Leila Moysichs Buch über anonyme Geburt und verzweifelte Mütter
(ausHinz&Kunzt 136/Juni 2004)
Wie ein Medienprofi. Im dunkelblauen Kostüm mit pinkfarbenem Schal lächelt Leila Moysich in die Kameras und präsentiert ihr Buch „Und plötzlich ist es Leben“ (Europäische Verlagsanstalt, 19,90 Euro). Das Ambiente ist gepflegt, fast erhaben im fünften Stock der Dresdener Bank mit großartigem Blick auf die Binnenalster. Der Andrang der Medien ist groß. Kein Wunder, hat doch das Projekt Findelbaby vom Hamburger Verein SterniPark seit Eröffnung der ersten Babyklappe im April 2000 eine emotionsgeladene Debatte angestoßen.
Jetzt hat die 24-jährige Mitarbeiterin und Tochter des Geschäftsführers von SterniPark ein Buch über ihre Arbeit als „Babyretterin“ geschrieben. Es sind ergreifende und dramatische Geschichten von Frauen, die ihre Schwangerschaften verheimlicht haben und sich aus den unterschiedlichsten Gründen mit ihrer Situation überfordert fühlten.
Lisa (Name geändert, Red.), die mit einigen anderen jungen Frauen die Buchpräsentation verfolgt, ist eine von ihnen. Vor acht Wochen hat sie ein Kind bekommen. Ihr erstes. Eine Tochter. Alleine zu Hause im Badezimmer. Sie wurde in der Nacht von der Geburt überrascht. Es ging sehr schnell. So schnell, dass noch nicht einmal Zeit zum Telefonieren blieb. Sie selbst hat das Kind abgenabelt. Dann hat sie bei Findelbaby angerufen. Die Mitarbeiterinnen kamen und holten das Kind.
Erst sechs Wochen vorher hatte Lisa festgestellt, dass sie schwanger war. Eigentlich hatte sie nur Magenschmerzen gehabt. Die typischen Anzeichen einer Schwangerschaft fehlten, sagt sie, und einen Bauch hatte sie auch nicht, da sich das Kind unter den Rippen versteckt hatte. „Ein Kind passte nicht in mein Leben“, sagt sie. Ihr Leben sei unverbindlich gewesen. Verantwortung musste sie nur für sich selbst übernehmen. Mit dem leiblichen Vater des Kindes verbinde sie nichts mehr. Sie wollte ins Krankenhaus gehen, entbinden und das Kind zur Adoption geben. Doch die Geburt kam zu plötzlich.
Jetzt ist sie in der Mutter-Kind-Einrichtung von Findelbaby, um ihre Tochter abzuholen. Sie will sie wiederhaben. Die Entscheidung, doch mit dem Kind zu leben, hat sie in den Wochen nach der Geburt getroffen. „Meine Beweggründe damals waren oberflächlich“, sagt sie heute. Noch hat sie ihrer Familie nichts von dem Kind erzählt. Doch ihr Entschluss, mit ihrer Tochter zu leben, steht fest, auch „wenn es noch etwas dauern wird, bis ich mich richtig als Mama sehe“.
Die Babyklappe traf den Nerv der Zeit und die Gefühle der Menschen. Mittlerweile gibt es zwischen 60 und 70 Klappen und zahlreiche Kliniken, die anonyme Geburten ermöglichen. Damit wurden Möglichkeiten geschaffen, dass Mütter in Not ihr Kind „anonym und straffrei“ an einem sicheren Ort abgeben können. Bis acht Wochen nach der Geburt können die Mütter sich entscheiden, ob sie mit dem Kind leben wollen oder es zur Adoption freigeben. Schwangeren Frauen in Not helfen und im besten Falle Kindesaussetzungen und -tötungen verhindern wollen alle, doch es gibt auch heftige Kritik.
Die kommt von Psychologen, anonym Adoptierten und von der Kinderhilfsorganisation Terre des hommes, die sogar ein Verbot fordert: Durch Babyklappe und anonyme Geburt würden Frauen verleitet, ihr Kind fortzugeben, wo sie sonst vielleicht einen gemeinsamen Weg gefunden hätten. Und das Kind habe später keine Chance, seine leiblichen Eltern zu finden. Das könne zu Identitätskrisen führen. Außerdem hat Terre des hommes Zahlen präsentiert, die belegen sollen, dass Mütter, die ihre Kinder töteten, von dem Angebot nicht erreicht wurden: Laut Terres des hommes wurden im vergangenen Jahr 30 ausgesetzte Neugeborene tot aufgefunden. 2002 waren es 20 und 17 im Jahr 2001.
Leila Moysich lässt sich in dieser Frage auf keine Diskussion ein: Dass es weiterhin Aussetzungen und Tötungen von Neugeborenen gibt, bestreitet sie nicht. Doch zieht sie daraus den Schluss, dass ihre Arbeit nicht bekannt genug ist. Selbstsicher wischt sie die Argumente vom Tisch. Für sie sei das „keine ernst zu nehmende Studie, weil die Babyklappe Leben rettet“. Ein (zu) einfaches Dogma. Die junge Frau ist überzeugt von ihrer Arbeit und ärgert sich über die Kritiker: „Die Herren von Terre des hommes sollen bei ihrer Arbeit bleiben und sich nicht in eine Arbeit mit Frauen einmischen, die sie nie kennen gelernt haben. Sie wissen nichts über diese Frauen, und ich finde, sie haben dann auch kein Recht, über die Hilfe zu urteilen.“ Trotz des lobenswerten Engagements sollte es erlaubt sein, die Babyklappe infrage zu stellen. Denn nach den Erfahrungen der ersten Jahre herrscht auch bei den Befürwortern Einigkeit darüber, dass man die Frauen früher erreichen und ihnen konkrete Hilfe anbieten muss.
Bei „Findelbaby“ vom SterniPark wurden seit Beginn des Projektes 20 Kinder in der Babyklappe abgegeben und mehr als 150 Frauen betreut. 60 Prozent der Frauen haben sich dann doch noch dafür entschieden, mit dem Kind zu leben; von den restlichen 40 Prozent war die Hälfte bereit, ihre Daten anzugeben, so dass die Kinder später etwas über ihre Herkunft erfahren können.
Leila Moysich sagt, dass sie das Buch geschrieben hat, „um der Gesellschaft zu zeigen, was das für Frauen sind, um Verständnis für sie zu wecken.“ Ein gutes Ziel. Übertriebener Pathos und Retterpose sind da fehl am Platz. Ein schmaler Grat.