In einem ehemaligen Altenheim will die Stadt pflegebedürftigen Obdachlosen angemessene Hilfe bieten. Gut ein halbes Jahr nach Eröffnung ist dort immer noch viel Platz – obwohl der Bedarf sehr groß ist.
69 Frauen und Männer lebten Anfang Dezember in der neuen Unterkunft für „besonders vulnerable obdachlose Menschen mit Pflegebedarf“ in Niendorf. Damit blieben sieben Monate nach Eröffnung rund 41 Prozent der insgesamt 118 Plätze in dem ehemaligen Seniorenheim ungenutzt. Der städtische Unterkunftsbetreiber Fördern & Wohnen (F&W) verwies zur Erklärung auf einen umfangreichen Katalog an Aufnahmebedingungen: Nicht aufgenommen werden dort demnach Intensivpflegebedürftige, Hochinfektiöse, schwer Suchterkrankte, „Personen mit hoher Eigen- bzw. Fremdgefährdung“ und „Menschen, die nicht in der Lage sind, sich an grundlegende Regeln zu halten“.
Wer von F&W in eine dieser Gruppen einsortiert wird, muss mit der Friesenstraße vorliebnehmen, eine der beiden Großunterkünfte des Winternotprogramms. Dort lebten Anfang Dezember weitere 87 Menschen, die laut F&W „besonders vulnerabel“ waren, sodass sie anders als die übrigen Nutzer:innen auch tagsüber in dem ehemaligen Bürogebäude bleiben durften. Zwar kommt in der Unterkunft mit 400 Betten täglich ein Pflegedienst vorbei. Doch bietet dieser nur „eingeschränkte pflegerische Leistung“, so der Senat im Oktober auf eine Bürgerschaftsanfrage.
Vergangenen Sommer hatte Hinz&Kunzt über das Schicksal des Straßenmagazin-Verkäufers Milan* berichtet. Der Obdachlose war in der Unterkunft Friesenstraße von Hinz&Kunzt-Mitarbeitenden in katastrophalem Zustand hilflos in seinem Bett liegend vorgefunden worden (H&K Juni 2024). Sozialarbeiterin Isabel Kohler hatte in den Wochen zuvor Versicherungsfragen Milans geklärt und wollte an diesem Tag bei F&W anregen, dass der Pflegebedürftige in die neue Unterkunft in Niendorf verlegt wird. Zu spät: Milan wurde vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht. Bis heute geht es dem Hinz&Kunzt-Verkäufer so schlecht, dass er in einem Heim für Intensivpflegebedürftige leben muss.
F&W hatte Fragen zu Milan „aus Datenschutzgründen“ nicht beantwortet und allgemein erklärt: „Jeden Morgen machen Mitarbeitende eine Runde durch das Haus und erkundigen sich nach dem Befinden der Bewohner.“ Seit dem Frühsommer, so F&W weiter, sei bei dem Rundgang auch der Pflegedienst dabei, „sodass die Pflegefachkraft Veränderungen des Gesundheitszustands einschätzen und umgehend reagieren kann“.
Hinz&Kunzt hat Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft erklärte ein knappes halbes Jahr später dazu, sie habe noch nicht entschieden, ob die Verdachtsmomente für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichen.