Im schottischen Edingburgh spielten rund 220 Straßenkicker aus 27 Ländern um den Homeless Worldcup. Viele Afrikaner durften nicht dabei sein
(aus Hinz&Kunzt 151/September 2005)
Dudelsackpfeifer, Schottlands heißester Pop-Act El Presidente, eine prall gefüllte Tribüne. Sogar das sprichwörtlich schlechte schottische Wetter spielt mit und setzt das steil über der Bühne aufragende Schloss von Edinburgh ins rechte Licht. Es könnte alles eitel Sonnenschein sein bei der Eröffnungsfeier für den Homeless Worldcup, das Fußballturnier des Weltverbandes der Straßenzeitungen für Obdachlose und solche, die es einmal waren.
Wären da nicht ein paar Fahnen, die traurig in der Luft hängen. „Einen Applaus für die Teams, die nicht dabei sein können“, erbittet Organisator Mel Young, und als der Beifall aufbrandet, ist er noch nicht zufrieden:„Ich will, dass sie euch bis nach Afrika hören.“ Burundi, Kamerun, Kenia, Nigeria und Zambia – sie alle hatten Straßenfußball-Teams aufgestellt, unter unvorstellbaren organisatorischen Schwierigkeiten. Sie träumten von der Reise ins ferne Europa. Sie hatten rechtzeitig Visa beantragt. Das burundische Team war sogar eigens durch Tansania nach Uganda gereist, um Fingerabdrücke bei der britischen Botschaft abnehmen zu lassen. Drei Tage vor der Abreise kam die Rote Karte. Sie hätten „nicht die erforderlichen Mittel, um sich in Großbritannien zu versorgen“, teilte das britische Außenministerium in dürren Worten mit, als die Flugtickets längst bezahlt waren. Zu arm zum Fußballspielen. Ganz einfach. Dabei war für Alles gesorgt: Unterkunft, Verpflegung – die Münchner Straßenzeitung Biss hatte sogar einen Sponsor gefunden, der den Afrikanern ein Taschengeld für die fünf Tage zahlen wollte.
Mel Young, der Mann, der mit seinem unerschütterlichen Optimismus die verrückte Idee einer Fußballweltmeisterschaft für Obdachlose Wirklichkeit werden ließ, wirkt erschöpft. Er ist fassungslos über den Zynismus der Regierung von Tony Blair, der doch erst vor ein paar Tagen hier in Edinburgh die Welt darauf eingeschworen hatte, die Armut in Afrika zu bekämpfen. Young hatte das Turnier extra von New York nach Edinburgh verlegt, weil es an den strengen Einreisebedingungen der USA zu scheitern drohte.
Nun sind es wieder allein Namibia und Südafrika, die den afrikanischen Kontinent vertreten, und sie brennen darauf, es gut zu machen. „Ich bin stolz, für mein Land zu spielen und möchte es berühmt machen“, sagt Uusiku Aune, eine der wenigen Frauen im Turnier. Zuhause in Ondangwa, in der nordnamibischen Provinz, verkauft sie die Straßenzeitung Big Issue Namibia, um ihr Schulgeld aufzubringen. Wenn der Regen mal wieder ausbleibt, unterstützt sie von den durchschnittlich sieben Euro, die sie im Monat verdient, auch noch ihre Eltern, die sonst hungern müssten. Damit das irgendwann nicht mehr so ist, will sie an die Universität gehen und Entwicklungsstudien machen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Natürlich gibt es wieder Debatten darüber, wer eigentlich obdachlos genug ist, um beim Homeless Worldcup dabei zu sein. Die offizielle Voraussetzung ist, entweder aktueller Straßenzeitungsverkäufer oder in den letzten zwei Jahren obdachlos gewesen zu sein. Aber reichen ein paar Tage auf der Straße? Und bedeutet Obdachlosigkeit überall auf der Welt das Gleiche? Was ist mit den vielen Menschen, die sich in Notunterkünften oder selbst gebauten Hütten vor Gewalt und Kälte in Sicherheit bringen? „Wir drängen darauf, den Begriff homeless weiter zu fassen“, sagt die Betreuerin des südafrikanischen Teams. „Für uns geht es dabei einfach um Armut, und die drückt sich in Südafrika anders aus als in Europa.“ Big-Issue-Verkäufer Silolami Mbizana zum Beispiel hat sich eine zugige Bretterbude im Kapstädter Township Khayelitsha gebaut – ohne Wasser und ohne Strom. „Wenn ich Leute in ihrem eigenen, festen Haus sehe, dann fühle ich mich immer noch obdachlos“, sagt er.
Natürlich beeinflusst die Strenge, die die einzelnen Teilnehmerländer bei der Auswahl der Spieler walten lassen, auch das Abschneiden beim Homeless Worldcup, landen die jungen, athletischen Polen im Finale gegen den Titelverteidiger. Der heißt Italien, besteht aber aus eingewanderten argentinischen Freizeitfußballern, von denen, so die Gerüchteküche, kein einziger je auf der Straße gelebt haben soll. Aber geht es bei diesem Turnier eigentlich ums Gewinnen? Es gibt jedenfalls ganz andere Beispiele. Die Niederländer zum Beispiel, in den vergangenen Jahren als Halbprofis verschrien, bringen eine bunte Truppe aus Losern, die allein durch ihren akribischen Trainer Steve Cromwell auf den sechsten Platz gepusht wird – kein Wunder: er war einst Profi und später selbst obdachlos. Oder die USA, in Göteborg noch durch übertriebenen Ehrgeiz aufgefallen: In diesem Jahr kam ein gemischtes Team aus North Carolina; Frauen, Männer, manche übergewichtig, manche von Drogen gezeichnet. Sie kennen sich aus einer Suppenküche. Letzter Platz, aber immer gute Laune. Fairnesspreisgewinner und everybody’s darlings. Clayton O’Connell hat beim Fußballspielen erstmals wieder Selbstvertrauen statt Schnaps getankt. „Die haben mich gerettet“, sagt er. Und jetzt kommen kleine Kinder durch den Park spaziert, die ein Autogramm von ihm wollen. „Wow!“
Es ist ein Turnier der Erfolgsgeschichten. Die Schotten, vom frenetischen Anhang bis ins Viertelfinale gebrüllt, haben mit David Duke einen Assistenztrainer, der im letzten Jahr selbst noch Spieler war. Die schottische Homeless-Liga hat ihn aus dem Suff geholt. Inzwischen hat er einen Trainerschein gemacht. Antonio César Andrade da Silva, vor ein paar Jahren noch einer von São Paulos zigtausenden Crack-Rauchern, hat über die Straßenzeitung Ocas eine eigene Wohnung gefunden und geheiratet. Mit seinem schüchternen Charme verdient er sich in Edinburgh ohne ein Wort Englisch ein hübsches Zubrot mit brasilianischem Modeschmuck. Félix Bas Casares hat nach seiner Teilnahme am letzten Worldcup einen Job im Lager von Sponsor Real Madrid bekommen. Nicht fest, aber ziemlich regelmäßig. Vom ersten Geld hat er sich neue Zähne gekauft. Man sieht ihm das neue Selbstbewusstsein an: Im letzten Jahr war er ein ängstlicher Mitläufer, in diesem Jahr dirigiert der vom jahrelangen Heroingebrauch ausgezehrte Mann lautstark seine Mitspieler.
Auch die Deutschen haben ihre Erfolgsgeschichte: Co-Trainer Peter Skrabut war in den vergangenen beiden Jahren so etwas wie der Intellektuelle im deutschen Team. Inzwischen hat es der ehemalige Donaustrudl-Verkäufer zum selbständigen Buchhändler gebracht und büffelt an der Abendschule fürs Abitur. Und auch sonst war die Stimmung unter den Deutschen diesmal versöhnlich, auch wenn es mit Trainer Dieter Hollnagel Debatten über den Alkoholkonsum gab. „Platz 16 – das ist unser bestes Ergebnis bisher“, sagt Stammtorwart Florian Walter. Der Freiburger Bauwagen-Bewohner mit den dunkelrot gefärbten Haaren lobt seine Mitspieler. „Alle haben immer Alles gegeben“, sagt er. Wünschen würde er sich allerdings mehr gemeinsames Training. „Das eine Wochenende hat uns einander menschlich näher gebracht, aber sportlich nicht viel.“ Am liebsten hätte er eine eigene Homeless-Liga, wie sie auf der Insel längst üblich sind. „Aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben, dafür reicht das Interesse einfach nicht aus.“
Noch ein deutscher Gewinner war in Edinburgh dabei, doch er hielt sich bescheiden im Hintergrund: Andreas Becker, Verkäufer des Stuttgarter Straßenmagazins Trottwar, hat den internationalen Designwettbewerb für das offizielle Turnier-T-Shirt gewonnen, das über 2000-mal verkauft wurde. Der Lohn: Hersteller Nike spendierte ihm eine Woche in Edinburgh, alles inklusive. Seinen Entwurf, einen Fußball aus Straßenzeitungsschnipseln, hat er mal eben „in zehn Minuten hingeworfen“, wie er fast ein bisschen verlegen sagt.
Im Finale zeigt sich einmal mehr ein europäischer Gemeinplatz: Polen gibt es überall. Sie haben die Zuschauertribüne schon Stunden vorher in Besitz genommen. „Polska, Polska“ ist das einzige, was zu hören ist. Zweimal sieben Minuten lang gibt die polnische Community von Edinburgh alles. Aber es nützt nichts. Gegen die italienisch-argentinischen Trickser hilft weder jugendliche Athletik noch voller Stimmbandeinsatz. Am Ende heißt es 3:2 und der alte Weltmeister ist der neue. Der Jubel darüber fällt etwas verhaltener aus als im vergangenen Jahr, aber spätestens bei der Siegerehrung ist klar: Jeder ist hier ein Gewinner.
Ein letztes Mal noch liegen sich alle in den Armen zum Pausenfüller Nummer eins, der Hymne I’m Gonna be (500 Miles) von den Edinburgher Lokalhelden The Proclaimers. Inoffizieller Hit ist dagegen das unaussprechliche Stück, das die Namibier den ganzen Tag singen: Ein derber Kwaito-Rap, den sie jetzt unter allgemeinem Gejohle noch einmal von der Bühne zum Besten geben.
Zur Abschlussparty erscheint ein besonderer Gast: Roger Freire, im vergangenen Jahr in Göteborg noch frisch aus dem Knast gekommener kanadischer Torwart mit Eishockey-Reflexen, steht plötzlich im schnieken Anzug mitten im Getümmel. Er strahlt, er werde bald heiraten. In Schweden. „Wir seh’n uns in Kapstadt“, ist die gängige Verabschiedung, auch wenn viele wissen, dass sie im nächsten Jahr in Südafrika nicht dabei sein werden. Die Kapstädter haben sich im Bewerberverfahren gegen Düsseldorf durchgesetzt – auch ein wenig als Ersatz dafür, dass die Deutschen ihnen die „große“ Weltmeisterschaft vor der Nase weggeschnappt haben. Trostpflaster, sozusagen. Vielleicht steigen damit ja die Chancen der anderen afrikanischen Teams, diesmal wirklich dabei zu sein.