

Mietwucher? Die eigentliche Vermieterin blieb dem Prozess ebenfalls fern, ihre Rolle soll gesondert geklärt werden. Die mitangeklagte Mutter, die das Mietgeschäft abwickelte, ist sich keiner Schuld bewusst. „Auf St. Pauli kriegt man für 500 Euro ein kleines Zimmer, und da ist die Toilette auf dem Flur“, erklärte Zahra H. vor Gericht. Der Mietpreis für die Räume hinter dem Billardcafé sei ihrer Ansicht nach normal. Zudem: Wie könne es Wucher sein, wenn das Jobcenter dem Vertrag selbst zugestimmt habe?

„Auf St. Pauli kriegt man 500 Euro für ein kleines Zimmer, und da ist die Toilette auf dem Flur.“– Zahra H., Angeklagte

So sah es auch Marion M.: „Das Amt hat’s bewilligt“, erklärte die Zeugin. Erst nachdem das Jobcenter dem Mietangebot zugestimmt habe, sei sie in die Räume eingezogen. „Ich kann ja nicht einfach einziehen und dann sagen: Bezahlt mal bitte“, sagte sie. Dass 445 Euro Miete sehr hoch seien für eine fensterlose Wohnung, in die neben Bett, Tisch und Stuhl nicht mal ein Schrank passte, sei ihr schon aufgefallen. Doch da das Jobcenter sich bereit erklärt hatte zu zahlen, habe sie keinen Grund gesehen, zu verhandeln.

Die Mitarbeiter des Jobcenters hätten die Wohnung auch besichtigt und anschließend Geld für die Erstausstattung bewilligt, sagte Marion M. in der Verhandlung. Die Akten bestätigten das. Nach Angabe der Zeugin hatte das Jobcenter erst Monate später – „urplötzlich“ – entschieden, die Miete nicht weiter zu zahlen. Sie sei daraufhin wieder bei ihrem vorherigen Vermieter untergekommen.

Jobcenter: Wir dürfen keine Blacklist führen

Wieso bewilligt das Jobcenter Miete für eine Wohnung, die es nach anschließender Besichtigung für Wucher hält, und zahlt dann kurz darauf wieder fast ebenso viel für dieselben Räume? Diese Fragen hätte womöglich der dritte geladene Zeuge beantworten können: ein Mitarbeiter des Jobcenters. Doch auch er erschien nicht vor Gericht.

Auf Nachfrage von Hinz&Kunzt antwortet die Pressestelle nur allgemein: Eine „pauschale Ablehnung von Mietverträgen von bestimmten Vermietern“ sei „grundsätzlich schon deshalb nicht möglich, da wir als Behörde keine ‚Blacklist‘ führen dürfen.“

Zur genauen Historie des Falls dürfe man keine Angaben machen – zum Schutz der persönlichen Daten der Kunden. Das Jobcenter bestätigt allerdings, Strafanzeige wegen Verdachts auf Mietwucher gestellt zu haben. Nicht der Vorwurf des Leistungsmissbrauchs stehe im Raum, sondern die Befürchtung, die Kunden des Jobcenters seien selbst Leidtragende des Mietwuchers geworden.

Wurde Marion M. in einer Zwangslage ausgebeutet? Sie selbst stellte es vor Gericht nicht so dar. „Die Miete hat das Amt ja bewilligt. Ich bin da nicht drüber gestolpert“, sagte sie. Auch für die Richterin ließ sich nicht abschließend klären, ob von Wucher die Rede sein könne – schließlich sei der sogenannten Geschädigten die Miete im Grunde egal gewesen. Weitere Zeugenaussagen gab es nicht. Am Ende wurde das Verfahren gegen die Mutter der Vermieterin eingestellt, nach Auflage einer Zahlung von 2000 Euro. Die Angeklagte stimmte zu. Eine Ratenzahlung sei nicht nötig.

Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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