Auf der Suche nach dem Müßiggang
(aus Hinz&Kunzt 140/Oktober 2004)
Wer ist ein Müßiggänger, und woran erkennt man ihn? Ist Müßiggang einfach nur Nichtstun? Was machen Menschen, die offensichtlich nichts machen? Wir haben uns auf die Suche gemacht: im türkischen Bad, auf der Straße, im Park.
Der Rentner
Am Rande der Ottenser Hauptstraße steht ein Mann und beobachtet das Straßenleben. Ohne Regung, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, lässt er den Blick schweifen. Ab und an geht er ein paar Meter weiter. Dann bleibt wieder stehen, schaut erneut. Ein Müßiggänger? Der Mann mit dem grauen Wuschelkopf lacht. „Nein“, sagt er. „Ich bin zwar Rentner. Aber ich habe immer etwas vor.“ Er warte auf seine Frau, wie jeden Nachmittag wollten sie sich hier treffen. Ein Müßiggänger, sagt er, das sei doch eher jemand, der mit seiner Zeit nichts anzufangen wisse.
Der Künstler
An einem Teich in Planten un Blomen sitzt ein Mann im Sonnenstuhl und schaut aufs Wasser. An einem Freitagvormittag hat er die Arme in den Schoß gelegt, auf der Lehne liegen ein Buch, eine Sonnenbrille und ein Handy. Piet Günter Neumann ist freischaffender Künstler und bekennender Müßiggänger. Vor drei Monaten hat er sein letztes Werk vollendet, „seitdem hab ich keinen Pinsel mehr angefasst.“ Leiden bereitet das dem 63-Jährigen mit der jugendlichen Ausstrahlung offenbar nicht, „ich spüre keine innerliche Leere.“ Der Künstler hat sich mit fernöstlichem Gedankengut befasst und glaubt an das „Tun im Nichtstun“. Er hat gelernt, dass Kunstwerke „sich malen lassen“, wenn die Zeit reif ist. Bis dahin sitzt er im Park oder am Elbstrand und versucht, wie er sagt, „einfach zu sein, einen Zustand zu erreichen, der sich deckt mit der Natur“. Neumann kann sich das leisten, weil er ab und an ein Bild verkauft und nicht viel Geld zum Glück braucht, „ich lebe äußerst bescheiden.“ Der Mensch, sinniert der Maler mit dem Sinn fürs Philosophische, belaste sich zu sehr durch Arbeit. „Und dann beschimpft er den Zustand, in dem er ist.“
Die Arbeitslose
Einige hundert Meter weiter hat es sich eine Frau in den Vierzigern gemütlich gemacht und blickt in die Ferne. Auf ihrem Schoß liegt ein Heft voller Notizen. In Griffweite hat sie eine Thermoskanne aufs Gras gestellt, die Füße auf eine zusammengerollte Isomatte gelegt. Ob sie eine Müßiggängerin ist? „Im Moment schon. Ich bin arbeitslos. Aber nicht mehr lange.“ Mehr will sie nicht über sich verraten. Viele, die wie sie dem Nichtstun nachzugehen scheinen, sind noch wortkarger. Wer will schon gerne als Faulenzer dastehen?
Die Relaxten
Der perfekte Ort, um Müßiggänger aufzuspüren, ist ein türkisches Dampfbad, wie zum Beispiel das Hamam an der Feldstraße. Faul rumliegen, sich wohlig auf gemütlichen Liegen räkeln und, vom Wasserdampf müde geworden, massieren lassen – der Inbegriff herrlichen Nichtstuns. Hier treffen wir Margit und Gerd Berner. Alle zwei bis drei Monate gönnen sich die beiden diesen Luxus, der in Hamburg für Preise ab 25 Euro aufwärts zu haben ist. „Man kann wunderbar entspannen, wird verwöhnt und lässt die Seele baumeln“, erklärt die 31-jährige Marketing-Leiterin einer Online-Agentur. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, sagen die Berners, würden sie öfter ins Dampfbad gehen und sich massieren lassen, „vielleicht alle zehn Tage“. Aber: Der Mensch brauche nicht zwingend Geld für den Müßiggang, meint der 34-jährige Gerd Berner, selbstständiger Cutter beim Film. Ein Freund, erzählt er, lebe auf dem Land in einfachsten Verhältnissen: „Der geht müßig und lebt davon, dass er zwei bis sechs Tage im Monat als Beleuchter beim Film arbeitet.“ Ein bescheidener Mann, der seine Bescheidenheit genieße. „Ich bin dafür zu ehrgeizig“, sagt Margit Berner, „das wäre mir auch zu langweilig. Ich brauche den Austausch mit Menschen.“ Ihren schönsten Müßiggang haben die beiden in einem „Spa“ auf Bali erlebt, mit Ganzkörper-Öl-Massagen und ausgefeiltem Verwöhnprogramm. „Da fühlst du dich leicht wie eine Feder“, sagt Margit Berner, „aber das ist auch kein billiges Vergnügen.“ 5500 Euro hat das Paar für die drei Wochen im Paradies gezahlt, es war ihr Hochzeitsgeschenk.
Der Obdachlose
Kaum 300 Meter vom Luxus-Dampfbad entfernt treffen wir Chris Büchner (Name geändert). Mitten am Tag sitzt der 32-Jährige mit den langen Haaren im offenen Hemd herum, klönt mit ein paar Punks und schlürft ein Bier. Büchner wirkt wie das Klischee eines Faulenzers und wird von seiner Umwelt sicher nicht nur einmal den Titel „Penner“ gehört haben. „Ich würde ja gern arbeiten“, sagt Büchner. Doch er fühle sich zum Nichtstun verdammt: Die Polizei suche ihn, weil er ohne Führerschein gefahren sei. Ohne Fahrerlaubnis und mit zwei ausstehenden Haftbefehlen könne er nicht arbeiten. Bis vor kurzem habe er auf Märkten Nachfülltinte für Drucker verkauft, „sechs, sieben Tage die Woche, mit viel Spaß“. Dann aber kam der Absturz, nicht der erste in seinem Leben: Chris Büchner betrog seine Frau, trennte sich von ihr, verlor Wohnung und Arbeit. Nun sitzt er da und sinniert: „Früher hab ich immer alles auf meine Eltern und meine beschissene Kindheit geschoben. Heute denk ich manchmal: Ich bin nicht lebensfähig.“ Warum er sich nicht stellt? Er sei fast so weit gewesen. Aber sein Anwalt, der für ihn mit dem Staatsanwalt verhandele, habe abgeraten: „Gut, dass du’s nicht gemacht hast“, habe der gesagt. „Sechs bis acht Monate dauert es bis zur Gerichtsverhandlung. Wenn du keine Wohnung hast, wanderst du solange in den Knast.“
Der Freiberufler
Auf einer Bank am Altonaer Balkon sitzt ein Mann, blinzelt in die Sonne und gähnt herzhaft, als er sich mit dem Verdacht konfrontiert sieht, ein Müßiggänger zu sein. Obwohl nahezu alle Sitzgelegenheiten von Rentnern, Studenten oder Müttern belegt sind, hat er die Beine hochgelegt und blockiert so gleich eine ganze Bank. „Wenig zu tun“, brummt Sebastian Pflug (Name geändert) unwillig. Es gab Tage im Leben des 43-jährigen Grafikers, da wusste er nicht, wo ihm der Kopf stand vor lauter Stress. Acht Jahre war er angestellt bei Werbeagenturen. „In der Werbung wirst du ausgequetscht wie eine Zitrone – wenn du es nicht mehr aushältst, bist du draußen.“ Pflug, ein kräftiger Mann mit sympathischem Gesicht und grünen Augen, arbeitet freiberuflich – wenn er denn Arbeit hat. Drei Monate ist es her, dass er einen Auftrag bekommen hat, „das geht schon auf die Birne, es war ein Scheiß-Sommer.“ Mit Müßiggang habe das, was er mache, wenig zu tun, meint Pflug, „Zeit totschlagen wäre vielleicht treffender“. Das Nichtstun genießen könne er nur, wenn er wisse, was danach kommt. „Man merkt schon, wie sehr man eine Aufgabe braucht.“ Immerhin, ein Lichtstreif am Horizont hat sich aufgetan: Ein Freund will eine Firma gründen, ab Oktober gibt’s für den Grafiker im Auftragsloch wieder etwas zu tun. Was er macht, wenn er da so sitzt auf der Bank? „Ich bin gerade dabei, mich von den Sorgen zu lösen, von der Frage: Was wird in fünf Jahren sein?“