Phnom Penh boomt. Für die Wasserfarmer:innen auf den großen Seen der Hauptstadt Kambodschas gibt es in der Metropole aber keinen Platz mehr. Das autoritäre Regime lässt die Gewässer zuschütten und mit teuren Apartments und Shoppingmalls bebauen.
Kraftvoll zieht Srey Mom das schmale Paddel durch das dunkle Wasser des Boeung Tompun, in dem sich der blaue Himmel mit den weißen Wolken spiegelt. „Haltet euch bloß gut fest, der See ist hier sieben Meter tief.“ Srey Mom grinst.
Allmählich tritt der Verkehrslärm des vierspurigen Hun Sen Boulevards in den Hintergrund. Ein Fischreiher steigt mit schwerem Flügelschlag auf. Kaum zu glauben, dass wir hier in Phnom Penh sind. Doch das Zentrum der quirligen Metropole Kambodschas ist nicht weit. Davon zeugen die Wolkenkratzer am Horizont, deren Fassaden in der grellen Sonne blitzen.
Langsam gleitet das schmale Boot zu den langen Tauen, an denen Wasserspinat wächst sowie Mimosen und Fenchel. Srey Mom hockt sich auf den Bug aus morschen Brettern, bindet Stecklinge an, schneidet Pflanzen zurück und entfernt ungewünschtes Beikraut. Bedrohlich hebt sich dabei das Heck aus dem Wasser. Die Farmerin stört das nicht.
„Hier arbeiten keine 50 Farmer und Fischer mehr.“
Srey Mom
Bereits als Kind hat die heute 38-Jährige auf Wasserfarmen gearbeitet. Zeit für die Schule blieb da kaum. Ihre Eltern, Reisbauern aus der Provinz, waren an den Boeung Tompun gezogen, um Gemüse für die wachsende Großstadt anzubauen. Als junge Frau startete Srey Mom mit ihrem Mann eine eigene Farm. „Sie hat unsere vierköpfige Familie und die Eltern, die später wieder zurück aufs Land gegangen sind, gut ernährt.“
Rund 1000 Haushalte haben so vom Anbau von Wassergemüse auf dem einst 2500 Hektar großen See gelebt und mit ihrem Urban Gardening die Stadt mit frischen Lebensmitteln versorgt. Das ist bald vorbei. Die kambodschanische Regierung hat beschlossen, vier Fünftel des einst zweitgrößten Sees in Phnom Penh mit Sand zuschütten zu lassen, die Flächen an Investoren zu vergeben und zur Bebauung freizugeben. „Heute arbeiten hier keine 50 Farmer und Fischer mehr – und auch die werden weichen müssen.“ Srey Mom nickt ernst. In der Zukunftsvision des autoritären Regimes hat das Urban Gardening auf dem See keinen Platz mehr. Srey Mom hat das täglich vor Augen. Nur wenige 100 Meter von ihr entfernt thront ein wuchtiger Klotz mit silbrig-grauer Fassade auf dem bereits zugeschütteten Teil des Sees. Die Shoppingmall eines japanischen Investors erstreckt sich über viele 1000 Quadratmeter. Am Ufer davor türmen sich Berge aus hellem Sand, aufgeschwemmt aus dicken Rohren. Bagger und Raupen schieben die Sandmassen immer weiter in den verbliebenen Teil des Boeung Tompun hinein. „Da vorne war die Farm von meinem Mann und mir“, sagt Srey Mom erstaunlich gefasst. „Eines Morgens begannen sie dort einfach mit der Verfüllung des Sees.“ Niemand hatte mit den beiden gesprochen, geschweige denn eine Ausgleichszahlung oder einen neuen Ort für ihre Wasserfarm angeboten. Das Ehepaar arbeitet seitdem für andere Farmen auf dem Wasser.
Eigentlich gehören die Gewässer Phnom Penhs dem Staat. Keine:r der Farmer:innen verfügt über einen Landtitel oder Pachtvertrag. Ungehindert konnte die Regierung den Großteil dieser einzigartigen Feuchtgebiete privatisieren. Das betrifft neben dem Boeung Tompun auch den benachbarten Boeung Choeung Ek. Es ist nicht überraschend, dass die Entwickler und Immobilienfirmen, die hier bauen, meist enge Verbindungen in das Machtzentrum rund um den Präsidenten Hun Sen haben. Vor rund einem Jahr hat der Autokrat die Macht an seinen Sohn übergeben. Trotzdem befindet sich Kambodscha weiterhin fest in der Hand der Cambodian People’s Party, die es seit 1979 regiert.
Eine Katastrophe ist die Zuschüttung und Bebauung der Seen nicht nur für die Farmer und Fischerinnen. „Dieser See hat viele Funktionen, er dient wie ein Schwamm als Reservoir für 70 Prozent des Regenwassers von Phnom Penh“, sagt ein Sprecher der NGO Sahmakum Teang Tnaut (STT). „Ist der Boeung Tompun erst zu zwei Dritteln verfüllt, drohen Überschwemmungen, die meistens die dicht besiedelten Viertel der Armen am härtesten treffen“, so der Sprecher weiter. Zudem funktioniert der See als Kläranlage für einen Großteil der städtischen Abwässer. Er ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Und in den kleinen Häusern rund um den See wohnen Menschen, die im Zentrum der Hauptstadt arbeiten, sich dort aber keine Wohnung leisten können. Viele von ihnen haben ihre Häuser schon verlassen müssen. Andere harren noch aus und bangen um ihre Zukunft.
15 von 25 Seen rund um und in Phnom Penh sind schon zugeschüttet. Den Sand für die Verfüllung baggern die Baufirmen aus dem Mekong. Dadurch sinkt in einem der längsten Flüsse der Welt der Wasserstand. So kann das Meerwasser von der Mündung hinein in den Fluss drängen. Süßwasserfische sterben. Landwirtschaftliche Flächen versalzen.
Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, wie zum Beispiel auch die im vergangenen Jahr mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete „Mother Nature Cambodia“, stehen in Kambodscha stark unter Druck. Auch kritische Journalist:innen oder oppositionelle Politiker:innen landen häufig im Gefängnis. Manche wurden bei ihrem Einsatz für Menschenrechte und Umwelt ermordet.
Srey Mom und ihr Mann Thien Yok haben wegen der Zuschüttung des Boeung Tompun nicht nur ihre Farm verloren und bald ihre Arbeit. Sie verlieren auch ihr Zuhause. Die beiden wohnen in einer Hütte auf dem See, die auf leeren Fässern schwimmt. Drum herum haben sie eine kleine Insel aus Wasserpflanzen geflochten und zum Teil mit Holzplatten belegt. Der Boden federt und schwankt. Mehrmals musste das Paar mit diesem Konstrukt umziehen, auf der Flucht vor den Baggern und Trucks mit dem Sand. Trinkwasser müssen Srey Mom und ihr Mann mit dem Boot holen. Auf dem Dach der Hütte hat Thien Yok eine Solaranlage installiert. Damit lädt er die Autobatterie, die in der Hütte neben dem Gaskocher und den Blechtöpfen steht. „So haben wir Strom für einen Ventilator und für Licht, und wir können unsere Kopflampen aufladen“, erklärt Thien Yok. Oft ernten die beiden im Schein der Lampen bis in den frühen Morgen. So ist das Gemüse frisch. Und sie haben tagsüber Zeit für die anderen Arbeiten. „Wir arbeiten sehr viel, verdienen aber immerhin zuverlässig Geld“, sagt Thien Yok. Wie lange das noch so weitergeht, wissen die beiden nicht. Ihr Leben ist so unsicher und brüchig wie die kleinen Boote, mit denen sie und die anderen Farmer:innen auf dem See arbeiten. „Ich hoffe, es geht hier noch so lange gut, bis unser jüngster Sohn mit der Schule fertig ist“, sagt Srey Mom beim Abschied.
Die Fahrt in die große Mall führt vorbei an Bauzäunen, an denen für die neuen Stadthäuser geworben wird, die hier entstehen sollen. Sie tragen Namen wie King, Queen oder Princess Villa. Der einige Fußballfelder große Parkplatz vor der Mall ist leer. Ein Wächter in Uniform weist trotzdem einen Platz zu. Hinter den hohen Glastüren warten die Stores aller großen Marken dieser Welt auf Kundschaft. Die langen Rolltreppen in den ersten Stock fahren entlang großer Flachbildschirme, über die Bilder von bunten Unterwasserwelten und anderen Naturwundern flimmern. Durch die hohen Fenster der Mall geht der Blick auf den Boeung Tompun. Einige Wasserfarmer:innen in ihren Booten sind zu erkennen. Hier, in der Welt der Shoppingmalls und teuren Apartments, werden sie höchstens noch als Reinigungskräfte, Toilettenfrauen oder Parkplatzwächter gebraucht. Die Temperatur in der klimatisierten Mall ist eisig.