Der amerikanische Fotograf Steve McCurry ist derzeit mit einer imposanten Werkschau im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen. Seine Bilder führen nach Indien, nach Afghanistan, nach Birma, nach Tibet. Bei allem Schrecklichen, dem er begegnet, verliert er nicht den einzelnen Menschen aus den Augen.
(aus Hinz&Kunzt 246/August 2013)
Geben Sie Geld? Zücken Sie Ihre Brieftasche, wenn vor Ihnen jemand steht, die Hand aufhält oder einen leeren Plastikbecher schwenkt und sagt: „Bitte! Für etwas zu essen!“ Der amerikanische Fotograf Steve McCurry saß in Bombay im Taxi, als ein Mädchen zusammen mit seinem Bruder herantrat, an die Fensterscheibe klopfte und ihn um Geld bat. McCurry griff reflexartig nach seiner Kamera, stellte scharf, löste aus; der Taxifahrer gab Gas und brauste davon. Der Fotograf, beschämt über sein eigenes Verhalten, ließ ihn bremsen, anhalten, umdrehen – doch die beiden Kinder blieben verschwunden. Er hat versucht sie wiederzufinden, aber das ist in einer indischen Großstadt so gut wie aussichtslos, und Glück hatte er auch nicht.
Nun hängt das Foto, das McCurry damals innerhalb weniger Sekunden machte, sehr exponiert und hinter Glas im Museum für Kunst und Gewerbe am Hauptbahnhof. Der Eintritt kostet zehn Euro, ermäßigt sind es sieben. Die Räume, in denen sich McCurrys Bilder aneinanderreihen, sind exquisit ausgeleuchtet und angenehm temperiert. Da stehen wir nun und schauen auf zwei Kinder, die sich ihre tägliche Nahrung zusammenbetteln müssen und es heute als Erwachsene womöglich noch immer tun. Es hatte offenbar in Strömen geregnet, die durchnässten Kinder drängten sich an das Auto, die Scheibe ist sehr fotogen von Wasserschlieren überzogen und gibt der Szenerie etwas Malerisch-Verträumtes. So, wie es immer etwas fast Magisches hat, wenn wir durch eine Scheibe auf die Welt schauen, von ihr getrennt sind und gleichzeitig alles sehen.
Ein anderes Mal aber gelang es ihm, ein Mädchen, das er fotografiert hatte, wiederzufinden – und spätestens jetzt werden Sie Steve McCurry kennen: Er hat 1985 das afghanische Mädchen fotografiert, das auf dem Cover einer Ausgabe des „National Geographic“ zu sehen war und dessen Foto so oft nachgedruckt wurde, dass es als das am häufigsten publizierte Porträt eines ganz normalen Menschen gilt. Er traf Sharbat Gula – so heißt sie – als er ein Flüchtlingslager in Pakistan besuchte. Erst wollte sie sich nicht ablichten lassen, drehte sich demonstrativ weg. Aber McCurry nahm sich die Zeit zu warten. Und dann ließ sie sich fotografieren, mit einem Blick aus Scheu, Trotz und Misstrauen. Auch hier hat McCurry das Bild, das er schuf, nicht losgelassen, und er hat sich 18 Jahre später auf die Suche nach ihr gemacht. Diesmal hat er sie wiedergefunden. Die nun 30-Jährige war mittlerweile verheiratet, lebte in Kabul und hatte drei Kinder. Erst fotografierte er sie unter der Burka, die keinen Millimeter ihres Gesichtes mehr zeigt, ihr gerahmtes Mädchenfoto von damals hält sie in den Armen. Dann erlaubte die Familie, sie ohne Burka abzulichten – für McCurry ein Vertrauensbeweis. Dass ihr Bildnis so weltbekannt ist, hatte sie übrigens bis dahin nicht gewusst.
Nach Afghanistan kam der heute 63-jährige Steve McCurry über einen Umweg: Ihm liefen Ende 1979 im Norden Indiens afghanische Flüchtlinge über den Weg, die nach dem Einmarsch der damals noch sowjetischen Armee Schutz suchten. McCurry verkleidete sich als Mudschaheddinkämpfer, ging nach Afghanistan, machte die ersten Bilder eines damals völlig rätselhaften Krieges, dem weitere Kriege folgen sollten, über die heute kaum noch jemand nachdenken möchte.
Immer wieder ist er danach in Krisen- und Kriegsgebiete gereist, immer wieder kehrte er zurück nach Afghanistan, zeigte, wie Menschen versuchen inmitten von Zerstörung und Bedrohung ein halbwegs normales Leben zu führen. Folgt man der Ausstellung, hat er sich in den letzten Jahren von den düsteren Bildern dieser Welt gelöst: Shaolin-Mönche hängen nun in vollendeter Entspanntheit kopfüber; eine Mutter schläft mit ihrem Kind in einer Hängematte, während sich unter ihr eine Schlange ringelt. Tibetanische Gebetsfahnen flattern im Wind. Überhaupt scheint sein Interesse für religiöse Rituale und die Lebenswelten abgeschieden lebender Völker zu wachsen. Diese Bilder sind schön, wirken aber auch ein Stück harmloser und idyllischer.
Bis auf eine Ausnahme: McCurry ist am 11. September 2001 in New York. Er sieht von seinem Studio aus, wie die Türme zusammenstürzen, und er veröffentlicht auch davon ein Bild. Die nächsten Tage geht er immer wieder zu den noch rauchenden Trümmern. Und fotografiert, wie die Feuerwehrmänner einsam und ratlos durch die Trümmer stapfen und versuchen zu verstehen, was eigentlich geschehen ist.
Text: Frank Keil
„Überwältigt vom Leben“ läuft noch bis zum 29. 9. im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Öffnungszeiten: Mo–So, 10–18 Uhr, Do, 10–21 Uhr, Eintritt 10/ 7 Euro, www.mkg-hamburg.de
Einige Bilder von Steve McCurry können Sie auch in der August-Ausgabe von Hinz&Kunzt sehen.