Das Ernst Barlach Haus im Jenischpark zeigt in den kommenden Wochen Werke der russischen Konstruktivisten und ihrer Fans. Und greift dabei zurück auf die Sammlung des Hamburger Ehepaares Stephan und Birgit Hupertz.
(aus Hinz&Kunzt 241/März 2013)
Ein Leben ohne Kunst? Undenkbar für Stephan und Birgit Hupertz: Seit einem halben Jahrhundert umgibt sich das Hamburger Sammlerpaar mit Bildern und Skulpturen. Sogar in ihrem Ferienhaus geht es nicht ohne Kunst. Auch ihre beiden erwachsenen Kinder Christian und Vanessa haben sie mit ihrer Sammelleidenschaft angesteckt. Das Ernst Barlach Haus zeigt jetzt in der Ausstellung „Gebaute Bilder. Werke aus der Sammlung Hupertz“ die umfangreiche Kollektion der Eltern.
Schon zu Studentenzeiten hat das Paar Ende der 1950er-Jahre Bilder gekauft. Damals hatten sie nur wenig Geld – Stephan studierte in München Architektur, Birgit Gebrauchsgrafik. „Wir hatten keinen Plan, sind nur danach gegangen, was uns gefiel“, erinnert sich Stephan Hupertz.
Erst viel später legten die beiden Kunstfreunde den Fokus auf die russischen Konstruktivisten der 1920er-Jahre und auf zeitgenössische Künstler der konkreten, minimalistischen und konzeptionellen Kunst. „Die haben wir erst in den 80er-Jahren für uns entdeckt. Aber vorher hätten wir sie auch gar nicht bezahlen können“, meint der 72-Jährige.
In der Ausstellung sind von Wladimir Lebedew, Lajos Kassák, Otto Freundlich, Walter Dexel, Julius Bissier, Günter Haese, Herman de Vries, Hanne Darboven und Brigitte Stahl zu sehen. 100 von insgesamt 400 Exponaten aus der Hupertz’schen Sammlung hat Kurator Dr. Karsten Müller ausgewählt. Alles sehr abstrakte Werke, die sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließen.
Den Ausgangspunkt bildet der russische Konstruktivismus. Die Richtung entstand um 1913/14 und nutzt als Stilelemente vor allem gleichmäßige Farbflächen und einfache geometrische Formen wie Quadrate, Dreiecke oder Kreise. Der Bruch mit der bürgerlichen Kulturtradition bildete den ideologischen Hintergrund. Einige Vertreter dieser Richtung nutzten die Kunst im Alltag für Architektur, Design, Typografie, Bühnenbilder und Mode. Politische Plakate, Möbel und Agitproptheater – der Konstruktivismus drückte allem seinen Stempel auf. Die sogenannten Suprematisten um Kasimir Malewitsch hingegen, der für sein „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ berühmt wurde, befreiten die Kunst von allem Gegenständlichen und Dekorativen.
Stephan Hupertz gefällt das. Er hatte schon als Kind eine künstlerische Ader. Aber ein Kunststudium erschien dem jungen Mann zu brotlos, also entschied er sich für die Laufbahn seines Großvaters und wurde Architekt. Dieser Beruf prägte sicher auch seine Vorliebe für die Formen und Farben des Konstruktivismus. „Uns gefällt die Klarheit, Frische und Fröhlichkeit, aber auch das Umstürzlerische.“
Der Sammler schätzt jedoch auch das Verspielte. Vor einer gläsernen Vitrine im Barlach Haus bleibt er stehen und klopft leicht mit dem Finger gegen das Glas. Sofort geraten die drei filigranen Metallskulpturen im Innern synchron in Bewegung. Stephan Hupertz beobachtet das Schwingen fasziniert. Obwohl er die aus Tausenden von Federn und Metallteilchen bestehenden Objekte des Kieler Künstlers Günter Haese schon oft genug gesehen hat – sie stehen normalerweise ohne schützende Glashülle in seinem Wohnzimmer. „Einmal hat einer meiner Enkel eine der Skulpturen sogar mit einem Ball getroffen. Die war danach arg verbogen. Da musste der arme Günter Haese alles mühsam wieder zusammenbauen.“ Der Künstler, mittlerweile fast 90 Jahre alt, trug es mit Fassung, denn im Laufe der Jahre ist eine Freundschaft zwischen den Familien entstanden. „Als wir sechs Arbeiten von Haese erworben hatten, bekamen wir die siebte geschenkt: Das hat mich zu Tränen gerührt“, meint Hupertz. Auch den britischen Bildhauer und Konzeptkünstler David Tremlett schätzt der Sammler menschlich sehr: „Das ist ein toller Typ, sehr gelassen.“ Tremlett ist vor allem für seine Wandzeichnungen bekannt, für die er geometrische Formen benutzt. Manchmal sind die Werke des Turner-Preisträgers nur temporär und werden nach der Ausstellung wieder übermalt.
Jetzt freut sich Stephan Hupertz, die vertrauten Werke einmal in einem neuen Kontext zu sehen. „Der Kurator Dr. Müller war beinhart und hat beim Aufhängen alle unsere Einwände übergangen. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber erfrischend.“ Zum Beispiel die Platzierung einer William-Turnbull-Skulptur auf einem Podest direkt neben einem Barlach findet er „mutig und originell“. Die abstrahierend-minimalistische Figur Turnbulls, mit ihrem nur angedeuteten Torso ein Musterbeispiel für radikale Formvereinfachung, steht in starkem Gegensatz zu Barlachs Werk, das viel Wert auf emotionalen Ausdruck legte.
Glücklich ist der Sammler vor allem darüber, dass die Bilder in dem architektonisch reizvollen Barlach Haus zu sehen sind. „Für mich das schönste Museum Hamburgs“, meint Hupertz über den in den 60er-Jahren entstandenen strengen Bau des Hamburger Kollegen Werner Kallmorgen. Schwarzer Boden, weiße Wände und rechte Winkel prägen das Gebäude. Den Konstruktivisten hätte die minimalistische Formensprache des Museums sicher auch gefallen.
Gebaute Bilder: Werke aus der Sammlung Hupertz, Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50 a, noch bis 26.5., Di–So, 11–18 Uhr. Eintritt: 6/4 Euro, unter 18 Jahre frei. Öffentliche Führungen, jeden So, 11 Uhr (kostenlos). So, 17.3., 12 Uhr, Sammlergespräch (Dr. Karsten Müller und Stephan Hupertz). Werke von Günter Haese sind auch noch zu sehen in der Galerie Sfeir-Semler: Admiralitätstr. 71, noch bis 7.3., Di–Fr, 11–18 Uhr, Sa, 12–15 Uhr, Eintritt frei
Text: Sybille Arendt
Foto: Dmitrij Leltschuk