Die Fotografin Aude Osnowycz hat in Tiflis junge Menschen getroffen, viele von ihnen sind queer. Die Community erlebt in Georgien gerade entscheidende Monate.
Ein Wind der Angst, aber auch der Rebellion weht durch die Straßen von Tiflis.“ So beschreibt die französische Fotografin Aude Osnowycz ihre Eindrücke, als sie Anfang Oktober wenige Wochen vor der Parlamentswahl zwischen pro-europäischer Opposition und pro-russischer Regierung in der georgischen Hauptstadt ankommt. „Die Jugend zittert, ist aber bereit zu kämpfen.“
Mittlerweile hat die Partei „Georgischer Traum“ die Parlamentswahl offiziell gewonnen und bleibt an der Macht. Doch ihr Sieg ist umstritten. Der Wahlbeobachtungsmission unter Leitung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) liegen Berichte über die Einschüchterung von Wähler:innen vor. Bis Redaktionsschluss (9. Dezember) gingen in dem Land am Kaukasus Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Auslöser für die Proteste war deren Entscheidung, die EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 auszusetzen. Die Mehrheit der Georgier:innen ist laut Umfragen für einen EU-Beitritt.

Unter den Protestierenden: viele queere Menschen. Noch kurz vor den Wahlen hatte das Parlament ein Gesetz nach russischem Vorbild verabschiedet, das die Rechte von queeren Menschen stark einschränkt. Lehrende dürfen nicht über Homosexualität informieren, Queerness darf nicht in Filmen und in der Werbung vorkommen, auch Geschlechtsangleichungen und Adoptionen durch homosexuelle Paare oder Transpersonen sind verboten. Mit dem erneuten Wahlsieg der Regierungspartei könnte dieses Gesetz bald konsequent durchgesetzt werden. Seit ein ähnliches Gesetz 2013 in Russland in Kraft trat, hat homophobe Gewalt dort laut der Bundeszentrale für Politische Bildung stark zugenommen. Offen gelebte Homosexualität wird mit hohen Geldstrafen geahndet. Viele Menschen in Georgien fürchten nun, dass das bald auch bei ihnen Realität wird.
Den queeren Georgier:innen will Fotografin Osnowycz mit ihrer Arbeit eine Stimme geben. Die 45-jährige Französin hat ukrainische Wurzeln. Lange arbeitete sie in Russland. Nachdem sie eine Reportage über das russische Regime veröffentlicht hatte, habe sie jedoch nicht mehr einreisen dürfen. „Aber ich wollte weitermachen“, sagt sie im Videocall mit Hinz&Kunzt. Osnowycz studierte Geopolitik in Paris. Ihre Abschlussarbeit schrieb sie über die georgische Revolution 2003, die die Republik in Richtung Westeuropa rückte. In den Medien verfolgte sie, wie sich Georgien zuletzt immer mehr Russland annäherte.

In ihrer Heimat Frankreich beginnt Osnowycz Anfang Oktober mit ihrer Recherche: Auf Instagram nimmt sie Kontakt zu jungen Menschen in Tiflis auf. So lernt sie Diana Joukova kennen, die sie wenige Tage später in der georgischen Hauptstadt persönlich trifft. Die 22-Jährige ist vor vier Jahren von Russland nach Geor-gien ausgewandert, um der Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu entgehen. Nun scheint auch Geor-gien kein sicherer Ort mehr für sie zu sein. Sie sagt: „Ich plane, Georgien wegen des Gesetzes zu verlassen.“
Doch zuvor hat sie Modell für die Fotografin gestanden – so wie 14 weitere junge Menschen. „Ich habe ihre Porträts neben Symbole der Sowjetunion gestellt, um den Unterschied zwischen modernem und konservativem Leben zu zeigen“, erklärt die Fotografin.
Viele ihrer Protagonist:innen gehen aktuell mit auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Osnowycz hält noch immer Kontakt zu ihnen: „Sie sind tolerant, stark und voller Hoffnung. Sie haben mich tief berührt.“
Die Fotografin Aude Osnowycz hat in Tiflis junge Menschen getroffen, viele von ihnen sind queer. Die Community erlebt in Georgien gerade entscheidende Monate.