Die sowieso schon armen Ländern werden durch TTIP noch mehr in die Knie gezwungen, befürchtet Cornelia Füllkrug-Weitzel, Chefin von „Brot für die Welt“ und der Diakonie-Katastrophenhilfe. Außerdem heble das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA unsere womöglich kommunale Selbstbestimmung aus.
Hinz&Kunzt: Warum beschäftigt sich Brot für die Welt, eine evangelische Hilfsorganisation, mit TTIP, einem Welthandelsabkommen?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: TTIP behandelt ja nur scheinbar das Verhältnis zwischen der EU und Amerika, aber dahinter liegen die ursprünglichen Bemühungen eines Welthandelsabkommens, die gescheitert sind, zumindest sich mühsam dahinschleppen. Aus dem einfachen Grunde: Bei den sogenannten Doha-Verhandlungen sind die Länder des Südens in der Mehrheit. Und diese Länder haben die Erwartung formuliert, durch das Abkommen gerechtere Absatzchancen zu haben und dass die reichen Länder und internationalen Konzerne wenigstens an einigen Stellen nicht ständig begünstigt würden. Deswegen gab es immer wieder Blockaden vom Norden gegen den Süden, und die Verhandlungen sind nicht vorangekommen.
Es gibt doch jetzt schon Handelsabkommen zwischen einzelnen Ländern…
Aber TTIP wird, wenn es zustande kommt, eine enorm große Reichweite haben. Und die restriktiven Vorgaben von TTIP werden dann auch auf diese bilateralen Abkommen übertragen. Dann sind natürlich die kleineren Länder des Südens gegenüber den USA oder den wirtschaftlich starken Ländern in der EU im Hintertreffen. TTIP – und das Abkommen mit Canada CETA kann man dann auch dazurechnen – deckt dann einen so großen Prozentsatz des Welthandels ab, dass keine Vereinbarung im Rahmen von Doha zustande kommen wird – und somit auch keine Chancengleichheit für die ärmeren Länder. Das heißt: TTIP wird ein Muster sein für die gesamte Strukturierung des Welthandels. Das kann ganze Ökonomien in die Knie zwingen.
Haben Sie dafür einmal ein Beispiel?
In Brasilien ist – auch dank unserer Partnerorganisationen – auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene verankert worden, welche Programme zur Armutsbekämpfung aufgelegt werden sollen. Eine Kommune macht beispielsweise ein Schulspeisungsprogramm und dabei verwendet sie regionale Produkte von Bauern aus der Region und gibt ihnen eine garantierte Absatzzusage. Aber das schließt andere aus, die in derselben Stadt dieselben Nahrungsmittel anbieten wollen: beispielsweise eine deutsche Firma oder internationale Lebensmittelkonzerne. Wird TTIP zum weltweiten Vorbild für solche Handelsabkommen wäre das verboten – und somit wäre ein Armutsbekämpfungsprogramm potentiell gefährdet. Sogar für den Einkauf von humanitären Gütern soll TTIP gelten. Und das würde bedeuten: Die UN oder auch wir kirchlichen Werke müssten immer ausschreiben und den billigsten Anbieter berücksichtigen. Wenn wir die Bevölkerung eines Krisengebietes versorgen wollen, dann kaufen wir lieber Getreide in der Region – als Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung. Aber es wird heute schon oft der billigste, natürlich subventionierte Mais gekauft – und das ist US-amerikanischer Mais. Es wird immer auf US-amerikanischen Mais hinauslaufen, immer!
Gibt es denn nur solche Kriterien wie billigster Anbieter? Spielen Qualität oder soziale Kriterien wie Stabilisierung der Region denn keine Rolle?
So weit wir das wissen nicht. Und das könnte dazu führen, dass alle unsere kommunalen Beschaffungsrichtlinien, wenn sie einseitig fairen Handel oder Bioprodukte begünstigen, hinfällig sind, dass die kommunale Selbstbestimmung hinfällig ist. Darüber wird es sicherlich noch allerhand Auseinandersetzungen geben, und die deutschen Kommunen werden sich das nicht so schnell gefallen lassen. Aber wenn das Abkommen unterzeichnet ist, ist das die Rechtslage. Und eins ist klar: Eine schwache Regierung im Süden hat bei einer solchen Auseinandersetzung überhaupt keine Chance.
Es gibt ja heute schon Handelsbeziehungen, die zerstörerisch sind: der Hähnchenexport in afrikanische Länder, wo dann der dortige Markt zusammenbricht, die Menschen arbeitslos werden und in der Folge ja auch der Armut entfliehen wollen und nach Europa kommen …
Genau, wir haben deshalb ja auch die Kampagne „Keine Chicken schicken!“ gemacht. Wir, die gesamten kirchlichen Hilfswerke in Europa, haben uns da stark engagiert: Wir wollten nicht, dass in die Handelsverträge mit Afrika hineingeschrieben wird, dass es keinerlei Subventionierungen und Schutz des eigenen Marktes mehr geben darf. Das steht da zwar jetzt drin, aber abgedämpft. Und selbst das soll entfallen. Wenn TTIP das Muster und global wirksam werden wird, dann haben diese Länder aufgrund der ungleichen Ausgangslage keine Chance mehr: Zwar haben sie billige Löhne, aber man braucht Fläche, um die Futtermittel anzubauen – und das wird immer teurer. Die Fläche können sich nur noch Großunternehmen leisten, keine Kleinbauern.
Sie befürchten eine noch größere Verarmung in den südlichen Ländern.
Wir tragen durch unsere Lebensweise und durch den Klimawandel sowieso schon dazu bei, dass die Lebensbedingungen der Menschen im Süden so schwierig sind – und TTIP wäre ein weiterer Punkt, wo wir alle Entwicklungsmöglichkeiten untergraben. Ja, TTIP wäre eine weitere gravierende Ursache, Unterentwicklung und Armut zu fördern.
Wie steuert Brot für die Welt vor Ort dagegen?
Indem wir mit Partnerorganisationen aus dem landwirtschaftlichen Bereich, mit Kleinbauern, Kooperativen und Bauernorganisationen gegenüber den Regierungen Druck gemacht haben. Und wir versuchen, die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken: bei der Produktion und Lagerung von eigenem Saatgut über diversifizierte Landwirtschaft, die nicht abhängt von Pestiziden und Fertilizern und weniger kostenintensiv ist. Und indem wir die Kleinbauern über ihre Rechte aufklären: dass sie sich in ihren Zusammenschlüssen dafür einsetzen, dass es Grundbücher gibt und sie dort eingetragen werden, damit sie verbriefte Rechte haben und nicht einfach von dem Land vertrieben werden können, das sie schon seit Generationen bewirtschaften.
Aber über die Auswirkungen von TTIP, die drohende Verarmung und damit einhergehende Flucht in die westlichen Länder müssen sich die Handelspartner doch auch im klaren sein …
Das ist kein Thema. Das wird in einer anderen Logik verhandelt: Wenn wir es nicht machen, machen es die Chinesen oder die Inder. Da sind neue Player aufgetaucht und mit ihnen eine neue Drohkulisse.
Interview: Birgit Müller
Foto: Miguel Ferraz