Im Harburger Schwarzenbergpark finden Drogenkranke und Obdachlose seit drei Jahrzehnten Hilfe. Doch die Sozialarbeiter:innen fühlen sich im Stich gelassen – und kommen wegen fehlender Angebote an ihre Grenzen.
Drogenelend“, „Schmuddel-Ecke“, „Crack-Zombies“ – die Situation vor dem „Drob Inn“ am Hauptbahnhof bestimmt immer wieder die Schlagzeilen Hamburger Medien. Das hat die Politik auf den Plan gerufen. Sie reagiert einerseits mit Vertreibungsmaßnahmen, andererseits mit neuen Hilfsangeboten. Fünf S-Bahn-Stationen Richtung Süden spüren die Sozialarbeiter Hermann Köhn und Steffen Ostermann wenig Interesse an Drogenkranken. Die beiden fühlen sich allein gelassen.
Ostermann und Köhn arbeiten im „Abrigado“. Die niedrigschwellige Kontakt- und Beratungsstelle existiert seit 30 Jahren. Seinerzeit eröffnete das Abrigado als einer der ersten Drogenkonsumräume in Deutschland und bietet bis heute ähnliche Angebote wie das bekanntere Drob Inn: Räume, in denen Menschen unter Aufsicht Drogen konsumieren können, saubere Spritzen, warmes Essen, eine Kleiderkammer und Hilfe durch Pflegepersonal und Sozialarbeiter:innen.
Vor dem Flachbau im Harburger Schwarzenbergpark unterhalten sich Ende November Männer und Frauen in dicken Winterjacken auf dem eingezäunten Hof. Zigarettenqualm zieht durch die Luft, ein Kopf schaut aus einem halb eingefallenen Wurfzelt, wie man es von Festivals kennt. Es lehnt an der Wand neben dem Eingang des Abrigado. Unter einer Tischtennisplatte aus Beton liegt der blanke Federkern einer Matratze. Immer wieder, berichten die Sozialarbeiter, diene das Drahtskelett als Bett. Andere schlafen in Zelten auf dem Hof oder hinter dem Haus.

„Es ist für alle schwer zu ertragen“, sagt Steffen Ostermann. Jeden Morgen würden Mitarbeiter:innen des Abrigado obdachlose Menschen aufwecken und bitten, sich auf die andere Seite des Zauns zu begeben. Die Sozialbehörde, die das Abrigado finanziert, möchte nicht, dass das Einrichtungsgelände zum Schlafplatz wird, so der Sozialarbeiter. Das Bezirksamt jedoch sehe die Obdachlosen nicht gerne im Park schlafen. Für den Sozialarbeiter fühlt es sich so an, als schieben sich Bezirk und Behörde die Verantwortung gegenseitig zu. Mittendrin: Mitarbeiter:innen und Gäste des Abrigado. Und das sind viele: Fast 26.000-mal wurden die Konsumräume laut Abrigado 2023 von den oft obdachlosen Konsument:innen genutzt, 80 bis 100 Menschen täglich besuchen die Einrichtung.
Das Bezirksamt Harburg verweist auf Nachfrage auf die Sozialbehörde, die für das Abrigado zuständig sei und „Maßnahmen im Umfeld der Einrichtung mit der Polizei, der Stadtreinigung und dem Bezirksamt abstimmt“. Einfluss auf den „Dienstbetrieb“ des Abrigado habe man nicht. Die Sozialbehörde erklärt, dass es in der Vergangenheit außerhalb der Öffnungszeiten des Abrigado zu „größeren Szeneansammlungen“ gekommen sei. „Um die Akzeptanz in der Nachbarschaft zu erhalten […] hat das Abrigado die Besucher darauf hinzuweisen, dass das Gelände während der Schließzeiten zu verlassen ist.“ Weil sie gern im Blick haben, was auf ihrem Gelände passiert, haben auch die Sozialarbeiter kein Interesse an Zelten auf dem Innenhof. Das Problem: Sie können keine echten Alternativen aufzeigen.
Eine Notschlafstelle mit angegliedertem Konsumraum könnte die Situation entschärfen – so die Hoffnung: Mitarbeiter:innen der Wohnungslosenhilfe fordern ein solches Angebot für den Hamburger Süden schon lange. Weil der Bedarf so offensichtlich ist, hat es der Wunsch 2020 sogar in den rot-grünen Koalitionsvertrag geschafft. „[Es] wird eine konsumtolerante Notschlafstelle im Süderelberaum eingerichtet“, heißt es dort schwarz auf weiß. Das Problem: Passiert ist seitdem nichts.
„Die letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass das ein vergessener Satz ist“, sagt Sozialarbeiter Hermann Köhn. Am Hauptbahnhof habe die Stadt ein Image zu verlieren, weil der ein Aushängeschild sei, vermutet er. Ein Randbezirk wie Harburg hingegen werde sich selbst überlassen: „Harburg läuft unter dem Radar.“
Knuth ist einer jener obdachlosen Drogennutzer, denen eine solche Notschlafstelle etwas mehr Ruhe, etwas mehr Sicherheit, etwas mehr Würde geben könnte. „Ich bin Harburger, hier bin ich geboren“, sagt der 31-Jährige, dessen lange Haare unter einer schwarzen Wollmütze hervorschauen. „Heroin und Stein“, also Crack, konsumiere er, berichtet Knuth, während er an der Tischtennisplatte vor dem Abrigado lehnt und versucht, sich seine selbst gedrehte Zigarette anzuzünden. Seit seinem 18. Lebensjahr schlafe er auf der Straße: „Da hinten. Im Tunnel“, sagt er und zeigt in Richtung Süden: „Da hab ich ’ne Matratze.“ Knuths Leben spielt sich in Harburg ab, seine Tage verbringt er im Abrigado. Nicht nur um Drogen zu konsumieren, auch zum Essen, um Wäsche zu waschen, zum Duschen und für neue Klamotten aus der Kleiderkammer. Wäre das Winternotprogramm der Stadt eine Option für ihn? Viel zu weit weg seien die Unterkünfte, sagt Knuth. Außerdem habe er dort schlechte Erfahrungen gemacht, sei beklaut worden. Eine Übernachtungsmöglichkeit in Harburg hingegen – „das wär was“.

Knuths Erzählung deckt sich mit den Erfahrungen von Sozialarbeiter Ostermann. Schon weil dort keine Drogen konsumiert werden könnten, sei das Winternotprogramm für die Gäste des Abrigado kein echtes Angebot. Zudem habe Harburg eine gewachsene Szene, und die Menschen würden sich hier zu Hause fühlen. Dazu komme der Weg über die Elbe. Abgesehen vom fehlenden Geld für die S-Bahn seien viele Menschen schlicht zu krank und zu schwach, um Tag für Tag den Weg in Richtung Hammerbrook oder Billwerder auf sich zu nehmen, wo sich die Großunterkünfte des Notprogramms befinden.
Neben zwei Containerplätzen im Winter gibt es in Harburg bislang lediglich zwölf Übernachtungsplätze in Mehrbettzimmern. Sie befinden sich im Harburg-Huus, einer Hilfeeinrichtung, die vom Roten Kreuz betrieben wird. Es sei gut, dass es dieses Angebot gebe, sagt Steffen Ostermann. Für die vielen Obdachlosen im Süderelberaum sei es aber viel zu klein. Weil Alkohol und andere Drogen im Harburg-Huus verboten sind, sei es für viele zudem keine Option.
Mit ihrer Kritik sind die Abrigado-Sozialarbeiter nicht allein. „Die Infrastruktur ist nicht angemessen“, sagt auch Ricarda Brinker. Die Straßensozialarbeiterin der Diakonie kümmert sich um Obdachlose in Harburg und Wilhelmsburg – nach ihrer Schätzung rund 300 Menschen, für die es nicht ausreichend Tagesaufenthaltsstätten gebe, kaum medizinische Hilfen – und eben auch zu wenig Notschlafplätze.
Die Sozialbehörde verweist auf ihre finanzielle Unterstützung für das Harburg-Huus. Außerdem solle noch im zweiten Quartal 2025 bewertet werden, ob das Modell „Social Hub“ am Hauptbahnhof erfolgreich ist. Dort ist seit April 2024 mit der Bahnhofsmission eine ausgewählte Einrichtung dafür verantwortlich, die Hilfsangebote der verschiedenen sozialen Träger besser zu koordinieren. Für den Fall, dass das Modell als Erfolg bewertet würde, solle es auf weitere Bezirke übertragen werden, so die Behörde: „Prioritär auf Altona und Harburg.“ Doch was bringt eine bessere Vernetzung, wenn die passenden Angebote fehlen?
Warum die im Koalitionsvertrag angekündigte Notschlafstelle bislang nicht entstanden ist, beantwortet die Behörde nicht. Nur so viel: Man sei regelmäßig in Gesprächen zur Situation rund um das Abrigado. Könnte der Bezirk selbst aktiv werden? Der sei nicht zuständig, sagt das Bezirksamt Harburg auf Nachfrage. Eine „Ausweitung von Kapazitäten“ sei aus Sicht des Amts aber zu begrüßen.
Die Sozialarbeiter Ostermann und Köhn wünschen sich ein „niedrigschwelliges und konsumtolerantes“ Angebot mit mindestens 30 Plätzen. Eine Chance dafür wäre ein Neubau des Abrigado, der gerade von der Stadt geplant wird. Eine Notschlafstelle ist aber auch im Neubau nicht vorgesehen. Währenddessen verschlechtere sich der Zustand der Drogenkranken rapide.
„Insbesondere seit der Pandemie hat eine krasse Verelendung stattgefunden. Viele Menschen befinden sich in einer Abwärtsspirale“, sagt Köhn. „Und gerade der Winter knallt hier durch die fehlenden Angebote noch mal ziemlich rein.“ Gerade für jene, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzen oder aus anderen Gründen nicht „leistungsberechtigt“ sind, können die Sozialarbeiter nur wenig tun. „Da muss sich strukturell was verändern.“
Über das Abrigado legt sich die Dunkelheit. Um 19 Uhr wird die Einrichtung ihre Türen schließen. Knuth und die anderen obdachlosen Gäste verschwinden dann in den Harburger Tunneln, Parks und unter Brücken. Bis sie am nächsten Tag wiederkommen – und sich die Abwärtsspirale weiterdreht.